Bildquelle: Stefan AppeliusGeboren am 22. Juni 1953 in Olbernhau | erschossen am 3. September 1974 im Grenzgebiet der VR Bulgarien zur SFR Jugoslawien | Ort des Zwischenfalls: Nahe der Grenzübergangsstelle Kalotina (Volksrepublik Bulgarien / Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien) in der Gegend von Dolno Novo selo
Am 3. September 1974 etwa eine Stunde nach Mitternacht erschossen bulgarische Grenzer den 21-jährigen DDR-Bürger Eberhard Melichar, als er versuchte, südwestlich der Grenzübergangsstelle Kalotina die bulgarische Grenze in Richtung Jugoslawien zu überqueren.Eberhard Melichar wurde als Sohn des Pförtners Willy Melichar und seiner Frau Charlotte geboren. Er wuchs zunächst in Heidersdorf im Erzgebirge auf, bevor er 1958 mit seinen Eltern und seiner Schwester nach Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) umzog. Von 1960 bis 1968 besuchte er die Oberschule Bernsdorf 2 (bis zur 8. Klasse) und absolvierte danach vom 1. September 1968 bis zum 31. August 1971 an der Fischereischule Königswartha eine Ausbildung zum Binnenfischer. In einem Brief seines Vaters heißt es: „Mein Sohn zeigt keinerlei Interesse für einen Fabrikberuf. Er will raus in die Natur und an die Luft.“ Eberhard Melichar schloß seine Ausbildung 1971 mit der Gesamtnote „sehr gut“ ab. Anschließend war er bis 1974 in dem VEB Binnenfischerei Wernsdorf im Betriebsteil Warmwasseranlagen Bitterfeld beschäftigt.
Eberhard Melichar war seit 1962 Mitglied der Pionier-Organisation, später gehörte er der „Freien Deutschen Jugend“ (FDJ), dem „Deutschen Turn- und Sportbund“ (DTSB), der „Gesellschaft für Sport und Technik“ (GST) und dem „Deutschen Angler-Verband“ (DAV) der DDR an.
Im Sommer 1974 fuhr Eberhard Melichar, wie er seinen Eltern und seiner Schwester erklärte, mit seinem Jawa-Motorrad zum Sommerurlaub in die Volksrepublik Bulgarien.
Seine Schwester erhielt von ihm aus Ungarn eine Ende August datierte Urlaubskarte vom Plattensee. Am 3. September 1973 eine halbe Stunden nach Mitternacht löste eine Grenzsignalanlage der bulgarischen Grenztruppen bei deren Einheit “Snaiper” Alarm aus. Daraufhin wurde die Grenze im Bereich des ersten und zweiten Abschnitts südlich der Europastraße 80 (von Sofia nach Belgrad) durch den Gefreiten Wasil Nedjalkow W. mit den Soldaten Metodi Jordanow M. und Iwan Krumow D. abgeriegelt. Aus bulgarischen Unterlagen geht hervor, dass die Alarmgruppe nach etwa einer halben Stunde die Umrisse einer Person entdeckte, die sich entfernte.
Nach Warnrufen und Warnschüssen in die Luft begannen der Gefreiter W. und Soldat D. “in die Richtung zu schießen, in die der Unbekannte geflüchtet war und hörte nach einer Weile einen Schrei. Nach dem Absuchen des Gebiets der Grenzvereletzung wurde die Leiche des Grenzverletzers gefunden.” die lag etwa 2 Meter vom Grenzzaun entfernt. Bei der Untersuchung des Leichnams im Sofioter Militärkrankenhaus wurden sieben Schussverletzungen festgestellt, die tödlichen Schüsse trafen Eberhard Melichars in den Rücken. Sein Tod sei sofort „durch Zerschlagung des aufsteigenden Teils der Aorta und die Verletzung der Lunge“ eingetreten.Aus den Unterlagen des MfS geht hervor, dass die Botschaft der DDR in Sofia und das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR (MfAA), Hauptabteilung Konsularische Angelegenheiten, durch die bulgarische Seite über Melichars Tod und die Todesumständen unterrichtet wurden.
Die Beisetzung Eberhard Melichars erfolgte wie aus einem “Protokoll über den Umstand der Beerdigung eines liquidierten Grenzverletzers” hervorgeht im Grenzgebiet.Seine Eltern veröffentlichten eine Todesanzeige, in der es hieß, Eberhard Melichar sei „durch tragischen Unfall bei seinem Bulgarienurlaub“ ums Leben gekommen. Sie kannten die tatsächlichen Todesumstände, durften darüber aber nicht sprechen.Erst am 14. April 1976 übermittelte DDR-Konsul Kurt Spörl aus der DDR-Botschaft in Sofia dem DDR-Außenministeriums (MfAA) die amtliche bulgarische Todesurkunde des Personenstandswesen des Gemeinde-Volksrates Kalotin. Wie sich herausstellte, hatte er sie vermutlich aus Schlamperei nicht weitergeleitet. Die zuständige MfAA-Mitarbeiterin Ursula Gott sandte das Dokument am. 25. Mai 1976 an die Sachbearbeiterin Frau Weiß im Berliner Standesamt I und wies sie an: “Wie auch bei anderen ähnlich gelagerten Fällen sollte auch hier eine Neubeurkundung durch das Standesamt I vorgenommen werden.” In der Neubeurkundung des Standesamts I findet sich kein Hinweis auf die Todesursache Eberhard Melichars.
Eine Landkarte und diverse, übersetzte Bulgarische Dokumente findet man hier:
https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/ ... -melichar/