Dazu auch dieses:
Der mysteriöse Tod des DDR-Grenzers Hans-Jürgen N.Von Sven Felix Kellerhoff | Veröffentlicht am 18.11.2015 |
Der Tatort: Der Leichnam von Hans-Jürgen Neubert (gepixelt) am 2. Februar 1977. Die Lage der Waffe passt kaum zu einem Selbstmord.
Quelle: BStU
Am 2. Februar 1977 soll sich der Grenztruppen-Feldwebel Hans-Jürgen Neuber erschossen haben. So steht es im Stasi-Bericht. Nun wurden die sterblichen Überreste untersucht. Mit ambivalentem Ergebnis. Jahrzehntelang zurückliegende Todesfälle aufklären? Kein Problem für heutige Gerichtsmediziner! Allerdings leider nur im Fernsehen, sei es beim „Letzten Zeugen“, bei „Bones“ oder im Münsteraner „Tatort“ für Prof. Dr. Karl-Friedrich Boerne alias Jan-Josef Liefers. Die Wirklichkeit allerdings sieht anders aus. Zwar gelingen immer wieder spektakuläre Erfolge – doch in viel mehr Fällen kann auch der beste Forensiker die Täter nicht mehr überführen.
Das trifft wohl auch für den DDR-Grenzsoldaten Hans-Jürgen Neuber zu. Am 2. Februar 1977 war der Stabsfeldwebel in seinem Unterkunftsraum in der Grenzkompanie Erbenhausen mit einem Kopfdurchschuss leblos aufgefunden worden. Auf den ersten Blick ein Selbstmord, und zu diesem Ergebnis kam auch die Bezirksverwaltung Suhl des Ministeriums für Staatssicherheit. Doch Neubers Witwe konnte nicht an einen Suizid glauben: Ihr Mann hatte nur noch wenige Monate Dienst abzuleisten, er freute sich auf die Zeit danach. Außerdem war und ist bekannt, dass die Stasi gern unangenehme Ereignisse vertuschte oder „geradebügelte“.
Nach 38 Jahren wurden am 9. September 2015 die sterblichen Überreste Neubers exhumiert. Der Direktor des Rechtsmedizinischen Instituts der Charité Berlin, Michael Tsokos, hat jetzt abschließend festgestellt, dass sich „die Befunde des Kopfschusses bei dem DDR-Grenzsoldaten Neuber mit einem Suizid in Einklang bringen lassen“. Tsokos ist nicht irgendwer, sondern der sicher bekannteste echte deutsche Pathologe – eine Koryphäe, auch wenn manche seiner Kollegen ihm den Erfolg seiner Bücher manchmal neiden.
Anzeige
Von Neubers Leichnam waren nach der langen Liegezeit im überwiegend erhaltenen Holzsarg zahlreiche Knochen und Knochenfragmente gesichert worden. Tsokos ließ sie in seinem Institut per Computertomograf untersuchen. Zwar konnte weder das Ein- noch das Ausschussloch im Schädel nachgewiesen werden. Die entsprechenden Knochenfragmente waren aufgrund eines Trümmerbruchs der Schädelbasis nicht mehr vorhanden.
Der Gerichtsmediziner fand keine Belege, dass „in irgendeiner Form manipuliert worden“ sei. Naturgemäß würden bei einem Kopfdurchschuss Teile der Schädelbasis zertrümmert. Die so entstandenen sehr kleinteiligen Knochenfragmente seien 38 Jahre nach Todeseintritt nicht mehr nachweisbar. Bei der Aktenauswertung, der Überprüfung des Protokolls der Sektion von 1977 sowie der damals gefertigten Fotografien ergaben sich ebenfalls keine Hinweise auf verfälschte Ergebnisse.
Damit ist allerdings die Kernfrage nicht beantwortet. Denn ohnehin war unwahrscheinlich, dass mit der Untersuchung der Knochen der mysteriöse Todesfall Neuber aufgeklärt werden könnte. Dass der Feldwebel durch einen Kopfschuss starb, ist klar. Aber wie kam es dazu? Seine Witwe Vera glaubt, dass Kameraden ihren Mann regelrecht hingerichtet haben könnten und den Mord als Suizid darzustellen versuchten.
Falls es aber am Leichnam Spuren von äußerer Gewalt gab, etwa Blutergüssen oder Quetschungen, weil er festgehalten wurde, als die Kugel seinen Schädel traf, wären diese an Knochenfragmenten sicherlich nicht mehr nachweisbar. So etwas gelingt wirklich nur in TV-Krimis.
Es bleibt der Widerspruch, dass sich Hans-Jürgen Neuber das Leben genommen haben soll, obwohl es darauf keine Hinweise gab. „Offen bleibt die Frage nach dem Warum?“, teilte die thüringische Staatskanzlei mit. Deshalb solle mit Vera Koch, verwitwete Neuber geklärt werden, „ob und in welchem Umfang noch Archivrecherchen und Zeitzeugenbefragungen erfolgen sollen“. Es soll damit auch gewährleistet werden, einvernehmlich alle Möglichkeiten der Aufklärung ausgeschöpft zu haben.
https://www.welt.de/geschichte/article1 ... gen-N.html