Leben und wohnen an der Grenze

Re: Leben und wohnen an der Grenze

Beitragvon Werner Thal » 14. Februar 2017, 20:28

Leben in der Sperrzone Sparnberg in der DDR

Das kleine Dorf liegt in einer Schleife der Saale, die die bayerisch-thüringische Landesgrenze
markiert. Viele Jahrzehnte spielte jedoch der Fluss als Grenze keine Rolle, das thüringische
Starnberg und das bayerische Rudolphstein waren wie ein Dorf: Verwandte lebten beiderseits
der Grenze, das Wirtshaus am Hang auf Rudolphsteiner Seite war ein beliebter Treffpunkt für
die Männer aus beiden Dörfern.

Dann wurde Deutschland geteilt und damit auch beide Dörfer getrennt. In der DDR wurden viele
Dörfer direkt an der Grenze evakuiert, die Bewohner wurden umgesiedelt. Starnberg war eine
Besonderheit. Das Dorf reicht in der Flussniederung bis direkt an die Saale, auf bayerischer Seite
steigt sofort ein steiler Hang an. Dadurch konnte man von Bayern wie auf einem Logenplatz
direkt ins Dorf hineinsehen, und das Leben dort beobachten. Deshalb bemühten die DDR-Oberen
sich, für die Beobachter und Kameras auf westlicher Seite glückliches Dorfleben zu inszenieren.

Das Dorf war nicht nur zur Bundesrepublik, sondern auch zur DDR abgeschottet. Besuche in
Starnberg mussten Wochen vorher angemeldet werden und beim geringsten Verdacht versagt.
Kindergeburtstage mit Kindern von außerhalb des Dorfs blieben Utopie. Dazu kam die ständige
Gefahr, irgendwann doch aus der Heimat vertrieben zu werden. Fiel jemand unangenehm auf,
mussten er und seine Familie von einem Tag auf den anderen Haus, Hof und Heimat verlassen.
Wer sein Grundstück an der Saale hatte, musste erleben, wie immer mehr davon abgezwackt
wurde. Stand anfangs nur ein Stacheldrahtzaun direkt am Flussufer, durch den die Kinder auch
mal schlüpften, wurden die Grenzanlagen immer ausgefeilter und tiefer gestaffelt, 1968 stand
am Fluss dann eine hohe Mauer.
Das Alltagsleben im Dorf war durch die ständige Anwesenheit der Grenztruppen und die
politische Überwachung beeinträchtigt, andererseits war die winzige, abgeschottete Insel in
vieler Hinsicht eine heile Welt. Die Welt auf der anderen Seite der Saale hatte Verbindungen
der besonderen Art nach Rudolphstein. Die Rudolphsteiner Blasmusik stellte sich an den Hang
über dem Dorf und brachte den Sparnbergern ein Ständchen, dem die Dorfbewohner lauschten,
bis DDR-Grenzer kamen und sie wegscheuchten. Die Oma aus Rudolphstein kam regelmäßig an
den Hang und winkte dem Enkel in Starnberg zu. Und immer wieder waren die Kameras auf
das Dorf gerichtet.

Absurd wurde die Sparnberger Situation 1989: Die Mauer war schon offen, auf der Autobahnbrücke
(BAB 9) fast über dem Dorf fuhren Heerscharen DDR-Bürger in den Westen, doch Sparnberg war
noch wochenlang abgeschottet. Erst im Dezember 1989 endete das Grenzregime und das Dorf war
für jedermann zugänglich. Die Sparnberger und Rudolphsteiner bauten sofort einen Steg über die
Saale als Ersatz für die Brücke, die einst die Dörfer verbunden hatte. Das neue Bauwerk war
allerdings provisorisch und gerade im Winter war der vereiste Übergang gefährlich, was prompt
die Baubehörden beider Seiten auf den Plan rief, die - Vereinigung hin, Vereinigung her - gleich
wieder einen Abriss verlangten. Erst später wurde die richtige Brücke gebaut, die heute schon
wieder reparaturbedürftig ist.

http://www.boen-end.de/sparnberg.html




W. T.
Wer einen Rechtschreibfehler findet, darf ihn behalten.
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Re: Leben und wohnen an der Grenze

Beitragvon Interessierter » 15. Februar 2017, 08:00

Dieses kurze Video demonstriert wieder einmal, wie bescheuert diese SED - Schergen waren. Die Bürger durften nicht einmal der Musik ihrer Nachbarn lauschen bzw. winken.

Wie wohl die Argumente der Grenzer waren?
Interessierter
 

Re: Leben und wohnen an der Grenze

Beitragvon Interessierter » 6. Mai 2018, 14:33

Zwangsaussiedlungen

Historiker und Zeitzeugen sprachen 2011 in der Gedenkstätte Point Alpha über Zwangsaussiedlungen. Das Publikum hörte von Willkür, aber auch von Widerstand.


Dreieinhalb Jahre alt war Robert Hohmann aus Wiesenfeld an jenem 3. Oktober vor 50 Jahren. "Am Morgen fuhren Lastwagen auf. Unser Haus wurde von bewaffneten Männern umstellt. Das war wie eine Granate, die in unser behütetes Leben einschlug", erzählte Hohmann. Der 76-jährige Großvater wurde in Handschellen abgeführt. Die Mutter durfte nicht einmal ihre Stallkleidung ausziehen, sondern wurde zusammen mit den Kindern in ein Auto verfrachtet. Der Vater musste mit einem der Lastwagen mitfahren. "Meine Mutter durfte sich, begleitet von bewaffneten Kampfgruppenleuten, noch von ihrer Mutter verabschieden." Robert Hohmann blieb das Bild in Erinnerung, wie seine Oma am Fenster stand und sich die Haare raufte. Sie sahen sie nie wieder, durften nicht einmal zu ihrer Beerdigung nach Wiesenfeld ins Sperrgebiet einreisen. In einem Dorf im Kreis Eilenburg wurde die Familie zunächst in einer verfallenen Bauernkate untergebracht. Erst nach Protesten bekamen sie eine andere Wohnung. Als Kriminelle hatten die Behörden die Neuankömmlinge angekündigt. "Meine Eltern wurden mehrfach auf der Straße angespuckt." Hohmann erzählte, wie sie als Katholiken in der dortigen Pfarrgemeinde Aufnahme und Unterstützung fanden, aber auch von Schikanen in der Schule, weil er weder Pionier wurde noch an der Jugendweihe teilnahm. Mit Hilfe der Kirche zog die Familie später auf die Huysburg bei Halberstadt um, wo die Eltern im Priesterseminar Arbeit fanden.

Der Vater starb 1988, sah Wiesenfeld nie wieder. "Er ist vor Heimweh gestorben und wäre sogar nach Wiesenfeld gekrochen", sagte Hohmann, "wenn jemand aus der Rhön auf die Huysburg kam, weinte er wie ein kleines Kind." Mutter und Sohn kehrten 1995 nach Wiesenfeld zurück, sind nach anfänglichen Schwierigkeiten heute wieder heimisch.

Als Zehnjährige wurde Marie-Luise Tröbs (geborene Wagner) aus Geisa ausgesiedelt (wir berichteten mehrfach über ihr Schicksal). Heute ist sie Präsidentin des Bunds der Zwangsausgesiedelten und beklagt, dass in der bundesdeutschen Gesetzgebung die Zwangsausgesiedelten benachteiligt werden. Oftmals erhalten sie keinerlei Entschädigung für ihre verlorenen Häuser und Grundstücke. Das bestätigte die Historikerin Jeanette van Laak, die an der Universität Gießen an einer Studie zur sozialen Lage der Opfer der DDR-Diktatur mitgearbeitet hatte. "Zwangsausgesiedelte sind eine Sondergruppe unter den SED-Opfern, die keine Opferrente in Anspruch nehmen können, welche Opfer nach Haftstrafen erhalten." Auch in der Gießener Studie fanden sie keine Beachtung, bedauerte die Historikerin.

Dr. Dietrich Graichen erlebte 1952 als junger Landarzt in Dorndorf die erste Aussiedlungsaktion mit. 16 oder 17 Familien waren betroffen. "Man muss sich die Unverschämtheit vorstellen, dass jemand am Morgen an die Tür klopft und sagt: Sie werden jetzt umgesiedelt und müssen das Feld räumen", erzählte er. Die Dorndorfer Bevölkerung leistete jedoch Widerstand. Vor dem Gemeindeamt versammelten sich mehrere hundert Leute und protestierten. Den BMW des damaligen Landrats Fritz Wagner warfen sie um. "Eine halbe Stunde später kam ein Lastwagen mit rund 25 bewaffneten Vopos, die Gewehre zwischen den Knien. Eine gespenstische Stille trat ein, man hätte eine Nadel zu Boden fallen hören können", erzählte Graichen. Nach einer Stunde fuhren die Polizisten wieder ab, niemand wurde zunächst ausgesiedelt. Das geschah aber wenige Stunden später, als russische Lastwagen vorfuhren und Soldaten die Habseligkeiten der betroffenen Familien einfach aufluden. Das konnten weder die Dorndorfer, noch rund 200 Merkerser, die den Protestierenden zur Hilfe herbeieilten, verhindern.

Bild
21.9.2011 S. 14
Interessierter
 

Re: Leben und wohnen an der Grenze

Beitragvon Interessierter » 27. Oktober 2020, 14:38

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