Junge musste sterben, weil er Schlittschuh lief
Verfasst: 28. Januar 2017, 13:14
Hary Krause, der blonde Junge in der ersten Reihe, Zweiter von rechts, im Kreis seiner Familie
Quelle: Privat
Im Winter 1950/51 traf ein DDR-Polizist den zehnjährigen Hary Krause beim Eislaufen über 900 Meter mitten ins Herz. Jetzt ist dem Jungen an der früheren Grenze ein Denkmal gesetzt worden.
Wer auf einem zugefrorenen See eisläuft, geht ein gewisses Risiko ein: Er kann einbrechen. Erschossen zu werden droht bei diesem Freizeitvergnügen allerdings gewöhnlich nicht. Normalerweise.
Der Winter 1950/51 ist kalt und eisig; Ende Januar liegen die Temperaturen in Groß Thurow im westlichen Mecklenburg schon länger deutlich unter null Grad. Der Goldensee ist zugefroren. Am letzten Nachmittag des Januar macht sich der zehnjährige Hary Krause auf den Weg zum Ufer. Er hat drahtumwickelte Schuhe dabei, seine improvisierten Schlittschuhe.
Doch das westliche Ufer des Goldensees markiert die Demarkationslinie zwischen der DDR und der Bundesrepublik. Obwohl das Gebiet seit 1949 zum Grenzsperrgebiet der DDR gehört und das Betreten strengstens untersagt ist, so haben die Wachposten die Kinder bislang gewähren lassen.
An diesem Mittwoch hingegen ist es anders – und sehr tragisch: Gegen 15 Uhr entdeckt der selbst gerade 18-jährige Grenzpolizist Otto R. den Jungen auf dem Eis. Kurz darauf löst sich ein Schuss aus seiner Waffe – unbeabsichtigt, heißt es laut Medieninformationen im Untersuchungsbericht. Aus knapp 900 Meter Entfernung wird Hary demnach mitten ins Herz getroffen.
Alle Versuche von westdeutscher Seite, das Leben des Kindes zu retten, sind vergeblich – Hary stirbt. Erst zwei Tage später kann der Vater die Leiche mit einem Schlitten nach Hause holen. Die Menschen in Groß Thurow sind erschüttert. Harys Eltern lehnen das Schweigegeld ab, das die DDR-Grenzpolizei ihnen offeriert. Daraufhin werden sie zwangsweise ausgesiedelt, müssen ihre Heimat verlassen. Der Familie bleibt fortan sogar der Besuch des Grabes verwehrt.
Dieses Vorgehen der zuständigen Grenzpolizei-Kommandantur Schönberg und unwahrscheinliche Behauptungen, etwa über den angeblich versehentlichen Treffer aus fast einem Kilometer Distanz, stützen den Verdacht: Auf Hary Krause könnte bewusst geschossen worden sein. Dann wäre es vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge oder sogar Mord, kein Unfall.
Der Fall Hary Krause ist nur ein einzelnes Beispiel aus der Liste der zahlreichen Toten an der innerdeutschen Grenze. Zeit ihres Bestehens forderte die 1376 Kilometer lange Demarkationslinie weit über tausend Menschenleben. Auch wenn es den DDR-Grenzpolizisten angeblich schon seit 1947 verboten war, auf Kinder und Jugendliche zu schießen, so befahl das SED-Regime doch den Einsatz von Waffengewalt durch Grenzsoldaten gegen die eigene Bevölkerung. In der Konsequenz nahm die Führung der Diktatur Todesopfer zumindest billigend in Kauf.
„Mit Gefängnis bis zu zwei Jahren, bedingter Verurteilung oder Geldstrafe bis zu 2000 Mark wird bestraft, wer die für das Grenzgebiet festgelegten besonderen Aufenthaltsbestimmungen nicht einhält“, hieß es in der „Verordnung zum Schutze der Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik“ vom März 1964. Offen angeordnet wurde der Einsatz von auch tödlicher Gewalt gegen sogenannte Grenzverletzer im Gesetzblatt der DDR 1982. Offiziell verkündet vom Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker, war festgelegt, dass „die Anwendung der Schusswaffe zur äußersten Maßnahme der Gewaltanwendung gegenüber Personen“ dienen dürfe.
Gleichzeitig sei die Schusswaffe allerdings nicht anzuwenden, „wenn die Personen dem äußeren Eindruck nach im Kindesalter sind“. Das war beim zehnjährigen Hary Krause sicher der Fall. Trotzdem bezahlte er das Schlittschuhlaufen auf dem Goldensee mit seinem Leben.
https://www.welt.de/geschichte/article1 ... -lief.html
Einfach unfassbar, vieleicht hätte das Opfer heute hier noch mit uns diskutiert.....