Der 21. August 1968 und der Rundfunk

Prager Frühling, Einmarsch in die CSSR 1968

Der 21. August 1968 und der Rundfunk

Beitragvon pentium » 20. August 2015, 16:57

Der 21. August 1968 und der Tschechoslowakische Rundfunk

Der Einmarsch der Warschauer Pakt Truppen in der Nacht zum 21. August 1968 kam sowohl für die führenden Politiker als auch die Bevölkerung völlig überraschend. Man wusste wohl, dass Moskau das Programm des Prager Frühlings missbilligte, doch mit einer gewaltsamen Beendigung der Reformen rechnete niemand. Gegen 23 Uhr des 20. August 1968 informierte der damalige sowjetische Botschafter in Prag Tschervonenko den tschechoslowakischen Staatspräsidenten Svoboda über den Beginn der Invasion. Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei kam sofort zu einer Sondersitzung zusammen. In einer gegen 1 Uhr morgens verabschiedeten Resolution wurde der Einmarsch als widerrechtliche Invasion verurteilt. Nun galt es, der Bevölkerung so schnell wie möglich die Stellungnahme der Partei- und Regierungsführung zu vermitteln. Und hier spielte der Tschechoslowakische Rundfunk eine entscheidende Rolle.
...
Gegen Mitternacht des 20. Augusts 1968 wurden viele Bewohner von Prag durch ungewohnten Lärm geweckt: zunächst war es Fluglärm - dann folgten das Scheppern und Klirren von Panzerketten.

In den Strassen in der Nähe des Prager Flughafens sah man aus den Fenstern die Panzerkolonnen Richtung Stadtzentrum rollen. Wer Zeuge dieser gespenstischen Vorgänge war, schaltete das Radiogerät ein - schließlich wollte man wissen, was da geschah. Und tatsächlich gegen 1 Uhr kündete der Tschechoslowakische Rundfunk Sondernachrichten an. Weitere 30 Minuten später wurde die Erklärung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei verlesen, doch nach wenigen Wörtern trat Funkstille ein.

Denn Rest jener Meldung hörten nur diejenigen, die den sog. Rundfunk per Draht eingeschaltet hatten, denn dieser wurde im Gegensatz zu allen anderen Sendern des Tschechoslowakischen Rundfunks nicht auf Befehl des für den Rundfunk zuständigen Funktionärs Karel Hoffmann abgestellt.

In jenen ersten Stunden der Okkupation spielte der Rundfunk eine entscheidende Rolle. Die Kommunisten, die die Warschauer Pakt Truppen ins Land gerufen und gehofft hatten, eine neue, Moskautreue Regierung einzusetzen, wollten über den Rundfunk ihre Sicht der Dinge verbreiten und die Bevölkerung von der Richtigkeit des Einmarsches überzeugen. In ihrer Erklärung hieß es unter anderem:

"Die Partei- und Staatsfunktionäre der Tschechoslowakischen Sozialistische Republik haben sich an die Sowjetunion und andere Bündnisstaaten mit der Bitte gewandt, dem tschechoslowakischen Brudervolk dringend Hilfe zu erweisen, einschließlich der Hilfe mit Streitkräften. Diese Bitte ist auf die Gefahr zurückzuführen, die der in der Tschechoslowakei bestehenden sozialistischen Ordnung von Seiten konterrevolutionärer Kräfte droht."

Doch als die zuständigen Funktionäre kurz nach Mitternacht das Funkhaus betraten, waren in diesem bereits Dutzende Redakteure und Techniker am Werk. Karel Hoffmann hatte zwar den Befehl zur Abstellung aller Sender gegeben, den Rundfunk per Draht, an dem immerhin 650.000 Geräte angeschlossen waren, hatte er aber schlichtweg vergessen. So konnten Tausende die wichtige Erklärung des Zentralkomitees in ihrer gesamten Länge hören:

"Gestern, am 20. August 1968, gegen 23 Uhr haben Truppen der Sowjetunion, der Polnischen Volksrepublik, der Deutschen Demokratischen Republik, der Ungarischen Volksrepublik und der Bulgarischen Volksrepublik die Staatsgrenzen der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik überschritten. Dies geschah ohne das Wissen des Präsidenten der Republik, des Vorsitzenden der Nationalversammlung, des Regierungsvorsitzenden und des Generalsekretärs des ZKs der Partei. Das Präsidium des ZK der KPC erachtet den Akt der Besetzung als widersprechend nicht nur den Grundprinzipien der Beziehungen zwischen den sozialistischen Staaten, sondern auch als eine Bestreitung der Grundnormen des internationalen Rechts."

Damit hatte der Rundfunk denjenigen, die den Prager Frühling beenden und eine neue, auf Moskauer Kurs eingeschworene Regierung einsetzen wollten, einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die offizielle Version der Moskautreuen Kommunisten wurde nicht gesendet, die Ernennung einer neuen Regierung kam nun nicht mehr in Frage.

Karel Hoffmann, der damals den Befehl zum Abstellen der Sender gab, ist übrigens im Juni dieses Jahres für sein Vorgehen zu vier Jahren Gefängnis wegen Amtsmissbrauch verurteilt worden.

Am ersten Tag der Okkupation herrschte allgemein Verwirrung und Unklarheit. Wo war Dubcek, wo die führenden Parteifunktionäre, wo die Regierung? In dieser Situation ergriff der Tschechoslowakische Rundfunk die Initiative: ununterbrochen informierten seine Mitarbeiter über den Verlauf der Invasion, veröffentlichten 100e von Resolutionen von örtlichen Parteikomitees, Fabriken und Organisationen, die alle die Invasion ablehnten und sich geschlossen hinter Dubcek und den Reformkurs stellten. Die Redakteure versuchten, Kontakt zu führenden Politikern herzustellen und riefen die Bevölkerung wiederholt zur Ruhe auf. Gegen 6 Uhr früh am 21. August gelang es, wenn auch nur indirekt, eine Erklärung des Parteivorsitzenden Alexandr Dubcek zu senden.

"Mitbürger, Genossen, wir haben für euch von Genosse Dubcek eine Nachricht aus dem Gebäude des Zentralkomitees der Partei. Er bittet euch, ruhig zu sein, keine unüberlegten Dinge zu unternehmen. Er bittet euch, die entstandene Situation mit aller Würde zu tragen und grüsst euch alle."

Zwei Stunden später meldete sich Staatspräsident Ludvik Svoboda über Telefon im Rundfunk zu Wort:

"Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann ich Ihnen nur folgendes mitteilen: Als Präsident der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik wende ich mich mit der vollen Verantwortung, die ich mit dieser Funktion übernommen habe, an Sie und bitte Sie eindringlich, volle Besonnenheit und völlige Ruhe zu bewahren. Seien Sie sich Ihrer Bürgerpflicht und den Interessen unserer Republik bewusst und lassen Sie nicht zu, dass es zu unüberlegten Aktionen kommt."

Zu diesem Zeitpunkt wurden die Mitglieder der Parteiführung im Gebäude des Zentralkomitees von sowjetischen Soldaten festgehalten, einige Minister waren verhaftet und an unbekannte Orte verschleppt worden.

Eine Stunde nach dem abrupten Ende der Radiosendungen in der Nacht war der der Rundfunk wieder auf Sendung - die Untergebenen des Moskautreuen Hoffmann ignorierten seine Befehle und schalteten die Sender wieder ein. Bereits seit dem frühen Morgen versammelten sich immer mehr Menschen vor dem Funkhaus in der Vinohradska-Strasse in unmittelbarer Nähe des Prager Wenzelplatzes. Mit ihren Körpern bildeten sie Barrikaden gegen die anrückenden Panzer. Die Berichterstattung des Rundfunks erfolgte live: Man schaute aus dem Fenster, rannte in das Studio und berichtete.

http://www.radio.cz/de/rubrik/geschicht ... e-rundfunk

Mindestens 10 Menschen starben am 21. August 1968 vor dem Rundfunkgebäude. Kurz vor 9 Uhr besetzten an jenem Morgen sowjetische Soldaten das Gebäude: "Im Name der Rundfunkmitarbeiter bitte ich euch erneut - unternehmt nichts, was zu überflüssigen Blutvergießen führen könnte. Wartet darauf, dass sich unsere legale Regierung meldet. In der jetzigen Situation helfen wir niemanden, indem wir Barrikaden bauen oder andere Dinge unternehmen, die zu weiteren Zusammenstössen führen, die derzeit keinen Sinn haben. Das würde lediglich Opfer fordern. Darum bitten wir euch, Freunde, beruhigt euch, geht nach Hause, derzeit hat es hier vor dem Rundfunk wirklich keinen Sinn."

Die Redakteure verabschiedeten sich vorerst von ihren Zuhörern mit der tschechoslowakischen Hymne, die eine Technikerin gerade noch auflegen konnte, bevor Sowjetsoldaten mit Maschinengewehren in das Studio stürzten.

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Re: Der 21. August 1968 und der Rundfunk

Beitragvon pentium » 20. August 2015, 17:06

Radio Vltava (deutsch: Radio Moldau)

Am 12. Februar 1969, stellte die Radiostation namens Vltava mit dem Standort in der damaligen DDR ihre Tätigkeit ein. Der Sender war ein halbes Jahr zuvor von der SED eingerichtet worden. Seine Programme in Tschechisch und Slowakisch hatten das Ziel verfolgt, die tschechoslowakische Bevölkerung davon zu überzeugen, dass der Überfall der ČSSR im August 1968 durch die Sowjetunion und weitere Staaten des Warschauer Paktes in Wirklichkeit eine „brüderliche Hilfeleistung“ gewesen sei.

Vltavas Programme in Tschechisch und Slowakisch wurden auf den Wellen 210 und 197 Meter über zwei Sender ausgestrahlt, deren Standorte bei Dresden und dem damaligen Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) waren. Die Sendungen liefen täglich von fünf Uhr morgens bis Mitternacht. Der Sender meldete sich immer wieder mit einer Kennmelodie aus dem symphonischen Gedicht „Vltava“ von Bedřich Smetana und bezeichnete sich als „die sozialistische Stimme der Wahrheit“.

Kennmelodie:
http://www.lindert-privat.de/DIVERSES/V ... ennung.ogg

quelle:
http://www.radio.cz/de/rubrik/geschicht ... ava-196869

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Re: Der 21. August 1968 und der Rundfunk

Beitragvon pentium » 20. August 2015, 20:20

Der Österreichische Rundfunk sendet Nachrichten in tschechischer Sprache

160.000 Menschen flüchteten nach der blutigen Niederschlagung des Prager Frühlings aus der Tschechoslowakei nach Österreich. 10.000 von ihnen blieben auch nach dem Ende der Kampfhandlungen im Land. Deshalb sendete der österreichische Rundfunk ORF neben seinen laufenden Reportagen aus Prag und dem österreichisch-tschechischen Grenzgebiet auch ein tschechischsprachiges Programm.

http://www.radio.cz/de/rubrik/sonderser ... er-sprache

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Re: Der 21. August 1968 und der Rundfunk

Beitragvon Dille » 22. August 2015, 19:38

@Pentium hat ja zum Thema "Radio Vltava" schon geschrieben, ich habe eben nochmal nachgegraben in meinem Fundus, und wußte, daß ich noch ein Taschenbuch aus jener Zeit habe. Es geht in diesem Taschenbuch um "Prager Anschläge" mit dem Untertitel "Bilddokumente des gewaltlosen Widerstands", ein Ullstein Taschenbuch erschienen 1968.
Und man macht sich darin u.a. auch über diesen Sender "Vltava" lustig, so im Stil von Radio Jerewan, eine Seite habe ich mal kopiert.

Der tschechische Text lautet übersetzt : "Sender "Moldau" meldet : Unsere Brüderschaft ist untrennbar."

Noch eine Anmerkung zum Rundfunkthread in diesem Zusammenhang : Die Besatzungsmacht hatte ja noch Wochen zu tun, die immer wieder wieder neu erstehenden bzw. ständig ihren Standort wechselnden Rundfunk- und Fernsehsender zu lokalisieren und auszuschalten -- konnte aber nicht verhindern, daß immer wieder und wochenlang aktuelle Berichte entweder über die Sender, oder aber per Kassette nach Österreich und damit in die Welt gelangten.
Eine Blamage für die Besatzungsmacht ohnegleichen !

Gruß, Dille

Prag 1968.jpg
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Dille
 

Re: Der 21. August 1968 und der Rundfunk

Beitragvon zonenhasser » 21. August 2018, 19:15

Hier ein kurzer Fernsehbeitrag zu "Radio Moldau":

https://www.mdr.de/mediathek/mdr-videos ... 23446.html

Typisch für die Dussligkeit von Kommunisten: Die konnten nicht mal richtig tschechisch sprechen.
Die “Rote Fahne” schrieb noch “wir werden siegen”, da hatte ich mein Geld schon in der Schweiz.
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Re: Der 21. August 1968 und der Rundfunk

Beitragvon augenzeuge » 21. August 2018, 21:49

Der tschechische Regierungschef Babis ist beim Gedenken an das gewaltsame Ende des Prager Frühlings ausgepfiffen worden.

Seine Rede in Prag wurde von Demonstranten übertönt, die auch Begriffe wie "Schande" riefen und einen mitgebrachten Spiegel in die Höhe hielten. Sie kritisieren, Babis vor der Wende 1989 selbst Mitglied der Kommunistischen Partei war und dass sich seine Minderheitsregierung heute von den Kommunisten unterstützen lässt.

Zeman ist gar nicht erst gekommen.....dem Linkspopulisten Milos Zeman werden enge, noch auf Sowjetzeiten zurückgehende, Kontakte nach Moskau nachgesagt.

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