Junge Frau Im Kugelhagel getötet

Junge Frau Im Kugelhagel getötet

Beitragvon Interessierter » 2. Dezember 2020, 17:31

Brigitte von Kistowski

Am 13. August 1975 um 4:30 Uhr starb Brigitte von Kistowski im Kugelhagel bulgarischer Maschinenpistolen. Sie wurde von fünfundzwanzig Kugeln aus geringer Entfernung getroffen. Das ungewöhnliche Verletzungsmuster deutet daraufhin, dass sie ebenso wie ihr Lebensgefährte Klaus Dieter Prautzsch kurz nach ihrer Festnahme in der Grenzwache (Zastava) „Arteria“ exekutiert wurde.


Bild
Bildquelle: Stefan Appelius

geboren am 23. Oktober 1947 in Holzweißig (heute Ortsteil von Bitterfeld-Wolfen), Sachsen-Anhalt
erschossen am 13. August 1975
Ort des Zwischenfalls: Zastava Arteria im Raum Dospat (Volksrepublik Bulgarien)


Brigitte von Kistowski war nach ihrer Scheidung eine Beziehung mit ihrem ebenfalls geschiedenen Schulfreund Klaus Dieter Prautzsch eingegangen. Das Paar lebte gemeinsam mit Brigittes kleinem Sohn in einer bis dato unbewohnbaren Altbauwohnung in Leipzig, die sie selbst renoviert hatten. Im Sommer 1975 reisten die beiden jungen Leute mit einem Motorrad (Typ MZ ETS 250 Trophy Sport) zum Urlaub in die Volksrepublik Bulgarien. Ihren Sohn hatte Brigitte von Kistowski zuvor bei ihrer Mutter in Holzweißig abgegeben.

Bei ihrer Reise nach Bulgarien begleitete Steffen Benkert, ein Arbeitskollege von Klaus Dieter Prautzsch, das Paar. Er war ebenfalls mit einem Motorrad unterwegs. Steffen Benkert bezweifelt im Rückblick, dass seine Freunde mit der Absicht nach Bulgarien fuhr, von dort aus in den Westen zu fliehen: „Ich habe von den beiden nie ein Sterbenswörtchen von Flucht gehört.“ Brigitte von Kistkowski sei weder mit ihrem Leben in der DDR unzufrieden gewesen, noch hätte sie ihren kleinen Sohn freiwillig zurückgelassen, meint auch Benkerts damalige Verlobte und heutige Ehefrau.


Nachdem sie von Rumänien über die Grenzübergangsstelle Vidin mit einer Donaufähre nach Bulgarien eingereist waren, fuhren sie zunächst in das Rila-Kloster, einer berühmten und bei Touristen beliebte Sehenswürdigkeit in Südwest-Bulgarien. Hier trennten sich am 26. Juli 1975 ihre Wege. Während Brigitte von Kistowski und Klaus Dieter Prautzsch an die südliche Schwarzmeerküste wollten, fuhr Steffen Benkert nach Varna, um dort seine Verlobte zu treffen, die mit dem Flugzeug nach Bulgarien gereist war.

Anschließend blieben Brigitte von Kistowski und Klaus Dieter Prautzsch fast drei Wochen zu einem Badeurlaub auf einem Campingplatz an der südlichen Schwarzmeerküste. Warum sie am Ende ihrer Ferien von dort aus nicht die direkt in Richtung Rumänien fuhren, ist unklar. Belegt ist nur, dass sie in der Ortschaft Dospat, am 12. August 1975 gegen 20 Uhr mit dem Motorrad in eine Personenkontrolle der Bulgarischen Grenztruppen gerieten. Die Ortschaft befindet sich zwar im Sperrgebiet zur griechischen Grenze, ist aber noch etliche Kilometer von Griechenland entfernt. Nach Aktenlage soll Prautzsch mit seinem Motorrad vor den Grenzern geflüchtet sein.

Das Motorrad von Klaus Prautzsch gelangte einige Monate später zurück nach Bitterfeld. Es wies abgesehen von ein paar Kratzern und dem gebrochenen vorderen Teleskoprohr keine Beschädigungen auf. Denkbar wäre, dass Brigitte von Kistowski und Klaus Dieter Prautzsch – entgegen der Darstellung des MfS – gar nicht geflohen sind, sondern in Dospat verhaftet wurden. Sicher ist nur, dass die beiden nach ihrer Festnahme in das Militärobjekt Arteria gebracht wurden. In jeder Grenzwache gab es Zellen, in die verhaftete Flüchtlinge vor ihrem Weitertransport Richtung Sofia eingesperrt wurden.

Zum weiteren Ablauf des Geschehens ist nur bekannt, dass die Leichen Brigitte von Kistowskis und Klaus Dieter Prautzsch‘s bereits am 14. August 1975 im Sofioter Militärkrankenhaus obduziert und anschließend durch den DDR-Konsul Kurt Spörl im Gerichtsmedizinischen Institut identifiziert wurden. Danach erfolgte auf Anordnung des Leiters der Hauptabteilung Konsularische Beziehungen im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) der DDR, August Klobes, auf dem Friedhof Bakarena Fabrika in einem Vorort von Sofia ihre Beisetzung noch bevor ihre Angehörigen überhaupt vom Tod der beiden jungen Leute unterrichtet worden waren. Einige Monate später wurden beide Leichen exhumiert und in verzinkten Kisten in die DDR zurückgeflogen. Vorausgegangen waren Gespräche der Mütter beider Opfer mit dem kurz zuvor neu ernannten DDR-Botschafter in Sofia, Manfred Schmidt. Den Ausschlag gab vermutlich der Umstand, dass Brigitte von Kistowskis Mutter, Hannelore Kurzweg, ein langjähriges überzeugtes SED-Mitglied war.

Brigitte von Kistowski und Klaus Dieter Prautzsch fanden ihre letzte Ruhestätte auf dem Friedhof in Holzweißig.


https://www.fu-berlin.de/sites/fsed/Das ... index.html
Interessierter
 

Re: Junge Frau Im Kugelhagel getötet

Beitragvon Olaf Sch. » 2. Dezember 2020, 17:44

Die haben vielleicht etwas gesehen, was niemand sehen durfte? Sehr merkwürdig.
Olaf Sch.
 

Re: Junge Frau Im Kugelhagel getötet

Beitragvon pentium » 2. Dezember 2020, 17:59

5.9 In Griechenland erschossen: Brigitte von Kistowski und Klaus Prautzsch
https://www.bstu.de/assets/bstu/de/Publ ... refrei.pdf

....
*Dos Rauschen in Wald hot mir'sch ageta, deß ich mei Haamit net loßen ka!* *Zieht aah dorch onnern Arzgebirg der Grenzgrobn wie ene Kett, der Grenzgrobn taalt de Länder ei, ober onnere Herzen net!* *Waar sei Volk verläßt, daar is net wert, deß'r rümlaaft of daaner Erd!*
Anton Günther

Freundeskreis Schloss Hubertusburg e. V.
http://www.freundeskreis-hubertusburg.de
Benutzeravatar
pentium
 
Beiträge: 45564
Bilder: 133
Registriert: 9. Juli 2012, 16:12
Wohnort: Sachsen/Erzgebirge

Re: Junge Frau Im Kugelhagel getötet

Beitragvon Olaf Sch. » 2. Dezember 2020, 21:42

also die Bulgaren sind in meinem Ansehen um vieles gesunken.
Olaf Sch.
 

Re: Junge Frau Im Kugelhagel getötet

Beitragvon Ari@D187 » 4. Dezember 2020, 16:08

pentium hat geschrieben:5.9 In Griechenland erschossen: Brigitte von Kistowski und Klaus Prautzsch
[...]

Danke für den Link. Die Angaben der FU und der BStU unterscheiden sich ja um einiges.

Ari
Alles wird gut!
Benutzeravatar
Ari@D187
Deutsche Marine
Deutsche Marine
 
Beiträge: 11321
Registriert: 26. April 2010, 19:58

Re: Junge Frau Im Kugelhagel getötet

Beitragvon augenzeuge » 4. Dezember 2020, 17:34

Ari@D187 hat geschrieben:Die Angaben der FU und der BStU unterscheiden sich ja um einiges.

Ari


Worin genau?
AZ
"Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist."
„Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war“.
„Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten“.
Benutzeravatar
augenzeuge
Flucht und Ausreise
Flucht und Ausreise
 
Beiträge: 84842
Bilder: 6
Registriert: 22. April 2010, 07:29
Wohnort: Nordrhein-Westfalen

Re: Junge Frau Im Kugelhagel getötet

Beitragvon Ari@D187 » 4. Dezember 2020, 17:43

Laut BStU, bzw. deren Quellen, wurden die beiden Personen ca. 50 bis 500 Meter, bereits auf griechischem Boden befindlich, erschossen. Davon ist bei der FU keine Rede oder ich habe es überlesen.

Ari
Alles wird gut!
Benutzeravatar
Ari@D187
Deutsche Marine
Deutsche Marine
 
Beiträge: 11321
Registriert: 26. April 2010, 19:58

Re: Junge Frau Im Kugelhagel getötet

Beitragvon augenzeuge » 4. Dezember 2020, 17:57

Ari@D187 hat geschrieben:Laut BStU, bzw. deren Quellen, wurden die beiden Personen ca. 50 bis 500 Meter, bereits auf griechischem Boden befindlich, erschossen. Davon ist bei der FU keine Rede oder ich habe es überlesen.

Ari


Manche zweifeln ja die Fluchtabsicht noch an......

Bei ihrer Reise nach Bulgarien begleitete Steffen Benkert, ein Arbeitskollege von Klaus Dieter
Prautzsch, das Paar. Er war ebenfalls mit einem Motorrad unterwegs. Steffen Benkert
bezweifelt im Rückblick, dass seine Freunde mit der Absicht nach Bulgarien fuhren, von dort
aus in den Westen zu fliehen: „Ich habe von den beiden nie ein Sterbenswörtchen von Flucht
gehört.“ Brigitte von Kistkowski sei weder mit ihrem Leben in der DDR unzufrieden gewesen,
noch hätte sie ihren kleinen Sohn freiwillig zurückgelassen, meint auch Benkerts damalige
Verlobte und heutige Ehefrau


Aber ok. So ausführlich wie hier, schreibt es die FU nicht.
Nach einer Information des »Operativen Leitzentrums« der HA VI wurden beide zunächst am Abend des 12. August 1975 in der Stadt Dospat, ca. zehn Kilometer von der griechischen Grenze entfernt, von den bulgarischen Grenztruppen »wegen Verdachts des ungesetzlichen Grenzübertritts gestellt, wobei sie sich ihrer vorläufigen Festnahme durch Flucht entzogen«. Zwar lag Dospat nicht direkt an der Grenze, wohl aber bereits im gesperrten Grenzgebiet, in dem die Touristen auffielen. Beide konnten sich anschließend offenbar verstecken, wurden jedoch am nächsten Tag
gegen 3.30 Uhr wiederum entdeckt und »beim erneuten Versuch, sich der Festnahme durch Flucht zu entziehen, erfolgte nach abgegebenen Warnschüssen gezieltes Feuer, wodurch beide tödlich verletzt wurden«.

Wie ein jetzt erstmals ausgewertetes Dokument der DS-Bezirksverwaltung Smoljan nahelegt, hatten von Kistowski und Prautzsch dabei bereits die Staatsgrenze passiert und befanden sich auf griechischem Territorium, als sie von den Grenztruppen erschossen wurden. Nach dem selben Dokument machten die beteiligten Soldaten unterschiedliche Angaben darüber, wie weit sich die beiden Flüchtlinge bereits auf griechischem Boden befanden, die Angaben schwankten hierbei zwischen 50 und 500 Metern.

So war es auch das vordringlichste Ziel des Berichts, den Leiter der Zweiten Hauptverwaltung DS darauf aufmerksam zu machen, dass die griechischen Behörden diesen Vorfall bald entdecken würden. Dies lag nahe, weil erstens Blutspuren zurückgeblieben waren, die Schuhe von Brigitte von Kistowski den Angaben zufolge sich noch auf griechischem Boden befanden, das Gewehrfeuer unweigerlich in Griechenland zu hören gewesen war und schließlich, da die 140 Patronenhülsen, die auf die beiden wehrlosen Flüchtlinge abgefeuert wurden, nicht vollständig von den Soldaten eingesammelt worden waren und sich leicht als Munition der bulgarischen Dienstwaffe vom Typ Kalaschnikov identifizieren ließen. Ferner gab der Bericht an, dass die beiden Leichen nach den Schüssen von den Soldaten zurück auf bulgarischen Boden geschleift und zur Autopsie an das Militärmedizinische Institut nach Sofia transportiert wurden. Dieser besonders dramatische Fall machte deutlich, dass die bulgarischen Grenzer ihre Jagd auf Flüchtlinge auch auf benachbartes Territorium ausweiteten und nicht vor einem – auch durch kein bulgarisches Gesetz gedeckten – Mord im westlichen Ausland zurückschreckten.

Diese Soldaten waren Mörder, das ist zweifellos so.

AZ
"Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist."
„Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war“.
„Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten“.
Benutzeravatar
augenzeuge
Flucht und Ausreise
Flucht und Ausreise
 
Beiträge: 84842
Bilder: 6
Registriert: 22. April 2010, 07:29
Wohnort: Nordrhein-Westfalen

Re: Junge Frau Im Kugelhagel getötet

Beitragvon Olaf Sch. » 4. Dezember 2020, 19:11

Eigentlich schlimmer als Mörder und die Dorfbevölkerung beteiligte sich an der Jagd. Wohl richtig mit Jagdfieber
Olaf Sch.
 

Re: Junge Frau Im Kugelhagel getötet

Beitragvon Dr. 213 » 4. Dezember 2020, 21:23

Empfehle zum Thema den Film auf YouT.....
Ende einer Flucht - Die unbekannten Toten von Junak

Die Bevölkerung machte das wegen der Belohnungen.

Mario Röllig, recht bekannter Flüchtling und aktiv in der „Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) “
berichtete von seiner gescheiterten Flucht (hier Grenze Ungarn- Jugoslawien) und meinte dazu mal
"die Bevölkerung im Grenzgebiet war arm und machte darum wegen dem Zusatzverdienst Jagd auf Flüchtlinge"

Vergleichbar so wird das auch in Bulgarien gewesen sein.

Herzlichst
Dr. 213
Das größte Landraubtier der Neuzeit ist DER Bär.
Benutzeravatar
Dr. 213
 
Beiträge: 1727
Registriert: 17. August 2014, 13:52

Re: Junge Frau Im Kugelhagel getötet

Beitragvon Ari@D187 » 4. Dezember 2020, 22:42

Dr. 213 hat geschrieben:Empfehle zum Thema den Film auf YouT.....
Ende einer Flucht - Die unbekannten Toten von Junak
[...]

Ich danke Dir für den Hinweis zu der Doku, Dr. 213, welche ich mir gerade angesehen habe. Dieser Vorfall, wenn er sich tatsächlich so zugetragen haben sollte, ist nochmal eine Nummer brutaler und sinnloser als die mir bekannten Fälle von der deutsch-deutschen Grenze. Auch war mir nicht bewusst, dass es an dieser Grenze wohl zum Alltag gehörte, getötete Flüchtige an Ort und Stelle zu verscharren.

Ari
Alles wird gut!
Benutzeravatar
Ari@D187
Deutsche Marine
Deutsche Marine
 
Beiträge: 11321
Registriert: 26. April 2010, 19:58


Zurück zu Fluchtgeschichten

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 2 Gäste

cron