Wieder einer der vielen ertrunkenen Flüchtlinge

Wieder einer der vielen ertrunkenen Flüchtlinge

Beitragvon Interessierter » 7. August 2021, 09:34

Manfred Schorlies

Geboren am 11. November 1942 in Königsberg (heute: Kaliningrad, Russland) | ertrunken am 31. Mai 1962 | Ort des Vorfalls: Elbe bei Vierkrug, Boizenburg/Elbe (Mecklenburg-Vorpommern)

Weil er gebildet und redegewandt war, wurde Manfred Schorlies in die FDJ-Leitung der Grenzkompanie Vierkrug gewählt. Am 31. Mai 1962 ertrank der 19-Jährige bei einem Fluchtversuch in der Elbe.

„Was würdest du tun, wenn ich abhaue“, fragte Manfred Schorlies einen Kameraden aus der Kompanie Vierkrug während des Postendienstes, worauf dieser antwortete, „ich würde von der Schußwaffe Gebrauch machen“. Der Soldat hielt die Frage für einen Scherz und meldete die Unterredung nicht den Diensthabenden. Manfred Schorlies gehörte nämlich zur FDJ-Leitung in der Kompanie Vierkrug. Er galt bei seinen Vorgesetzten als so zuverlässig, dass sie ihn mehrfach für eine Offizierslaufbahn zu gewinnen versuchten. In dienstlichen Beurteilungen wird er als gebildet und redegewandt charakterisiert. Er gehörte seit dem 9. November 1961 der NVA, Kommando Grenze, an und diente seit Dezember 1961 im Grenzbataillon Wittenburg.

Nach der Flucht aus Ostpreußen lebte Manfred Schorlies bei seiner Mutter, die als Krankenschwester arbeitete. Sein Vater, ein Arbeiter, wird in den vorliegenden Überlieferungen nicht erwähnt. Er ist vermutlich im Krieg gefallen. Manfred Schorlies schloss die Schule nach der Mittleren Reife ab und erlernte in der VEB Mathias-Thesen-Werft Wismar den Beruf eines Lichtbogenschweißers. Zwei seiner Onkel und Tanten wohnten in Gelsenkirchen und Hamburg. Dorthin kam er als 13-Jähriger für drei Wochen zu Besuch.

Am 31. März 1962 nahm Manfred Schorlies in der Kaserne des Bataillons an einer Besprechung der FDJ-Sekretäre teil, von der er am Nachmittag zu seiner Einheit nach Vierkrug zurückkehrte. Auf der Stube gab er seinen Kameraden eine Flasche Schnaps aus. Danach klagte er über Kopfschmerzen und bat den Soldaten N. darum, mit ihm etwas Luft schnappen zu gehen. Die beiden begaben sich zum Elbufer. Auf dem Weg sprach N. über die FDJ-Sekretärsbesprechung und berichtete, man habe ihn dort aufgefordert, der SED beizutreten. Er äußerte, dass man sich das gut überlegen müsse. Schorlies fragte dann N., ob die Boote des Zolls und des Wasserschutzes auch nachts fahren würden, was dieser bejahte. Dann gingen sie in Richtung Kaserne zurück. Dort spielten sie mit anderen Soldaten Fußball und begaben sich, als es dämmerte, zurück auf ihre Stube. Mit den Zimmerkameraden spielten sie anschließend Skat, wobei sie weiter Schnaps tranken. Gegen 22 Uhr verließ der 19-jährige Schorlies dann die Stube. Am nächsten Morgen stellte der diensthabende Unteroffizier fest, dass Schorlies fehlte. Die Suche in der Umgebung blieb zunächst erfolglos, erst am Nachmittag fand der Stabschef des Bataillons am Elbufer die Dienstjacke, ein Paar Turnschuhe und ein Taschentuch von Manfred Schorlies.

Die wegen der Desertion eingeschalteten MfS-Ermittler vermuteten, die Westverwandtschaft in Gelsenkirchen habe Schorlies zur Flucht ermuntert, zumal ein Kamerad aussagte, Schorlies rechne mit einer Erbschaft im Westen. Ein Geheiminformant „Christa“ des MfS hatte zuvor schon berichtet, Schorlies habe mit anderen Soldaten westliche Sender gehört. Außerdem meinte das MfS, die Versuche, ihn zum Offiziersdienst zu überreden, hätten die „Absicht des Schorlies fahnenflüchtig zu werden beschleunigt“.

Nach der Fahnenflucht erfolgte in der Kaserne eine Alkoholkontrolle. Es wurden in den Spinden der Soldaten 120 Flaschen mit Alkohol gefunden, 100 leere Flaschen fand man in der Abfallgrube. Die Grenzkompanie Vierkrug war nach Auffassung des MfS nicht genügend abgesichert. In einem MfS-Untersuchungsbericht ist sogar von einem „Brachliegen des IM-Netzes“ die Rede, da dort nur ein Offizier und zwei Soldaten inoffiziell für die Stasi arbeiteten. Zudem sei der Kompaniechef unfähig, gegen ihn habe es bereits ein Parteiverfahren gegeben.

Beamte des Bundesgrenzschutzes und der Wasserschutzpolizei bargen am 31. Mai 1962 die Leiche von Manfred Schorlies in Höhe Lauenburg – Hohnstorf aus der Elbe. Der Tote wurde am 5. Juni 1962 von einem westdeutschen Beerdigungsinstitut in die DDR überführt. Erst am 28. Juni 1962 hob das Volkspolizeikreisamt Wismar die Fahndung nach Manfred Schorlies auf und teilte der Grenztruppe per Fernschreiben mit, „daß Schorlies als Wasserleiche geborgen wurde“.

https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/ ... schorlies/
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Re: Wieder einer der vielen ertrunkenen Flüchtlinge

Beitragvon Interessierter » 11. August 2021, 07:22

Lilli Gruner

Geboren am 7. Oktober 1941 in Wismar | vermutlich in der Nacht vom 28. auf den 29. August 1962 in der Ostsee ertrunken | Ort des Vorfalls: Lübecker Bucht zwischen Elmenhorst und Pelzerhaken

Die Studentin Lilli Gruner versuchte gemeinsam mit ihrem Bruder Peter Ende August 1962 mit einem Schlauchboot von Elmenhorst aus über die Ostsee in die Bundesrepublik zu fliehen. Am 3. September fand man ihre Leiche treibend im Wasser vor Pelzerhaken.


Lilli Gruner wurde am 7. Oktober 1941 in Wismar als jüngstes von vier Geschwisterkindern geboren. Der Vater starb, als sie 13 Jahre alt war. Die ruhige, zurückhaltende Lilli hatte ein enges Verhältnis zur älteren Schwester Maria, die als Sonderschullehrerin in Wismar arbeitete. Ihr ältester Bruder Fritz lebte nach seiner Flucht in die Bundesrepublik in Nürnberg. Mit Peter, der vier Jahre älter war als Lilli, wagte sie im Sommer 1962 gemeinsam die Flucht über die Ostsee.

Lilli wollte nach dem Schulabschluss ein Psychologiestudium aufnehmen, erhielt aber nicht den gewünschten Studienplatz. Stattdessen begann sie 1961 das Lehrerstudium für Deutsch und Körpererziehung in Rostock. In Warnemünde war sie in den Sommern als Rettungsschwimmerin tätig.

Den vollständigen, tragischen Bericht mit einigen Fotos kann man hier lesen:
https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/ ... li-gruner/
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Re: Wieder einer der vielen ertrunkenen Flüchtlinge

Beitragvon Interessierter » 16. August 2021, 09:19

Lothar Heller

Geboren am 17. Januar 1941 in Merkwitz, Ortsteil von Oschatz | ertrunken beim Fluchtversuch Anfang Oktober 1962, aus der Elbe geborgen am 30. April 1963 | Ort des Vorfalls: Elbe bei Lütkenwisch, Landkreis Prignitz (Brandenburg)

In einem selbstgefertigten Taucheranzug versuchte Lothar Heller Anfang Oktober 1962 durch die Elbe in die Bundesrepublik zu flüchten. Dabei ertrank er. Seine Leiche bargen Angehörige der DDR-Grenztruppe erst am 30. April 1963.

Am frühen Morgen des 30. April 1963 bemerkte der niedersächsische Zollassistent Heinz G. vom Elbufer bei Schnackenburg aus drei Grenzsoldaten, die auf dem gegenüberliegenden DDR-Ufer Posten standen. Als er auf seinem Kontrollgang drei Stunden später, um 9.35 Uhr, wieder an die gleiche Stelle zurückkehrte, sah er schon von Weitem, dass ein Lkw der Grenztruppen und ein Pkw hinzugekommen waren. Nun standen neben elf Soldaten auch drei Zivilisten am östlichen Elbufer. Zu ihnen gehörte vermutlich ein Mediziner. Dieser machte sich, so die Aussage von Heinz G., „mit einem weißen Oberhemd und einem Messer in der Hand […], fortlaufend in gebückter Stellung an der Erde zu schaffen“. Heinz G. vermutete richtig, dass dort eine Leiche angespült worden war. Er rief Verstärkung herbei. Kurz nach 10.15 Uhr fuhren zwei Zollmotorboote so nah wie möglich an den Fundort heran, um das Geschehen zu verfolgen. Die Zollangehörigen beobachteten, wie vier Grenzsoldaten die Leiche eines Mannes in einer Decke zum Lkw trugen und anschließend noch ein Paar Stiefel und weitere Kleidungsstücke darin verstauten. Dann fuhren das Zivilfahrzeug und der Lkw über den Elbdeich in Richtung Lanz (Prignitz) davon.Nach der Bergung wurde die Wasserleiche zur Obduktion in die Medizinische Fakultät der Universität Rostock gebracht. Auch in der DDR wussten die Sicherheitsorgane zunächst nicht, um wen es sich handelte. Die einzigen Hinweise zur Identifizierung waren ein in der Kleidung eingesticktes „LH“, der Zahnstatus sowie einige Ausrüstungs- und Bekleidungsstücke. Die Obduktion ergab keine eindeutigen Hinweise auf einen gewaltsamen Tod, da die Leiche nach der langen Liegezeit von etwa sieben Monaten im Wasser zu sehr verändert war, um zu einem sicheren Urteil zu kommen. Die Gerichtsmediziner gingen davon aus, dass der Mann ertrunken war, wobei sie auch eine Unterkühlung als Todesursache für möglich hielten.

Am 1. Mai 1963 legten Kriminalpolizisten Annemarie Heller in Oschatz eine Armbanduhr und ein Stück Bekleidungsstoff vor und fragten, ob diese Fundstücke ihrem Sohn Lothar Heller gehörten, den sie bereits seit dem 2. Oktober 1962 vermisste. Am 3. Mai 1963 erhielt Frau Heller Gewissheit über das Schicksal ihres Sohnes. Ein Schreiben der Volkspolizei informierte sie darüber, dass man seine Leiche aus der Elbe geborgen und bereits zur Einäscherung nach Schwerin überführt hatte. Noch am gleichen Tag fuhr Frau Heller nach Schwerin, um die sterblichen Überreste ihres Sohnes zu sehen und Abschied zu nehmen, doch das wurde ihr nicht gestattet. Dies mag am desolaten Zustand der Leiche gelegen haben, nährte jedoch bei Familienangehörigen auch das Misstrauen gegenüber der amtlichen Auskunft, Lothar Heller sei ertrunken und nicht bei seinem Fluchtversuch erschossen worden.

Der 21-Jährige hatte sich selbst einen Taucheranzug gefertigt und war mit diesem in die Elbe gestiegen. Vielleicht wählte er Wittenberge als Ausgangsort seiner Flucht, weil dort die Elbe noch nicht durch Grenzzäune abgesperrt war, und unterschätzte die Gefährlichkeit seines Vorhabens, im Oktober durch den kalten Fluss zu schwimmen. Am zweiten Pfingstfeiertag des Jahres 1963 fand auf dem Friedhof in Oschatz die Urnenbeisetzung Lothar Hellers statt. Im September 1963 informierte ein Verwandter Lothar Hellers den „Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen“ in West-Berlin über den Todesfall.

Dadurch gelangte die Information auch zum Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen und zur Erfassungsstelle Salzgitter der Landesjustizverwaltungen. Mehrere fahnenflüchtige DDR-Grenzsoldaten wurden von den bundesdeutschen Ermittlungsbehörden zu dem Vorfall befragt. Sie berichteten, dass man in den an der Elbe stationierten Grenzkompanien über einen Taucher gesprochen habe, auf den Anfang Oktober 1962 von einem Streifenboot aus MPi-Salven abgefeuert worden seien. Der nördlich von Cumlosen gesichtete Mann sei nach den Schüssen nicht wieder aufgetaucht. Diese Aussagen konnten die Ermittlungsbehörden jedoch keinem konkreten Fluchtfall zuordnen. Das zuletzt zuständige Kammergericht Berlin stellte das Ermittlungsverfahren zum Tod von Lothar Heller 1998 ergebnislos ein.

https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/ ... ar-heller/
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Re: Wieder einer der vielen ertrunkenen Flüchtlinge

Beitragvon Edelknabe » 26. August 2021, 17:10

Aus dem Link mit Manfred Schorlies mit dem hier:

"Die Suche in der Umgebung blieb zunächst erfolglos, erst am Nachmittag fand der Stabschef des Bataillons am Elbufer die Dienstjacke, ein Paar Turnschuhe und ein Taschentuch von Manfred Schorlies."
Textauszug ende

Weil selber in der Ecke gedient. Wo genau befand sich eigentlich diese Grenzkompanie Vierkrug? Würde mich mal interessieren. Wer kann dazu beitragen?

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Re: Wieder einer der vielen ertrunkenen Flüchtlinge

Beitragvon augenzeuge » 26. August 2021, 18:09

Edelknabe hat geschrieben:Aus dem Link mit Manfred Schorlies mit dem hier:

"Die Suche in der Umgebung blieb zunächst erfolglos, erst am Nachmittag fand der Stabschef des Bataillons am Elbufer die Dienstjacke, ein Paar Turnschuhe und ein Taschentuch von Manfred Schorlies."
Textauszug ende

Weil selber in der Ecke gedient. Wo genau befand sich eigentlich diese Grenzkompanie Vierkrug? Würde mich mal interessieren. Wer kann dazu beitragen?

Rainer Maria


Vielleicht hilft dir das:

Vier / Vierkrug - ehemalige Grenzkompanie hinter der Recyclinganlage in Richtung Lauenburg rechte Seite B5/F5 im Buchenwald - OP die alte Postmeilensäule linke Seite B5/F5 in Richtung Lauenburg.


01.09.1961 - 31.01.1967 9.Grenzkompanie
Gebäude: I 2015

Adresse: 2831Vierkrug ü. Boizenburg/Elbe 1, PSF: 1619
Objekt: Baracke, Flachbau, Kfz-Park/Garage, Schleppdach, Hundezwingeranlagen, Munitionsbunker


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