Durch Minenexplosion getötet

Durch Minenexplosion getötet

Beitragvon Interessierter » 11. Oktober 2021, 11:02

Bernd Ickler

Geboren am 30. Juni 1945 in Pferdsdorf-Spichra | getötet durch Minenexplosion am 4. November 1963 | Ort des Vorfalls: Pferdsdorfer Köpfchen, Abschnitt Hochgrund, südlich der Straße Pfersdorf nach Willershausen (Thüringen)

Einwohner des hessischen Grenzdorfes Willershausen hörten am 3. November 1963 eine Minendetonation. Am 7. November 1963 informierte eine Frau aus Willershausen die Polizei, sie habe durch einen Brief aus dem benachbarten DDR-Grenzort Pferdsdorf erfahren, dass zwei dort wohnende Jugendliche versucht hätten, über die Grenze zu flüchten. Dabei sei einem von ihnen ein Bein und ein Arm abgerissen worden. Der junge Mann namens Ickler sei später im Krankenhaus verstorben.


Dem Grenzgebiet bei Pferdsdorf galt seit Frühjahr 1963 die besondere Aufmerksamkeit der Grenztruppen. Drei Jugendlichen aus dem Dorf war dort die Flucht nach Westdeutschland gelungen. Am 3. November 1963 gegen 21.40 Uhr vernahmen zwei Grenzsoldaten im Bereich des Abschnitts Pferdsdorfer Köpfchen Geräusche. Sie meinten, dass sich Personen aus Richtung Pferdsdorf zur Grenze bewegten. Da dichter Nebel herrschte, feuerten sie sieben Leuchtkugeln ab. Nachdem die Gegend in grünes Licht getaucht war, sahen sie im Nebel eine Person, die aus dem Grenzgebiet in Richtung Pferdsdorf rannte. Zehn Minuten später, gegen 21.50 Uhr, detonierte eine Mine im Abschnitt Hochgrund. Als die beiden Posten dort ankamen, bot sich ihnen ein schrecklicher Anblick. Im Minengürtel lag eine schwer verletzte männliche Person. Durch die Leuchtkugeln alarmiert, eilte die Alarmgruppe der Kompanie zur Grenze, auch ein Zug wurde dorthin in Marsch gesetzt.

Gegen 22.40 Uhr begab sich Leutnant Welker mit zwei Soldaten in eine minenfreie Gasse, um den Verletzten zu bergen. Aus den Papieren, die er bei sich trug, ging hervor, dass es sich um den 18-jährigen Bernd Ickler aus Pferdsdorf handelte, beschäftigt als Landmaschinenschlosser bei der MTS Mihla. Er wurde mit einer Plane ins Hinterland gebracht, dort durch den Regimentsarzt notdürftig versorgt und dann gegen 23.45 Uhr mit einem Sanitätsfahrzeug in das Kreiskrankenhaus Eisenach überführt. Als sein Begleiter wurde Dieter H. ermittelt und zu Hause festgenommen. Er sagte aus, Ickler habe im Laufe des Abends während einer Tanzveranstaltung im Kulturhaus mit anderen Jugendlichen getrunken und dort lauthals geäußert, er wolle „in den Westen abhauen“. Mehrere Jugendliche lehnten es ab, mit ihm zu gehen, nur er sei dazu bereit gewesen.

Bernd Ickler wuchs als Sohn eines Bauern in Pferdsdorf auf, wo er im nahe gelegenen Spichra die Grundschule und hernach die Polytechnische Oberschule in Creutzburg bis zur 10. Klasse besuchte. Er fiel in Russisch durch die Prüfung zur Mittleren Reife und erlernte nach Beendigung der Schule auf der MTS Mihla den Beruf des Landmaschinenschlossers. Angeblich sah man in seinem Elternhaus Westfernsehen. Ickler und sein engerer Freundeskreis mieden die politischen Veranstaltungen der FDJ im Ort. Das MfS ermittelte später, die Jugendlichen seien gegenüber älteren Personen „rechthaberisch und eigenwillig“ aufgetreten.

Dieter H. sagte in seiner Vernehmung, sein gleichaltriger Freund Bernd Ickler habe ihm mehrfach gesagt, er habe „die Schnauze voll und wolle abhauen“. Sie hätten oft darüber gesprochen, dass es in Westdeutschland „besser ist als hier“. Sie hätten außerdem keine Lust gehabt „zur Wehrmacht zu gehen“. Dieter H. war bereits ein Jahr zuvor bei einem Fluchtversuch ertappt worden. Er erhielt aber als 17-Jähriger lediglich einen richterlichen Verweis. Bernd Ickler habe ihm am Abend des Fluchtversuchs versichert, er wisse, wo keine Minen liegen. Seine Eltern hatten ein Kleefeld in der Nähe der Grenze. Als sie sich mitten in diesem Feld befanden, stiegen die Leuchtkugeln auf. Er habe dann auch einen Hund bellen gehört und zu seinem Freund gesagt, sie seien entdeckt worden, es habe keinen Zweck mehr weiterzugehen. Der aber antwortete, wenn man schon so weit gekommen sei, müsse man durchhalten. Dieter H. lief zurück nach Hause, sagte seiner Mutter, dass man hinter ihm her sei, legte sich ins Bett und löschte das Licht. Im Dunkeln hörte er Schüsse an der Grenze.

Bernd Ickler erlag am 4. November 1963 gegen 6 Uhr seinen Verletzungen. Sein abgerissenes Bein sowie Kleiderfetzen wurden am Vormittag aus dem Minengürtel geborgen. Der Leiter der Stasi-Operativ-Gruppe Börber meldete zur gleichen Zeit seinen Vorgesetzten nach Eisenach: „Es ist vorgesehen, die Angehörigen des Ickler dahingehend zu beeinflussen, dass die Leiche nach der Freigabe durch den Staatsanwalt in Eisenach eingeäschert wird. Falls die Angehörigen auf einer Bestattung der Leiche in Pferdsdorf bestehen, wird die Leiche erst unmittelbar vor der Beerdigung nach Pferdsdorf gebracht.“ Stasi-Informanten im Dorf würden die Stimmung unter den Bewohnern erkunden.

Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen erhielt am 4. Mai 1964 von der Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter eine Mitteilung zum Fall Helmut [sic] Ickler. Es stehe fest, dass dieser „zwar bei einem Minenunfall schwer verletzt wurde, jedoch durch Selbstmord einige Wochen nach dem Unfall ums Leben gekommen ist“. Die Staatsanwaltschaft Erfurt klagte den ehemaligen Pionieroffizier der Grenztruppen Karl Einecke im Dezember 1997 an, „einen Menschen getötet zu haben, ohne Mörder zu sein“. Einecke hatte durch seine Pioniere das Minenfeld anlegen lassen, in dem Bernd Ickler seine tödlichen Verletzungen erlitt. Es kam jedoch zu keinem Gerichtsverfahren mehr, da der Beschuldigte 1998 verstarb.

https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/ ... nd-ickler/
Interessierter
 

Re: Durch Minenexplosion getötet

Beitragvon Interessierter » 18. Oktober 2021, 12:50

Dieter Fürneisen

Geboren am 26. Juni 1941 in Jena | Minenexplosion am 24. November 1963 | Ort des Vorfalls: 500 Meter westlich von Zopten, OT Probstzella (Thüringen)

In Jena sprach man im November 1963 hinter vorgehaltener Hand über den gescheiterten Fluchtversuch eines 22-jährigen Werkzeugmachers aus der Stadt. Dieter Fürneisen war auf grausame Art in einem Minenfeld an der Grenze zwischen Thüringen und Bayern ums Leben gekommen.


Dieter Fürneisen wuchs im thüringischen Jena auf. Seine Eltern lebten in Scheidung, eine seiner Schwestern wohnte weiterhin in Jena, die andere jedoch im hessischen Wetzlar. Mit seiner Freundin hatte Dieter Fürneisen eine kleine Tochter. Er arbeitete als Werkzeugmacher, zog Anfang September 1963 nach Gera und kam dort im Wohnheim der Wismut unter. Seine sportliche Leidenschaft galt dem Ringkampf, in Jena gewann er eine Stadtmeisterschaft. Roman Grafe schreibt in seinem Buch Die Grenze durch Deutschland, Dieter Fürneisen habe sich Anfang der 1960er Jahre „regelmäßig mit einem Dutzend Gleichaltriger unter der Normaluhr zum Fußball, im Cafe ‚Paradies‘ oder im ‚Volkshaus‘ zum Tanzen getroffen“.
Alle trugen ein Marienkäfer Abzeichen als Erkennungssymbol – die Jenaer MfS-Kreisdienststelle vermutete „Bandenbildung“ und sah eine staatsfeindliche Gruppe am Werk. Die „Gruppe Fürneisen“ wurde observiert. Ein Stasi-Spitzel berichtete, Dieter Fürneisen habe eine Vorliebe für heiße Musik und würde danach „unanständig tanzen“. Ein Stasi-Mitarbeiter schrieb: „In der ‚Gruppe Fürneisen‘ werde ‚Radio Luxemburg‘ gehört, man sah die jungen Leute wüst tanzen, hotten bzw. Rock’n‘Roll tanzen“. Auch hätten sie sich darüber unterhalten, wie man am besten die Republik verlassen könne.

Seine Schwester Elke wusste nach eigenen Angaben nichts Konkretes über die geplante Flucht, ihr Bruder habe lediglich vage von seiner Absicht gesprochen, die DDR zu verlassen. Ursprünglich wollte er seine kleine Tochter in einem Rucksack mitnehmen und später seine Freundin nachholen. Doch rieten ihm Freunde, erst einmal allein in den Westen zu gehen und die Lage dort zu erkunden. Elke Fürneisen erklärte gegenüber Roman Grafe: „Einen Tag, bevor mein Bruder sich auf den Weg machte, wurde John F. Kennedy ermordet. Da habe ich noch mit Dieter drüber gesprochen, da haben wir noch geweint. Kennedy sollte uns doch von dem Ganzen hier erlösen. Der kam doch nach Berlin, der stand doch an der Mauer und wir haben gejubelt: ‚Mensch, Amerika, hilf uns‘. Nach dem Attentat auf Kennedy sahen wir unsere Chance, daß es mal besser geht, dahinfließen. Da wird Dieter gedacht haben: Jetzt ist es ganz vorbei, jetzt dauert es wieder lange, bevor sich was ändert. Jetzt mach ich’s. Er hatte sich noch ein Parteiabzeichen besorgt und es sich angesteckt für den Fall, dass man ihn auf dem Weg zur Grenze anhält. Das haben wir dann noch zurückbekommen. Dieter hatte uns davon nichts gesagt. Nur meiner Mutter hinterließ er einen Brief: ‚Liebe Mutti! Ich werde dich immer in Ehren halten. Du warst für mich die Liebste. Dein dich liebender Sohn Dieter.‘“

Am Totensonntag, dem 24. November 1963, versuchte Dieter Fürneisen gegen 7.30 Uhr, die DDR-Grenzanlagen etwa einen halben Kilometer westlich von Zopten in Thüringen zu überwinden. Er durchtrennte die Stacheldrahtsperre und geriet unmittelbar danach in ein Minenfeld. Etwa 400 Meter von der Grenze entfernt löste er eine Erdmine aus, die ihm ein Bein abriss. Er schleppte sich dennoch einige Meter weiter, als eine zweite Mine detonierte, die ihm einen Teil des Kopfes und eine Hand abriss und zu seinem sofortigen Tod führte. Laut einer Tagesmeldung des Kommandos Grenztruppen wurden Körperteile und Bekleidungsstücke noch 60 Meter von dem Explosionsort entfernt aufgefunden. Erst mehrere Stunden später gegen 15.15 Uhr bargen Soldaten der Pioniereinheit des Grenzregiments 11 die sterblichen Überreste Dieter Fürneisens und überführten seinen Leichnam in einem versiegelten Sarg in das Volkspolizeikreisamt nach Saalfeld.

Noch am gleichen Tag erfolgten eine Hausdurchsuchung und die Vernehmungen von Mutter und Schwester. Die Todesmitteilung erhielten sie im Nachhinein von der Kriminalpolizei erst einen Tag später. Vier Tage nach der gescheiterten Flucht, am 28. November, fand die Trauerfeier für Dieter Fürneisen auf dem Nordfriedhof in Jena statt. Der versiegelte Sarg durfte nicht geöffnet werden, die Angehörigen konnten den Toten nicht noch einmal sehen. Nach der Zeremonie wurde der Sarg direkt zum Krematorium gebracht und dort verbrannt. Im Sterberegister des Friedhofsamts ist der Sterbefall als „unnatürlicher Tod“ eingetragen. Fürneisens Mutter litt nach Angaben ihrer Tochter sehr unter dem Verlust. Es gelang ihr trotz aller Bemühungen nicht, die genauen Todesumstände ihres Sohnes in Erfahrung zu bringen.

Nach der Wiedervereinigung sagte der damalige Oberoffizier Pionierdienste im Grenzregiment 11 Heinz F. den Ermittlern, dass der Regimentskommandeur ihm am 24. November 1963 zunächst untersagt hatte, „den Toten aus der Minensperre zu bergen und ihn entsprechend würdig abzulegen, damit das Geschehen aus der Ortschaft Zopten, in einer Entfernung von 300 m, nicht einsehbar war. Dieser Befehl wurde nicht erteilt und mir wurde das Betreten der Minensperre verboten.“ Die Bergung dieses Toten erfolgte dann erst Stunden später nach dem Eintreffen des Pionierkommandeurs der Grenzbrigade. Heinz F. erklärte weiter, „daß mich dieses Vorkommnis sehr lange beschäftigte, daß ich mich aus moralischer Sicht als Pionieroffizier der Grenztruppen mitverantwortlich fühlte. In persönlicher Auseinandersetzung mit diesem Vorkommnis stellte ich mir die Frage, wie diese Person unbefugt und ohne Hinderung in das Minenfeld gelangen konnte, da der Sperrabschnitt und die Minenfelder bis zu einem Kilometer Tiefe in das Territorium der DDR hineinführten und sich unmittelbar am Rand des Schutzstreifens befanden. […] Weiterhin kam ich zu dem Schluß, daß die Anzahl und Menge der vorhandenen Minenfelder und minengesperrten Abschnitte an der gesamten Staatsgrenze der DDR im groben Mißverhältnis zu den vorhandenen Kräften stand, die für deren Sicherung zuständig waren.“ Ihm sei klargeworden, dass die Verantwortungsträger, „die die Verminung der Staatsgrenze festlegten, beschlossen und befohlen haben, diesen Umstand wissen mußten und vorsätzlich die Verletzung und Tötung in Kauf nahmen“.

Des Landgerichts Dresden stellte am 10. Januar 2000 das Verfahren gegen den wegen Totschlags zum Nachteil von Dieter Fürneisen angeklagten Kompaniechef Rudolf B. wegen Verhandlungsunfähigkeit ein.

https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/ ... uerneisen/
Interessierter
 


Zurück zu Fluchtgeschichten

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 2 Gäste