Traditionspflege in der Bundeswehr...

Traditionspflege in der Bundeswehr...

Beitragvon pentium » 9. April 2016, 16:19

Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, anlässlich des XXXII. Internationalen Militärhistorikerkongresses am 21. August 2006 in Potsdam

Potsdam, 21.08.2006.
Es gilt das gesprochene Wort!

Teil 1 der Rede

Ich freue mich, Sie heute im Militärgeschichtlichen Forschungsamt begrüßen zu dürfen. Historiker aus über dreißig Ländern sind in dieser Woche zu Gast in Potsdam, um über das Thema "Nationalstaat, Nationalismus und Militär“ zu diskutieren.
Ihre Tagung ist Sinnbild dafür, dass Militärgeschichte längst keine national geprägte Generalstabswissenschaft mehr ist.
Sie zielt nicht auf Überlegenheit gegenüber anderen Nationen ab. Es geht ihr vielmehr um den internationalen Diskurs und die kritische Reflexion.
Ihre enge Zusammenarbeit verdeutlicht, dass moderne Militärgeschichte das überwunden hat, was Sie zum Thema Ihres Kongresses ausgewählt haben: nämlich die unheilvolle Verbindung von Staat und Militär mit dem Nationalismus.

Meine Damen und Herren!
Die Internationale Kommission für Militärgeschichte ist Teil des Internationalen Komitees der Historischen Wissenschaften und damit der UNESCO. Dies ist ein überzeugender Ausweis für die hohe Bedeutung Ihrer Organisation.
Besonders freue ich mich, dass mit Professor Pommerin ein deutscher Historiker in den Vorstand der Internationalen Kommission für Militärgeschichte gewählt wurde.
Nach 1985 findet Ihr jährlicher Kongress nun zum zweiten Mal in Deutschland statt. Ich vermute, dass damals kaum einer derjenigen, die in Stuttgart teilnahmen, daran geglaubt hätte, dass die Mauer fallen, Deutschland wiedervereinigt und ein Kongress der Internationalen Kommission für Militärgeschichte in Potsdam stattfinden würde.

Meine Damen und Herren!
Mit der Wiedervereinigung unseres Landes und dem Ende des Kalten Krieges hat eine neue Epoche in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik begonnen.
Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert hat sich gelöst von der eindimensionalen Betrachtung von Militärpotentialen, wie sie für die Zeit des Kalten Kriegs im vergangenen Jahrhundert charakteristisch war.
Sicherheit muss heute mehr denn je neben militärischen gleichermaßen politische, diplomatische, soziale, ökonomische, ökologische und kulturelle Dimensionen umfassen. Der Einsatz von Militär ist keine von ausschließlich militärischen Erwägungen geleitete Handlung der Politik. Mehr denn je haben Soldaten eine unterstützende Rolle in einem breit angelegten sicherheitspolitischen Konzept.
Damit sinkt die Bedeutung des Militärs als Mittel staatlichen Handelns nicht, sondern ändert sie in Relation zu anderen Mitteln staatlichen Handelns.
In vielen Fällen schafft militärisches Handeln erst die Grundlage, auf der andere Akteure aufbauen können, um zu langfristigen und tragfähigen Konfliktlösungen zu gelangen.
Dies erfordert ein optimales Zusammenspiel und den effizienten Einsatz unterschiedlicher Akteure und Instrumente. Deshalb benötigen wir eine vernetzte Sicherheitspolitik – im nationalen wie im internationalen Bereich.
Deutschland engagiert sich dort, wo seine Sicherheitsinteressen betroffen sind. Diese definieren sich zunehmend europäisch. Deutschland und Europa haben ein vitales Interesse an stabilen Verhältnissen vor allem in den Nachbarregionen, aber auch darüber hinaus. Als Folge dieses Interesses ist die Bundeswehr heute eine Armee im Einsatz. Annähernd 8.000 Soldaten sind weltweit für Sicherheit und Stabilität außerhalb der Grenzen Deutschlands engagiert.
Die Bundeswehr stellt sich also den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Mit den im Rahmen der Transformation eingeleiteten Maßnahmen wird heute und zukünftig sichergestellt, dass sich die Streitkräfte kontinuierlich an sich ändernde Rahmenbedingungen anpassen. Oberstes Ziel bleibt dabei die Verbesserung der Einsatzfähigkeit.

Meine Damen und Herren!
Parallel zum Wandel im sicherheitspolitischen Umfeld haben sich auch einige Rahmenbedingungen für die militärgeschichtliche Forschung verändert. In Deutschland gab es in den letzten Jahren eine wahre Renaissance der Militärgeschichte.
War das Militärgeschichtliche Forschungsamt in Potsdam früher die einzige Institution, die sich mit diesen Fragen befasste, so gibt es heute einen Lehrstuhl für Militärgeschichte an der Universität in Potsdam, einen Arbeitskreis Militärgeschichte, einen Sonderforschungsbereich „Kriegserfahrungen“ und eine Vielzahl militärhistorischer Dissertationen an deutschen Universitäten.
Die Universität Potsdam, das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr und das Militärgeschichtliche Forschungsamt werden im nächsten Jahr erstmals einen Master-Studiengang „Militärgeschichte und Militärsoziologie“ anbieten.
Heute besitzen viele Deutsche ein stärker ausgeprägtes Bewusstsein dafür, dass Militärgeschichte wichtig ist für das politische Selbstverständnis unseres Landes. Sie haben erkannt, dass sie hilft, aktuelle Fragestellungen zu beantworten.
Deutschland wurde in seiner Geschichte mehr als andere Länder durch das Militär geprägt. Aufgrund seiner geostrategischen Mittellage in Europa war es immer wieder Schauplatz von Kriegen.
So führte etwa seine Zersplitterung nach dem Dreißigjährigen Krieg zu unzähligen bewaffneten Konflikten zwischen den deutschen Staaten.
Für den Aufstieg Preußens im 18. Jahrhundert spielte das Militär eine zentrale Rolle – nicht nur in der Erweiterung und Verteidigung des preußischen Staatsgebiets, sondern auch für die politische und soziale Entwicklung des Landes.
Preußen war ein Staat, in dem die Idee des Dienens für das Gemeinwohl geprägt und vorgelebt wurde. Noch heute werden Tugenden wie Pflichtbewusstsein, Treue, Leistungsbereitschaft, Bescheidenheit sowie Gottesfurcht bei gleichzeitiger Toleranz als preußische Tugenden bezeichnet.
Dass diese Tugenden im Nationalsozialismus pervertiert und für einen verbrecherischen Angriffskrieg genutzt wurden, darf die Tatsache nicht verdrängen, dass Preußen sein Militär meistens sehr zurückhaltend einsetzte. Nicht umsonst stand auf den preußischen Kanonen die Inschrift: „Ultima ratio regis“ – der Waffengang ist der letzte Ausweg.
Deutsche Geschichte zu verstehen, ohne das deutsche Militär zu berücksichtigen, ist daher nicht möglich. Das Militärgeschichtliche Forschungsamt ist dieser Aufgabe verpflichtet.
Es ist eine unabhängige Forschungseinrichtung, die in vollem Umfang die Freiheit von Forschung und Lehre gewährleistet. Auf diese Weise hat es sich nicht nur in den deutschen Streitkräften, sondern auch in der Wissenschaftslandschaft einen beachtlichen Namen geschaffen.
Der Wissenschaftsrat, der im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung Forschungseinrichtungen des Bundes evaluierte, hat bestätigt, dass das Militärgeschichtliche Forschungsamt einen unverzichtbaren Beitrag zur allgemeinen Geschichtswissenschaft leistet, der so von keinem anderen Institut erbracht wird.
Darüber hinaus hat das Militärgeschichtliche Forschungsamt den Auftrag, mit der Wissenschaft im Gespräch zu bleiben, neue Erkenntnisse für die Streitkräfte zu nutzen und zugleich spezifisch militärischen Sachverstand in die Geschichtswissenschaft einzubringen. Militärgeschichte darf jedoch nicht auf Kriegsgeschichte beschränkt werden. Wenn ich vorhin gesagt habe, kaum ein anderes Land sei so wie Deutschland von seinem Militär geprägt gewesen, so bedarf auch dies der historischen Erklärung.
Es müssen deshalb Fragen nach dem Zusammenhang von Militär und Gesellschaft beantwortet werden, nach der Verbindung von Militär und Technik, von Militär und Wirtschaft. Eine moderne Militärgeschichte muss sich daher als integraler Bestandteil der allgemeinen Geschichtswissenschaft verstehen.
Die Militärgeschichte hat damit auf Fragestellungen reagiert, wie sie sich insbesondere durch die Veränderungen im sicherheitspolitischen und gesellschaftlichen Umfeld entwickelt haben. Militärgeschichte als integraler Bestandteil einer allgemeinen Geschichtswissenschaft greift damit einen Gedanken auf, auf dem auch das Konzept der Vernetzten Sicherheitspolitik beruht.
Inhaltlich sehe ich einen Schwerpunkt der militärgeschichtlichen Forschungsarbeit bei der Aufarbeitung der Geschichte der Bundeswehr sowie der westdeutschen Sicherheitspolitik. Der Beitrag der Bundeswehr zur Friedenssicherung im Kalten Krieg verdient es, künftig noch stärker in den Blick genommen zu werden.
Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang auch die Militärgeschichte der DDR. Kein Staat in der deutschen Geschichte ist so durchgehend militarisiert gewesen wie die DDR; das "System der sozialistischen Landesverteidigung“ war allgegenwärtig.
Hier geht es nicht nur um jene, die von der Staatssicherheit verfolgt, eingesperrt oder psychisch zermürbt wurden. Hier geht es um die strukturelle Gewalt im Alltag, um Spielzeugpanzer im Kindergarten, um Wehrunterricht an den Schulen, um die alltägliche Militarisierung der Gesellschaft durch Luftschutz und Zivilverteidigung, um die Belastungen der Volkswirtschaft durch übersteigerte Rüstungsaufwendungen und ein Grenzsystem, das mit unglaublichem Aufwand, personell, materiell und finanziell, die Bürger daran hinderte, das eigene Land zu verlassen.
Von der Militärgeschichtsschreibung über die DDR erwarten wir auch einen Beitrag zu der Frage, welche Rolle der ostdeutsche Teilstaat im Rahmen des Ostblocks gespielt hat, oder auf die Frage, ob ihn sein übersteigertes Bedürfnis nach Sicherheit vor den eigenen Bürgern letztlich ruiniert hat.
Die Fragen müssen nach den Standards geschichtswissenschaftlicher Forschung bearbeitet werden. Ich freue mich, dass der Wissenschaftsrat gerade diese Aufgabe als besonders wichtig für das Militärgeschichtliche Forschungsamt herausgestellt hat.

Ende 1. Teil

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Traditionspflege in der Bundeswehr...

Beitragvon pentium » 9. April 2016, 16:22

Fortsetzung der Rede

Meine Damen und Herren!
Militärgeschichte bleibt für die Bundeswehr wichtig – auch als Grundlage für eine solide historische Bildung und für eine verantwortbare, wertebezogene Traditionspflege. Umfassende historische Bildung kann leider heute bei jungen Menschen nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Dabei ist ihr Interesse an Geschichte, vor allem an Militärgeschichte, groß.
Hier sehe ich eine Gefahr: Wer der Auseinandersetzung mit der Fachliteratur ausweicht, verlässt sich leicht auf zweifelhafte Quellen.
Dem zu begegnen, ist auch eine Aufgabe der Bundeswehr. Das Soldatengesetz fordert ausdrücklich eine staatsbürgerliche Unterrichtung für die Soldaten und das heißt vor allem eine gute politische und historische Bildung.
Auch hierzu leistet das Militärgeschichtliche Forschungsamt einen wichtigen Beitrag. Die Zeitschrift „Militärgeschichte“, so höre ich, hat in der Truppe nur den Nachteil, dass die Hefte viel zu früh Liebhaber finden und dann längst nicht jeder eines zum Lesen bekommt.
Die Unterrichtsmaterialien, die hier entwickelt werden, scheuen keinen Vergleich mit dem, was renommierte Fachverlage für den Unterricht an öffentlichen Schulen anbieten. Ich ermutige die Militärhistoriker ausdrücklich, diesen Weg weiter zu gehen.
Ganz wichtig sind die militärgeschichtlichen Hilfestellungen, die das Militärgeschichtliche Forschungsamt der Truppe mit ihrer Reihe „Wegweiser zur Geschichte“ zur Verfügung stellt. Die Soldaten der Bundeswehr brauchen heute interkulturelle Kompetenz – dazu gehört allemal ein Wissen um die Geschichte des oft sehr fremden Landes, in dem sie Freiheit und Frieden sichern sollen.
Hohe Bedeutung für die historische Bildung haben auch die beiden Museen in der Bundeswehr. Bei Ihrem Besuch im Luftwaffenmuseum in Berlin-Gatow werden Sie sich selbst ein Bild davon machen können.
Unser Militärhistorisches Museum in Dresden wird derzeit mit einem erheblichen finanziellen Aufwand nach einem Entwurf des international renommierten Architekten Daniel Libeskind von Grund auf neu gestaltet.
Wir werden dort nach modernsten museumspädagogischen Erkenntnissen militärhistorische Inhalte so präsentieren, dass die Besucher ein sowohl spannendes als auch lehrreiches Erlebnis haben werden.

Meine Damen und Herren!
Deutsche haben aus nachvollziehbaren Gründen ein schwieriges Verhältnis zur Tradition und wir haben es uns in der Bundeswehr mit dem Thema der Tradition nicht leicht gemacht. Carl Friedrich von Weizsäcker hat einmal gesagt, Tradition ist bewahrter Fortschritt, Fortschritt ist weitergeführte Tradition.
Wir können im Umgang mit militärischen Traditionen nicht so unbefangen sein, wie das anderen Nationen möglich ist. Wir müssen genauer hinschauen. Nicht nur, um die Berufung auf belastete Traditionen zu verhindern. Sondern genauso, um pauschale Verurteilungen zu vermeiden.
Im Traditionserlass aus dem Jahre 1982 heißt es dazu:
"DIE GESCHICHTE DEUTSCHER STREITKRÄFTE HAT SICH NICHT OHNE TIEFE EINBRÜCHE ENTWICKELT. IN DEN NATIONALSOZIALISMUS WAREN STREITKRÄFTE TEILS SCHULDHAFT VERSTRICKT, TEILS WURDEN SIE SCHULDLOS MISSBRAUCHT. EIN UNRECHTSREGIME, WIE DAS DRITTE REICH, KANN TRADITION NICHT BEGRÜNDEN.“
Tradition ist die wertebezogene Auswahl aus der Geschichte. Sie fordert umfassende historische Kenntnisse, aber auch einen klaren Bezug zu den Werten, für die die Bundeswehr heute steht.
Dabei gilt es, das Selbstverständnis des modernen Soldaten zu berücksichtigen. Denn dieser ist, trotz aller Ausweitung seiner Rolle als Helfer, Vermittler und Retter im Kern immer noch Kämpfer.
Die Bundeswehr orientiert sich in ihrem Traditionsverständnis an den demokratisch-rechtsstaatlichen Ansätzen der deutschen Geschichte, allen voran den preußischen Heeresreformern, den revolutionären Ansätzen nationalstaatlicher, freiheitlicher Demokratie von 1848, den Frauen und Männern des Widerstandes im „Dritten Reich“ sowie der eigenen, mehr als 50-jährigen Geschichte der Bundeswehr.
Es versteht sich, dass gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte Persönlichkeiten, die mit Zivilcourage und Mut unter Einsatz ihres Lebens in den dunklen Seiten der deutschen Geschichte für Freiheit und Recht eingetreten sind, auf besondere Weise Tradition bilden. Das Thema „Tradition und Geschichte“ ist schwierig und verlangt Einfühlungsvermögen und ein ausgewogenes, maßvolles Urteil. Mit Blick auf die deutsche Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts muss es unser Bestreben sein, Lehren für die Gegenwart und die Zukunft zu ziehen.
Nur wenn wir unsere Geschichte kennen und ihre vielseitigen Abhängigkeiten verstehen, hat unser Handeln in Gegenwart und Zukunft Aussicht auf Erfolg.
Und mit Blick auf die Zukunft ist festzustellen, dass bei zunehmenden Einsätzen in Krisengebieten auch Kampfhandlungen und die Extremsituationen von Gefecht und Krieg leider nicht ausgeschlossen werden können.
Beim Blick auf die Traditionspflege bei den Streitkräften unserer Verbündeten fällt auf, dass dort vor allem große militärische Führungspersönlichkeiten (wie zum Beispiel Admiral Nelson in Großbritannien, Napoleon in Frankreich) und ihr beispielhaftes Handeln in Krieg und Kampf in ehrender Erinnerung gehalten werden, auch wenn sie in anderen, vordemokratischen Zeiten lebten und handelten.
Wir dürfen deshalb Traditionswürdigkeit nicht so eng auslegen, dass große, integre, beispielgebende Persönlichkeiten der deutschen politischen Geschichte oder der Militärgeschichte – wie der Große Kurfürst, Friedrich der Große, Moltke der Ältere – für die Bundeswehr ganz außen vor gelassen werden.

Meine Damen und Herren!
Die Bundeswehr hat heute ein anderes Gesicht als vor 20 Jahren. Sie hat sich zu einer Einsatzarmee gewandelt und ist in hohem Maß international, vor allem in NATO und EU, eingebunden. Beispiele dafür sind die NATO Response Force sowie die EU Battle Groups, an denen sich die Bundeswehr substantiell beteiligt.
Und nur wenige Kilometer von hier führt derzeit das Operative Hauptquartier die in der Demokratischen Republik Kongo eingesetzten Soldatinnen und Soldaten der Europäischen Union. Früher war die europäische Geschichte vor allem Kriegsgeschichte; heute ist sie eine Erfolgsgeschichte der Integration, an der die Streitkräfte maßgeblichen Anteil haben.
Es erleichtert die Zusammenarbeit unter den Soldaten, wenn sie nicht nur mit der eigenen, sondern auch mit der Geschichte der Partnerstaaten vertraut sind. Dazu leistet die Internationale Kommission für Militärgeschichte einen unverzichtbaren Beitrag.

Meine Damen und Herren!
In den nächsten Tagen werden Sie sich intensiv mit Fragen nach neuen methodischen Ansätzen in der Militärgeschichte, nach der Rolle von Streitkräften im Nationalstaat und in internationalen Bündnissen, und nach Möglichkeiten internationaler Kooperation bei der Auswertung von Quellen beschäftigen.
Dafür wünsche ich Ihnen Erfolg.
Das Tagungsprogramm sieht genügend Zeit vor, Ihnen einige der Schönheiten und Sehenswürdigkeiten Deutschlands zu zeigen.
Gehen Sie mit offenen Augen durch Potsdam und Berlin. Haben Sie einen Blick dafür, wie viel seit der Wende 1989/90 hier geleistet worden ist.
Das neue internationale politische System stellt uns alle vor große Herausforderungen. Unsere Anstrengungen heute müssen sich daran orientieren, dass in dreißig Jahren eine neue Generation von Historikern eine positive Entwicklung bilanzieren kann.

Vielen Dank!
Quelle:
http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/!ut/p/ ... DhurVjw!!/

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Re: Traditionspflege in der Bundeswehr...

Beitragvon pentium » 9. April 2016, 17:46

Kleiner Auszug aus dem Wegweiser für die Traditionspflege im Heer

Abschrift (ohne Anlagen) der unter Aktenzeichen Fü H I 1 - Az 35-31-01
vom Inspekteur des Heeres in Kraft gesetzten Ausgabe vom 1. Dezember 1999

Hinweise

4.30 Die Nationale Volksarmee (NVA)

In Gesprächen über die Traditionswürdigkeit der NVA werden häufig folgende Auffassungen vertreten:
"Die NVA war die Streitkraft des anderen deutschen Staates, der DDR. Zwischen ihr und der Bundeswehr gibt es keinen Unterschied!"
"Die NVA war eine Parteiarmee. Die Soldaten, die in ihr dienten, waren zum bedingungslosen Gehorsam gegenüber der SED verpflichtet! Die Offiziere waren zu 97% Mitglieder der SED!"
"Die Soldaten, die in der NVA dienten, leisteten ehrenvollen soldatischen Dienst. Ausnahmen gab es nur bei den Grenztruppen. Die Volksarmisten fühlten sich ihrem Vaterland DDR genauso verpflichtet wie die Soldaten der Bundeswehr der Bundesrepublik Deutschland."
"Für uns muß auch die NVA traditionswürdig sein. Sie ist eine Deutsche Armee und Bestandteil der Geschichte."

Hintergrund
Nationale Volksarmee (NVA) war die Bezeichnung für die Streitkräfte der Deutschen Demokratischen Republik. Sie bestand aus den Landstreitkräften, den Luftstreitkräften sowie der Volksmarine. Die Friedensstärke der NVA betrug ca. 174.000 Soldaten. Im Falle einer Mobilmachung wären die 47.000 Mann der "Grenztruppen der DDR" in die NVA eingegliedert worden, so daß mit einzuberufenden Reservisten eine Gesamtstärke von 400.000 Soldaten hätte erreicht werden können.

Überlegungen
Bundeswehr und Nationale Volksarmee sowie ihre Einbindung in die jeweiligen Bündnisse sind wesentliche Kennzeichen deutscher Militärgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg. Zwischen beiden Armeen gab es substantielle Unterschiede. Dies wird bei der NVA schon an folgenden Kernpunkten deutlich:
- Fahneneid: "Ich schwöre der Deutschen Demokratischen Republik, meinem Vaterland, allzeit treu zu dienen und sie auf Befehl der Arbeiter- und Bauernregierung gegen jeden Feind zu schützen. Ich schwöre, an der Seite der Sowjetarmee und der Armeen der mit uns verbündeten Länder als Soldat der Nationalen Volksarmee jederzeit bereit zu sein, den Sozialismus gegen alle Feinde zu verteidigen und mein Leben zur Erringung des Sieges einzusetzen..."
- Verflechtung zwischen der NVA und der SED. Die Mehrzahl der Vorgesetzten in der NVA gehörte der SED an. Der Dienstbetrieb wurde intensiv von den "Stellvertretern für die politische Arbeit" aller Ebenen beeinflußt, die zum einen den truppendienstlichen Vorgesetzen und zum anderen dem "Politorgan" der vorgesetzten Dienststelle unterstellt waren.

Deshalb kann die NVA für die Bundeswehr keine Tradition begründen. Dies schließt, aber nicht aus, daß Soldaten, die in der NVA gedient und sich menschlich anständig verhalten haben, unsere Achtung verdienen und in geeigneten Fällen auch als Vorbild einbezogen werden können (=> 4 - 14).

Viele Soldaten der NVA versahen ihren Dienst im guten Glauben an ihren Staat. Nur ganz wenige junge Männer konnten sich vor ihrer Einberufung in die NVA der Indoktrination durch das politische System entziehen.
Offene Grenzen und die Informationsfreiheit, wie sie für den Bundesbürger in der alten Bundesrepublik selbstverständlich waren, fehlten. Nach dem Mauerbau 1961 gab es nur wenige Möglichkeiten zu Kontakten in nichtsozialistische Länder. Dies ist bei einer Beurteilung der NVA stets zu berücksichtigen.

Die ZDv 10/1 stellt heraus: "Unstrittig ist daß die mit der Vereinigung Deutschlands aufgelöste Nationale Volksarmee wegen ihres Charakters als Partei- und Klassenarmee eines kommunistischen Systems keine Tradition für die Bundeswehr stiften kann."

Merke:
- Die NVA war eine Partei- und Klassenarmee auf der Basis der allgemeinen Wehrpflicht.
- Die Orientierung der NVA an der sozialistischen Ideologie und ihre Einbindung in das System des Warschauer Paktes werden unter anderem im Fahneneid deutlich.
- Viele Menschen leisteten ihren Dienst in der NVA guten Glaubens an ihren Staat. Es ist nicht zu rechtfertigen, denen die Achtung zu versagen, die sich nichts Ehrenrühriges haben zuschulden kommen lassen.

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Re: Traditionspflege in der Bundeswehr...

Beitragvon pentium » 9. April 2016, 17:49

Hier die Wehrmacht...

4.29 Die Wehrmacht

In Gesprächen über die Traditionswürdigkeit der Wehrmacht werden häufig folgende Auffassungen vertreten:
"Die Wehrmacht war die Armee unserer Väter und Großväter - sie haben im guten Glauben und ehrenhaft gekämpft!"
"Die Wehrmacht hatte nichts mit dem nationalsozialistischen Regime zu tun - sie führte lediglich die Aufträge der politischen Führung aus!"
"Die Leistungen der Wehrmacht sind beispielhaft - sie muß Bestandteil unserer Traditionspflege sein!"
"Die Wehrmacht war tief in das nationalsozialistische Regime verstrickt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, haben ihre Angehörigen alle Befehle ausgeführt!"

Hintergrund
Die Wehrmacht ist aus der Reichswehr der Weimarer Republik hervorgegangen. Die Bezeichnung "Wehrmacht" ist mit dem "Gesetz über den Aufbau der Wehrmacht" vom 16.03.1935 festgeschrieben worden.

Die Wehrmacht bestand aus dem Heer, der Luftwaffe und der Kriegsmarine. Der Oberbefehlshaber der Wehrmacht war bis zum 27. 01. 1938 der Reichskriegsminister, Generalfeldmarschall Werner von Blomberg. Danach übernahm Hitler selbst die Befehlsgewalt über die gesamte Wehrmacht und nach der Entlassung des Oberbefehlshabers des Heeres, Generalfeldmarschall Walter von Brauchitsch (am 19.12.1941) auch den Oberbefehl über das Heer, nicht jedoch den Oberbefehl über die Luftwaffe und die Kriegsmarine.

Die Wehrmacht war Waffenträger und Kriegsinstrument des Dritten Reiches. In der Wehrmacht und den ihr zugeordneten Organisationen dienten in den zehn Jahren ihrer Existenz etwa 19 Millionen Menschen: Männer und als Wehrmachtshelferinnen auch Frauen; Deutsche, aber auch Angehörige anderer Staaten.

Überlegungen
Die Wehrmacht war unbestreitbar die Armee unserer Väter und Großväter. Sie haben pflichtgemäß und in der Mehrzahl guten Glaubens nach bestem Wissen und Gewissen ihren Dienst geleistet. Viele haben dabei ihr Leben gelassen. Angesichts nachgewiesener Verbrechen im Zweiten Weltkrieg ist für nachgeborene Generationen die Versuchung zur pauschalen moralischen Verurteilung groß, kann aber der Kriegsgeneration nicht gerecht werden.

Jede verantwortungsbewußte historische Aufarbeitung der Geschehnisse zwischen 1935 und 1945 muß berücksichtigen, unter welchen Einflüssen und Erfahrungen die Kriegsgeneration aufwuchs. Sie wird angesichts der Tragik dieser Generation pauschalierende Wertungen meiden.

Die Wehrmacht hat sich zum reinen Ausführungsorgan für das nationalsozialistische Regime entwickelt. Die Führung der Wehrmacht hat Hitler ihre Loyalität immer wieder, manchmal in übertriebenem Maße, bewiesen. Dies führte so weit, daß in der Wehrmacht sogar offensichtlich verbrecherische Befehle gegeben und kritiklos umgesetzt wurden. Auch in diesen Fällen hätte sich soldatisches Handeln an militärischen Tugenden, am Ehrenkodex, am Kriegsvölkerrecht und an humanitären Grundwerten wie der Menschenwürde orientieren müssen.

All dies war Teil der soldatischen Tradition in Deutschland. Insbesondere hohe militärische Führer haben diese Orientierung nicht oder nicht erkennbar in ihren Lagebeurteilungen berücksichtigt und entsprechende Konsequenzen gezogen. Auch als ihnen deutlich wurde, welche Ziele das Regime verfolgte, haben viele militärische Führer wider besseres Wissen gehandelt.

Die militärischen Leistungen der Wehrmacht können nicht von der politischen Zielsetzung des nationalsozialistischen Regimes getrennt werden, auch dann nicht, wenn diese Leistungen heutzutage von den ehemaligen Kriegsgegnern immer wieder als beispielhaft hervorgehoben werden. Diese militärischen Leistungen sind ein Kapitel der deutschen Militärgeschichte und können für die Ausbildung genutzt werden. Sie allein begründen jedoch keine Tradition.

Die Traditionsrichtlinien vom 20. September 1982 fahren dazu aus: "Soldatische Erfahrungen und militärische Leistungen der Vergangenheit können für die Ausbildung der Streitkräfte von Bedeutung sein. Dabei ist stets zu prüfen, inwieweit Überliefertes angesichts ständig sich wandelnder technischer und taktischer, politischer und gesellschaftlicher Gegebenheiten an Wert behält ...

Die historische Forschung hat mittlerweile viele Beispiele herausgearbeitet, die belegen, daß die Wehrmacht mit ihrer Spitze, mit Truppenteilen und mit einzelnen Soldaten in das Unrecht des nationalsozialistischen Regimes tief verstrickt gewesen ist und selbst Verbrechen begangen hat. Dabei sind auf Grund der unterschiedlichen Formen der Kriegführung Verbrechen an der Ostfront und auf dem Balkan wesentlich häufiger verübt worden als im Kampf gegen die Westalliierten.

Der Traditionserlaß erklärt dazu in Nr. 6: "Die Geschichte deutscher Streitkräfte hat sich nicht ohne tiefe Einbrüche entwickelt. In den Nationalsozialismus waren Streitkräfte teils schuldhaft verstrickt, teils wurden sie schuldlos mißbraucht. Ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich kann Tradition nicht begründen."

Merke:
- "Die Wehrmacht war als Organisation des Dritten Reiches in ihrer Spitze, mit Truppenteilen und mit Soldaten in Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt. Als Institution kann sie deshalb keine Tradition begründen."
Bundesminister der Verteidigung Volker Rühe. Aktuelle Stunde im Bundestag am 13.03.1997, Bundestagsdrucksache, 13. Wahlperiode, 163. Sitzung, S. 14721
- Andererseits ist die Wehrmacht die Armee unserer Väter und Großväter Es wäre Geschichtsklitterei, eine ganze Generation pauschal mit den Verbrechern einer Epoche zu belasten. Angesichts der Tragik der Kriegsgenerationen ist jedes undifferenzierte Urteil unangemessen. Wer in der Wehrmacht gedient hat, darf nicht schon deswegen verunglimpft oder ins Abseits gestellt werden.
- Militärische Leistungen von Truppenteilen, Dienststellen und einzelnen Soldaten der Wehrmacht können in der militärgeschichtlichen und taktischen Weiterbildung verwendet werden. Um Mißverständnisse zu vermeiden, muß dabei der allgemeine historische Kontext dargestellt werden, in dem die entsprechende Leistung vollbracht wurde.

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