Ein Stück Geschichte erstrampelt

Wie sieht es heute an der ehemaligen innerdeutschen Grenze aus?

Ein Stück Geschichte erstrampelt

Beitragvon andr.k » 8. Juli 2014, 09:44

Gymnasiasten aus Lübz radeln entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze und sprechen mit Zeitzeugen über DDR-Regime

Die Sonne hatte die schnurgerade Schneise im Wald bei Leisterförde kräftig aufgeheizt, als Jennie Springer gestern den sandigen Weg zwischen den Wäldern entlang geradelt kam. Zusammen mit ihren Klassenkameraden vom Eldenburg-Gymnasium in Lübz und zahlreichen weiteren Radlern legte sie an einer Gedenktafel einen Zwischenstopp ein. „Man fährt durch diese Idylle und ahnt gar nicht, was hier alles passiert ist“, bekannte die Schülerin. Genau an dieser Stelle, wo die Schneise einen rechtwinkeligen Knick macht, wurde vor 38 Jahren Michael Gartenschläger an der deutsch-deutschen Grenze erschossen. Er hatte vom Westen aus zum dritten Mal versucht, einen der tückischen Selbstschuss-Apparate vom längst verschwundenen Grenzzaun zu holen, als er von einem Sondertrupp der Stasi erschossen wurde.

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Kurze Rast: Gymnasiasten aus Lübz auf der Fahrradtour entlang der deutsch-deutschen Grenze
Foto: Andreas Frost


Wenig später erzählte im schattigen Unterholz der ehemalige Bundesgrenzschützer Dieter Schmidt der Grenztour-Truppe, wie er im Frühjahr 1976 die Tage vor und nach dem Tod Gartenschläger erlebte. Uwe Ruthkowski berichtete von seiner gemeinsamen Haftzeit mit Gartenschläger. Beide waren in der DDR wegen läppischer Vergehen zu drastischen Strafen verurteilt und später von der Bundesrepublik freigekauft worden. Auch mit dem Prozess gegen drei der Stasi-Schützen setzten sich die Geschichts-Touristen auseinander. Sie wurden im Jahr 2000 von einem Schweriner Gericht freigesprochen.

In Herrenburg bei Lübeck war die Gruppe am Mittwoch gestartet. 140 Kilometer entlang der ehemaligen Grenze bis nach Dömitz will sie bis Sonntagabend schaffen. Organisiert wurde die Tour 25 Jahre nach der Öffnung der Mauer über die Landesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Anne Drescher. Die Historikerin Sandra Pingel-Schliemann begleitete die Gruppe. Durch anschauliche Beispiele aus der Region wollte sie den Radlern die facettenreiche Geschichte der deutschen Teilung nahe bringen.

Die Gymnasiastin Anja Schmalfeldt war besonders von dem Denkmal für Harry Weltzin in Kneese beeindruckt. Er starb vor 31 Jahren, als er beim Versuch, sich unter den Grenzzaun durchzugraben, einen der Selbstschussautomaten auslöste. Auch die Grenzsicherungsanlagen, die beim Grenzhus in Schlagsdorf erhalten sind, haben Anja interessiert: „Wir können uns das sonst ja nicht vorstellen.“ Sie sind durch die geschliffenen Dörfer Lenschow und Neuhof gefahren, und haben auf der Insel Stintenburg im Schaalsee etwas über die Stasi-Truppe gelernt, die hier ausgebildet wurde. Die spannendsten Momente waren allerdings die Gespräche mit den Zeitzeugen. Jennie: „Auch die guten Geschichten waren wichtig. Von den Fluchtversuchen, die geglückt sind.“

Ingrid Schreiner wollte sowieso eine Fahrradtour machen, als sie von der Grenzradtour erfuhr, und sich spontan anmeldete. „Die Grenze ist ja verschwunden, auch aus vielen Köpfen“, sagte die 77-jährige Ärztin aus Zierow bei Wismar. „Auch ich habe manches verdrängt. Aber jetzt ist die DDR wieder da.“ Nach einer kleinen Pause ergänzte sie „Und ich bekomme immer wieder Gänsehaut, wenn ich an all die ,Regulierungen’ denke.“ Es sei gut, wenn Jugendliche erfahren, wie das Grenz-Regime funktionierte und „wie gut sie es heute haben“.

Quelle: SVZ.de

AK
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