Zugriff vor Abflug - Als die Stasi drei Dynamos verhaftete

Zugriff vor Abflug - Als die Stasi drei Dynamos verhaftete

Beitragvon augenzeuge » 18. Februar 2021, 16:28

Sie wollen mit der DDR-Nationalelf nach Südamerika, doch dann ändert sich am 24. Januar 1981 ihr Leben - die Hintergründe im "Fall Weber, Kotte, Müller".

https://www.saechsische.de/sport/fussba ... -plus.html

Und weil man den Link nicht vollständig lesen kann, ein paar weitere Infos.

Stars waren sie und sind jetzt Staatsfeinde. Nicht mehr Vorbild, sondern Verräter. Wo Vertrauen war, gibt es nun Verhöre. Statt in volle Stadien kommen sie in düstere Stasi-Keller. Lange ist das her, es stammt aus einer völlig anderen Zeit. Doch vergessen werden es Gerd Weber, Peter Kotte und Matthias Müller, der eine 64, die beiden anderen 66, nie. Zu tief, viel zu tief in ihre Herzen und in ihre Köpfe ist das eingegraben, eingemeißelt gar, was diesen drei Fußball-Größen von Dynamo Dresden am 24. Januar 1981, vor exakt 40 Jahren, passiert ist. Das Schlimme daran: Es gibt nur Verlierer. Das Schlimmste aber: Die größten Verlierer, nämlich Weber, Kotte und Müller, sind, jedenfalls hat niemand das Gegenteil beweisen können, ohne Schuld.

Es ist ein Albtraum, der nie endet. Ein Schock, der nie vergeht. Es ist wie eine schuldlose Vertreibung aus dem Leben. Eine Ächtung für – nichts! Es hat ganz viel mit Misstrauen zu tun und mit Menschenfeindlichkeit, mit Hass und Häme, mit Spitzeln und Spionage, mit ziemlich viel Parteigehorsam und mit noch mehr Paranoia. Es ist ein richtig böses Stück aus dem Kalten Krieg.

Nationalspieler sind sie, alle drei. Beim Meister-Hattrick der Schwarz-Gelben von 1975/76 bis 1977/78 sind sie als treibende Kräfte dabei.

Als die Maschine aber vom Zentralflughafen Schönefeld abhebt, fehlen Weber, Kotte und Müller. Die restlichen Spieler – von Dynamo sind nur noch Kapitän Hans-Jürgen „Dixie“ Dörner und Reinhard Häfner an Bord – bekommen kaum etwas mit. Niemand weiß und keiner sagt etwas.

Längst sitzen Weber, Kotte und Müller im Kleinbus der Staatssicherheit und sind auf dem Weg zurück nach Dresden. Ihr Vergehen: Weber habe ein Angebot vom 1. FC Köln für die Bundesliga, 100.000 D-Mark Handgeld sowie 200.000 D-Mark Jahresgage, die beiden anderen wüssten davon und stehen als Mitwisser, die ihren Kumpel nicht verraten hätten, am Pranger. In den Spielen des Uefa-Cups im Herbst 1980 bei Twente/Enschede und bei Standard Lüttich soll Weber jeweils einen verräterischen Zettel bekommen haben.

Was die Stasi nicht weiß: Die Kölner haben Weber nie ein Angebot gemacht. Es soll sich um den Alleingang eines Wichtigtuers handeln. Das Böse aber, ob Scharlatan oder Hochstapler: Hierbei – die Flucht von Lutz Eigendorf vom BFC Dynamo liegt keine anderthalb Jahre zurück, auch Trainer Jörg Berger ist erst 1979 stiften gegangen und Norbert Nachtweih sowie Hans-Jürgen Pahl 1976 – versteht die Stasi keinen Spaß. Da wird ganz hart durchgegriffen.

Weber wird zu Haft verknackt, nach elf Monaten vorzeitig entlassen. Aus dem Deutschen Turn- und Sportbund, der Sport-Dachorganisation, wird er ausgeschlossen, sodass er danach nicht einmal beim kleinsten Dorfverein kicken darf. Sportstudium? Vorbei! Lehre als Kfz-Mechaniker? Ja, aber ohne Meisterprüfung! Anträge auf Ausreise? Nicht genehmigt! Erst im Herbst 1989, wenige Wochen vor dem Fall der Mauer, geht er mit Familie über Ungarns grüne Grenze ins Badische. In Friesenheim im Schwarzwald ist er nun zu Hause.

Kotte und Müller kann nichts nachgewiesen werden. Aus den Reihen der Volkspolizei, bei der sie als Spieler von Dynamo sind, werden sie als Fahnenflüchtige betrachtet und nach siebentägigen Verhören in Unehren entlassen. Beide dürfen wenigstens in der drittklassigen Bezirksliga spielen, Müller in Meißen und Kotte in Neustadt. Als Kottes Fortschritt-Elf 1982 aber als Bezirksmeister den Aufstieg in die DDR-Liga schafft und der Ex-Nationalspieler etliche der 73 Saisontore erzielt, darf er dort nicht weitermachen. Mit dem Fall der Mauer werden Weber, Kotte und Müller von Dynamo rehabilitiert. Doch die Verhaftung und die Verhöre bleiben, die Kälte und der Knast, der Ärger und die Ängste. Für immer.

https://www.berliner-kurier.de/fussball ... -li.134742
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Re: Zugriff vor Abflug - Als die Stasi drei Dynamos verhaftete

Beitragvon augenzeuge » 18. Februar 2021, 16:35

Info zu G. Weber:
Dynamo Dresden stand als hervorgehobene Sportgemeinschaft der DDR-Sicherheitsorgane unter besonderer Beobachtung des Ministeriums für Staatssicherheit. Dieses bediente sich dabei zahlreicher Informanten außer- und innerhalb der Oberligamannschaft. Gerd Weber wurde 1975 als Inoffizieller Mitarbeiter angeworben und erwies sich mit mehr als 70 Berichten über seine Mannschaft als ergiebige Quelle. Ihm war die Aufgabe zugeteilt worden, seine Mannschaftskameraden bei den Olympischen Spielen 1976 und bei Einsätzen im westlichen Ausland zu observieren.

Und hier das Video zum Fall Weber:
https://fb.watch/3KhBnKbTTn/
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Re: Zugriff vor Abflug - Als die Stasi drei Dynamos verhaftete

Beitragvon Kumpel » 18. Februar 2021, 16:53

Niemand weiß und keiner sagt etwas.


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