Die Bundeswehr in Afghanistan – ein Soldat berichtet
Verfasst: 10. Juni 2019, 18:09
DER HELD, DER KEINER SEIN WILL
Soldat Daniel befreite umzingelte Kameraden in Afghanistan, erschoss einen Taliban- Kämpfer und wurde mit dem höchsten Orden der Bundeswehr ausgezeichnet. Er selbst sagt: „Was ich da getan habe, hätte jeder andere Soldat auch für mich getan.“ Aber wie hat sich sein Leben seitdem verändert?
Im Augenwinkel sieht Daniel eine Bewegung. Eine Gestalt. Langes Gewand, dunkler Bart. Ein Kämpfer der Taliban. Der Mann bleibt stehen, vielleicht 20, 25 Meter entfernt. Der Taliban reißt sein Sturmgewehr hoch und drückt ab. Zweimal zuckt das Mündungsfeuer, dann ein Schrei: „Ich bin getroffen!“ Der Soldat neben Daniel, sein Kamerad. Im selben Moment zielt Daniel, zwei dumpf hallende Schüsse aus seinem G-36, zwei Treffer in die Brust. Der Taliban ist tot.
Das ist der Krieg in Afghanistan. Nur der Zufall, ein paar Zentimeter entscheiden, ob du als Held nach Hause kommst, am Flughafen deine Liebsten in den Arm nimmst. Oder in einem Sarg mit schwarz-rotgoldener Fahne und Bundesadler. Hauptfeldwebel Daniel kam als Held nach Hause, nach diesem Sommer 2009, vor genau zehn Jahren.
Er erzählt: „Die ersten 14 Tage danach habe ich diesen Angreifer immer wieder vor Augen gehabt, das war wie ein Film, der da abgelaufen ist. Aber irgendwann wischt man das weg.“ Denn im Grunde ist es so einfach: Wer schneller schießt und besser trifft, gewinnt den Feuerkampf. Und das war ich. Er oder ich, darum ging es.“
Hauptfeldwebel Daniel, 40 Jahre alt. Er kämpfte im Krieg unserer Zeit, dem Krieg gegen den Terror. Er wurde beschossen. Er sah, wie Kameraden starben. Er tötete. Und er wurde als erster Bundeswehrsoldat mit dem höchsten Orden für seine Tapferkeit in einem Gefecht ausgezeichnet. Daniel, das kann man so sagen, ist ein Kriegsheld der Bundeswehr.
Aber wie lebt man danach weiter, mit diesen Bildern von erschossenen Menschen im Kopf? Und wie ist das, wenn man von Politikern in den Einsatz geschickt wird und dort töten muss – und die Gesellschaft zu Hause diesen Einsatz eigentlich ablehnt, die Mehrheit schon lange den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan fordert?
Dies ist seine Geschichte: Daniel kommt in einem kleinen Städtchen im Harz zur Welt. Ein Einzelkind, das vor allem bei den Großeltern aufwächst. Die blauen Augen strahlen, wenn er von den gemeinsamen Wanderungen, der Natur, dem Angeln und Jagen erzählt. Als er 14 ist, trennen sich die Eltern. Mutter und Vater ziehen zu neuen Partnern, Daniel bleibt im Familienhaus.
„Das war mein Zuhause, ich wollte da nicht raus. Also bin ich allein in dem Haus geblieben, habe die Schule fertig gemacht, mein Leben allein in den Griff bekommen. Heute sage ich: Es hätte mir gar nichts Besseres passieren können.“
Er macht den Realschulabschluss, will eigentlich Polizist werden. Dann kommt sein Musterungsbescheid. Daniel wird eingezogen zu den Gebirgsjägern ins südlichste Bayern. Zum ersten Mal weit weg von zu Hause, eine neue Welt. Er sagt: „Die Ausbildung war damals noch eine andere: Wir wurden fit gemacht und enormen Belastungen ausgesetzt. Und das war gut so. Ich vergleiche heute diese Grundausbildung eines Soldaten mit der Erziehung eines Kindes: Wenn ich dem Kind keine Regeln, keine Grenzen aufzeige, mich mit dem Kind nicht ordentlich beschäftige und mit ihm spiele, dann wird es dieses Kind im Leben sehr schwer haben. Oder komplett scheitern. Und so ist das auch mit Soldaten.“
Daniel bleibt bei der Bundeswehr. Er kommt zu den Panzergrenadieren, wird geschleift und geformt. „Harte Ausbildung, leichter Kampf. Leichte Ausbildung, schwerer Kampf“, ruft ein Ausbilder. „Disziplin ist Kampfkraft. Und Kampfkraft sichert den Erfolg“, ein anderer. Es folgen zwei Auslandseinsätze im Kosovo, 2005 das erste Mal Afghanistan.
2009 ist Daniel stellvertretender Zugführer, es geht für ihn zurück an den Hindukusch. „Unser Kommandeur hat in einer Ansprache an unsere Familien kurz vor dem Einsatz gesagt: ‚Ich versuche, dass ich euch alle heil wieder nach Hause bringe. Aber ich kann es nicht versprechen.‘ Und das war gut und richtig, man darf in so einer Situation nicht um den heißen Brei herumreden: Wir wussten, dass es in Afghanistan knallt und dass das für uns kein Einsatz wird wie jeder andere.“
Daniel und seine Kameraden werden Teil der schnellen Eingreiftruppe im Norden Afghanistans. Nach zwei Wochen kommt es zum ersten „TIC“. TIC steht für „troops in contact“, also Truppen im Gefecht.
„Eine Aufklärungsdrohne war abgestürzt, wir hatten den Auftrag, das Teil zu finden und zu bergen“, erzählt Daniel. „Dann knallte und schepperte es schon. Ich stand da in einem Busch, 80 Meter vor uns schießen Kämpfer, Kugeln pfeifen. Ich habe dann zurückgeschossen, die Drohne geschnappt und dann sind wir zurück in unsere Fahrzeuge und weg. Das fand ich alles aber noch gar nicht so schlimm.“
Wochenlang sind Daniel und seine Männer im Feindgebiet unterwegs. Sie schlafen unter ihren gepanzerten Fahrzeugen, waschen sich notdürftig mit Wasser aus Trinkflaschen, stopfen Fertignahrung in sich hinein. „Alles war dreckig, dazu all die Eindrücke, der ganze Stress. Irgendwann bist du einfach am Ende.“ Doch die Männer halten zusammen, stützen sich gegenseitig. „Da war blindes Verständnis, da musste man gar nicht mehr viel reden. Die anderen Soldaten, das ist im Einsatz deine Familie. Und ein Soldat, der in den Einsatz geht, der ist bereit, für genau diese Kameraden das eigene Leben aufs Spiel zu setzen.“
Dann das Gefecht vom 4. Juni: Ein deutscher Spähtrupp, der feindliches Gebiet erkunden soll, ist in einen Hinterhalt geraten. Ein Selbstmordattentäter sprengt sich in die Luft, Kämpfer schießen mit Sturmgewehren und Panzerfäusten. Ein sorgfältig geplanter Hinterhalt. Daniel und seine Männer eilen den umzingelten Soldaten zu Hilfe. „Ich war an der Spitze, springe aus dem Auto, bespreche mich mit dem Zugführer der Aufklärer. Er hat die Augen weit aufgerissen, eine Handgranate in der Hand, schreit: ‚Die sind überall, die sind überall!‘“ An dieser Stelle stockt Daniel, die Stimme bricht, Tränen laufen aus seinen Augen. Der Blick geht ins Leere, er erinnert sich, ist zurück in Afghanistan, in den roten Bergen, in diesem staubigen Dorf Basoz: „Dieses Bild werde ich niemals vergessen“, sagt er.
„In so einem Moment tust du einfach alles, um deine Kameraden da wieder heil herauszubekommen. Und der Rest interessiert nicht. Auch dein eigenes Leben nicht.“ Zwei Panzerfäuste schlagen neben Daniel ein, Steine, Dreck, Fahrzeugteile fliegen durch die Luft. „Ich selbst hatte erst mal keine Angst, sondern war kurzzeitig einfach nur mit der Situation überfordert. Da rauschen solche Fragen durch den Kopf: Wo bin ich hier gelandet, in welchem Film bin ich? Und dann machst du das, was du gelernt hast. Ohne groß nachzudenken, du hast gar keine Zeit, um nachzudenken.“
Daniel kommandiert seine Soldaten, lässt sie aussteigen, in Deckung gehen. Zehn Taliban kommen auf die Deutschen zugerannt, ein 19jähriger Bundeswehrsoldat tötet sie mit seinem Maschinengewehr. Dann noch eine Angriffswelle, ein Kämpfer bleibt stehen, schießt auf Daniel und den Spähtruppführer. „Der Taliban hat ihm den Trageriemen des Gewehrs und die Schuhsohle weggeschossen. Und dann habe ich mein Gewehr hochgerissen, ihn zweimal in der Brust getroffen und ihn erschossen.“ Insgesamt töten die deutschen Soldaten an diesem Tag mehrere Dutzend Taliban, schließlich treffen weitere deutsche Kräfte ein, die Terroristen ziehen sich zurück.
Ob Daniel noch heute an den getöteten Taliban denkt? „Wenn er nicht auf mich geschossen hätte, hätte ich ihn auch nicht erschießen müssen. Aber er hat nun mal nach meinem Leben getrachtet. Klar ist der auch ein Mensch, klar hat er vielleicht auch Familie. Aber so ist das.“
Mehr als sechs Monate sind Daniel und seine Soldaten im Einsatz. Wieder und wieder werden sie beschossen, wieder und wieder sprengen sich Attentäter in die Luft. „Angst hatte ich permanent um meine unterstellten Soldaten. Dass ich irgendwo eine falsche Entscheidung treffe, die dazu führt, dass einer meiner Männer getötet wird. Wenn das passiert wäre, wäre ich zerbrochen. Das hätte ich mir nie verzeihen können.“
Doch Daniel bringt seine Soldaten sicher und gesund nach Hause. Ein halbes Jahr später ehrt ihn der damalige Verteidigungsminister zu Guttenberg mit dem Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit: „Durch Ihr mutiges und professionelles Handeln unter Lebensgefahr verhinderten Sie gemeinsam mit Ihren Weggefährten, dass Ihre Kameraden des Spähtrupps getötet wurden.“ Und: „Sie waren mutig, selbstlos und tapfer. Ihnen gebührt unsere Dankbarkeit und unsere Anerkennung.“
Damals dauert es Wochen, bis er nachts wieder schlafen kann, beim Joggen nicht mehr hinter jedem Baum einen Angreifer befürchtet. Der Einsatz hat ihn verändert. Daniel selbst sagt: Ich lebe jetzt bewusster. Er hat eine Familie gegründet, wenn er über sie spricht, wirkt er milde, ja – glücklich.
Heute arbeitet Daniel als Ausbilder. Und natürlich sieht er die Probleme mit dem mangelhaften Material, mit den zu wenigen und oft schlecht vorbereiteten Bewerbern. „Wir haben während der Ausbildung mehr und intensiver Zeit miteinander verbracht, als das heute möglich ist“, sagt er. „Und leider merken wir, dass die jungen Leute, die noch vor zehn Jahren zur Bundeswehr gekommen sind, deutlich fitter waren als die Menschen, die heute kommen. Da gehen wir verstärkt ran. Es gibt nun ein neues Konzept für den Sport in der Grundausbildung, inwiefern das greift, wird die Zeit zeigen.“
Was ihm der Orden bedeutet, wollen wir zum Abschluss wissen. „Ich bin kein Held. Was ich da getan habe, hätte jeder andere Soldat auch für mich getan“, sagt er. Und: „Für mich wäre es wichtiger, wenn sich die Gesellschaft für das interessieren würde, was wir in Afghanistan erlebt und gesehen haben, wenn da mal Nachfragen kommen würden. Aber die Leute haben genug Probleme mit sich selbst. Und das war’s. Leider.“
Quelle: Bild am Sonntag 10.06.2019
Soldat Daniel befreite umzingelte Kameraden in Afghanistan, erschoss einen Taliban- Kämpfer und wurde mit dem höchsten Orden der Bundeswehr ausgezeichnet. Er selbst sagt: „Was ich da getan habe, hätte jeder andere Soldat auch für mich getan.“ Aber wie hat sich sein Leben seitdem verändert?
Im Augenwinkel sieht Daniel eine Bewegung. Eine Gestalt. Langes Gewand, dunkler Bart. Ein Kämpfer der Taliban. Der Mann bleibt stehen, vielleicht 20, 25 Meter entfernt. Der Taliban reißt sein Sturmgewehr hoch und drückt ab. Zweimal zuckt das Mündungsfeuer, dann ein Schrei: „Ich bin getroffen!“ Der Soldat neben Daniel, sein Kamerad. Im selben Moment zielt Daniel, zwei dumpf hallende Schüsse aus seinem G-36, zwei Treffer in die Brust. Der Taliban ist tot.
Das ist der Krieg in Afghanistan. Nur der Zufall, ein paar Zentimeter entscheiden, ob du als Held nach Hause kommst, am Flughafen deine Liebsten in den Arm nimmst. Oder in einem Sarg mit schwarz-rotgoldener Fahne und Bundesadler. Hauptfeldwebel Daniel kam als Held nach Hause, nach diesem Sommer 2009, vor genau zehn Jahren.
Er erzählt: „Die ersten 14 Tage danach habe ich diesen Angreifer immer wieder vor Augen gehabt, das war wie ein Film, der da abgelaufen ist. Aber irgendwann wischt man das weg.“ Denn im Grunde ist es so einfach: Wer schneller schießt und besser trifft, gewinnt den Feuerkampf. Und das war ich. Er oder ich, darum ging es.“
Hauptfeldwebel Daniel, 40 Jahre alt. Er kämpfte im Krieg unserer Zeit, dem Krieg gegen den Terror. Er wurde beschossen. Er sah, wie Kameraden starben. Er tötete. Und er wurde als erster Bundeswehrsoldat mit dem höchsten Orden für seine Tapferkeit in einem Gefecht ausgezeichnet. Daniel, das kann man so sagen, ist ein Kriegsheld der Bundeswehr.
Aber wie lebt man danach weiter, mit diesen Bildern von erschossenen Menschen im Kopf? Und wie ist das, wenn man von Politikern in den Einsatz geschickt wird und dort töten muss – und die Gesellschaft zu Hause diesen Einsatz eigentlich ablehnt, die Mehrheit schon lange den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan fordert?
Dies ist seine Geschichte: Daniel kommt in einem kleinen Städtchen im Harz zur Welt. Ein Einzelkind, das vor allem bei den Großeltern aufwächst. Die blauen Augen strahlen, wenn er von den gemeinsamen Wanderungen, der Natur, dem Angeln und Jagen erzählt. Als er 14 ist, trennen sich die Eltern. Mutter und Vater ziehen zu neuen Partnern, Daniel bleibt im Familienhaus.
„Das war mein Zuhause, ich wollte da nicht raus. Also bin ich allein in dem Haus geblieben, habe die Schule fertig gemacht, mein Leben allein in den Griff bekommen. Heute sage ich: Es hätte mir gar nichts Besseres passieren können.“
Er macht den Realschulabschluss, will eigentlich Polizist werden. Dann kommt sein Musterungsbescheid. Daniel wird eingezogen zu den Gebirgsjägern ins südlichste Bayern. Zum ersten Mal weit weg von zu Hause, eine neue Welt. Er sagt: „Die Ausbildung war damals noch eine andere: Wir wurden fit gemacht und enormen Belastungen ausgesetzt. Und das war gut so. Ich vergleiche heute diese Grundausbildung eines Soldaten mit der Erziehung eines Kindes: Wenn ich dem Kind keine Regeln, keine Grenzen aufzeige, mich mit dem Kind nicht ordentlich beschäftige und mit ihm spiele, dann wird es dieses Kind im Leben sehr schwer haben. Oder komplett scheitern. Und so ist das auch mit Soldaten.“
Daniel bleibt bei der Bundeswehr. Er kommt zu den Panzergrenadieren, wird geschleift und geformt. „Harte Ausbildung, leichter Kampf. Leichte Ausbildung, schwerer Kampf“, ruft ein Ausbilder. „Disziplin ist Kampfkraft. Und Kampfkraft sichert den Erfolg“, ein anderer. Es folgen zwei Auslandseinsätze im Kosovo, 2005 das erste Mal Afghanistan.
2009 ist Daniel stellvertretender Zugführer, es geht für ihn zurück an den Hindukusch. „Unser Kommandeur hat in einer Ansprache an unsere Familien kurz vor dem Einsatz gesagt: ‚Ich versuche, dass ich euch alle heil wieder nach Hause bringe. Aber ich kann es nicht versprechen.‘ Und das war gut und richtig, man darf in so einer Situation nicht um den heißen Brei herumreden: Wir wussten, dass es in Afghanistan knallt und dass das für uns kein Einsatz wird wie jeder andere.“
Daniel und seine Kameraden werden Teil der schnellen Eingreiftruppe im Norden Afghanistans. Nach zwei Wochen kommt es zum ersten „TIC“. TIC steht für „troops in contact“, also Truppen im Gefecht.
„Eine Aufklärungsdrohne war abgestürzt, wir hatten den Auftrag, das Teil zu finden und zu bergen“, erzählt Daniel. „Dann knallte und schepperte es schon. Ich stand da in einem Busch, 80 Meter vor uns schießen Kämpfer, Kugeln pfeifen. Ich habe dann zurückgeschossen, die Drohne geschnappt und dann sind wir zurück in unsere Fahrzeuge und weg. Das fand ich alles aber noch gar nicht so schlimm.“
Wochenlang sind Daniel und seine Männer im Feindgebiet unterwegs. Sie schlafen unter ihren gepanzerten Fahrzeugen, waschen sich notdürftig mit Wasser aus Trinkflaschen, stopfen Fertignahrung in sich hinein. „Alles war dreckig, dazu all die Eindrücke, der ganze Stress. Irgendwann bist du einfach am Ende.“ Doch die Männer halten zusammen, stützen sich gegenseitig. „Da war blindes Verständnis, da musste man gar nicht mehr viel reden. Die anderen Soldaten, das ist im Einsatz deine Familie. Und ein Soldat, der in den Einsatz geht, der ist bereit, für genau diese Kameraden das eigene Leben aufs Spiel zu setzen.“
Dann das Gefecht vom 4. Juni: Ein deutscher Spähtrupp, der feindliches Gebiet erkunden soll, ist in einen Hinterhalt geraten. Ein Selbstmordattentäter sprengt sich in die Luft, Kämpfer schießen mit Sturmgewehren und Panzerfäusten. Ein sorgfältig geplanter Hinterhalt. Daniel und seine Männer eilen den umzingelten Soldaten zu Hilfe. „Ich war an der Spitze, springe aus dem Auto, bespreche mich mit dem Zugführer der Aufklärer. Er hat die Augen weit aufgerissen, eine Handgranate in der Hand, schreit: ‚Die sind überall, die sind überall!‘“ An dieser Stelle stockt Daniel, die Stimme bricht, Tränen laufen aus seinen Augen. Der Blick geht ins Leere, er erinnert sich, ist zurück in Afghanistan, in den roten Bergen, in diesem staubigen Dorf Basoz: „Dieses Bild werde ich niemals vergessen“, sagt er.
„In so einem Moment tust du einfach alles, um deine Kameraden da wieder heil herauszubekommen. Und der Rest interessiert nicht. Auch dein eigenes Leben nicht.“ Zwei Panzerfäuste schlagen neben Daniel ein, Steine, Dreck, Fahrzeugteile fliegen durch die Luft. „Ich selbst hatte erst mal keine Angst, sondern war kurzzeitig einfach nur mit der Situation überfordert. Da rauschen solche Fragen durch den Kopf: Wo bin ich hier gelandet, in welchem Film bin ich? Und dann machst du das, was du gelernt hast. Ohne groß nachzudenken, du hast gar keine Zeit, um nachzudenken.“
Daniel kommandiert seine Soldaten, lässt sie aussteigen, in Deckung gehen. Zehn Taliban kommen auf die Deutschen zugerannt, ein 19jähriger Bundeswehrsoldat tötet sie mit seinem Maschinengewehr. Dann noch eine Angriffswelle, ein Kämpfer bleibt stehen, schießt auf Daniel und den Spähtruppführer. „Der Taliban hat ihm den Trageriemen des Gewehrs und die Schuhsohle weggeschossen. Und dann habe ich mein Gewehr hochgerissen, ihn zweimal in der Brust getroffen und ihn erschossen.“ Insgesamt töten die deutschen Soldaten an diesem Tag mehrere Dutzend Taliban, schließlich treffen weitere deutsche Kräfte ein, die Terroristen ziehen sich zurück.
Ob Daniel noch heute an den getöteten Taliban denkt? „Wenn er nicht auf mich geschossen hätte, hätte ich ihn auch nicht erschießen müssen. Aber er hat nun mal nach meinem Leben getrachtet. Klar ist der auch ein Mensch, klar hat er vielleicht auch Familie. Aber so ist das.“
Mehr als sechs Monate sind Daniel und seine Soldaten im Einsatz. Wieder und wieder werden sie beschossen, wieder und wieder sprengen sich Attentäter in die Luft. „Angst hatte ich permanent um meine unterstellten Soldaten. Dass ich irgendwo eine falsche Entscheidung treffe, die dazu führt, dass einer meiner Männer getötet wird. Wenn das passiert wäre, wäre ich zerbrochen. Das hätte ich mir nie verzeihen können.“
Doch Daniel bringt seine Soldaten sicher und gesund nach Hause. Ein halbes Jahr später ehrt ihn der damalige Verteidigungsminister zu Guttenberg mit dem Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit: „Durch Ihr mutiges und professionelles Handeln unter Lebensgefahr verhinderten Sie gemeinsam mit Ihren Weggefährten, dass Ihre Kameraden des Spähtrupps getötet wurden.“ Und: „Sie waren mutig, selbstlos und tapfer. Ihnen gebührt unsere Dankbarkeit und unsere Anerkennung.“
Damals dauert es Wochen, bis er nachts wieder schlafen kann, beim Joggen nicht mehr hinter jedem Baum einen Angreifer befürchtet. Der Einsatz hat ihn verändert. Daniel selbst sagt: Ich lebe jetzt bewusster. Er hat eine Familie gegründet, wenn er über sie spricht, wirkt er milde, ja – glücklich.
Heute arbeitet Daniel als Ausbilder. Und natürlich sieht er die Probleme mit dem mangelhaften Material, mit den zu wenigen und oft schlecht vorbereiteten Bewerbern. „Wir haben während der Ausbildung mehr und intensiver Zeit miteinander verbracht, als das heute möglich ist“, sagt er. „Und leider merken wir, dass die jungen Leute, die noch vor zehn Jahren zur Bundeswehr gekommen sind, deutlich fitter waren als die Menschen, die heute kommen. Da gehen wir verstärkt ran. Es gibt nun ein neues Konzept für den Sport in der Grundausbildung, inwiefern das greift, wird die Zeit zeigen.“
Was ihm der Orden bedeutet, wollen wir zum Abschluss wissen. „Ich bin kein Held. Was ich da getan habe, hätte jeder andere Soldat auch für mich getan“, sagt er. Und: „Für mich wäre es wichtiger, wenn sich die Gesellschaft für das interessieren würde, was wir in Afghanistan erlebt und gesehen haben, wenn da mal Nachfragen kommen würden. Aber die Leute haben genug Probleme mit sich selbst. Und das war’s. Leider.“
Quelle: Bild am Sonntag 10.06.2019