DDR-Flucht über Ungarn

DDR-Flucht über Ungarn

Beitragvon Werner Thal » 23. Januar 2020, 11:11

DDR-Flucht über Ungarn

Zeltlager mit Stasiterror inklusive

Im Spätsommer 1989 strömten täglich hunderte DDR-Flüchtlinge in die Auffanglager von Budapest - für die
Einsatzkräfte der Malteser ein Großeinsatz. Unser Autor Airen, damals sieben Jahre alt, war unter den
Geflüchteten.

Dass wir zu den ersten Bewohnern des "Pionierlagers" von Csillebérc gehörten, war ein Riesenglück: Wir
erwischten noch einen Platz in einem der Bungalows. Schon ab dem ersten Tag, dem 22. August 1989,
waren alle Gebäude komplett belegt. Mit Hochdruck bauten die Malteser ein Katastrophenschutzzelt
nach dem anderen auf das Gelände in den Budapester Bergen.

Während mein Vater beim Aufbauen half, versuchten Mutter und ich, die Zeit mit Brettspielen totzuschlagen.
Ständig lief das Radio. Hinter den Kulissen rangen Politiker und Diplomaten um eine Lösung. Ungarn
hätte die DDR-Bürger lieber heute als morgen ausreisen lassen, wurde aber von der DDR-Regierung in
(Ost-)Berlin unter Druck gesetzt. Und wie würde Russland reagieren? Gerüchte machten die Runde: Am
1. September, hieß es, würden die Ungarn die Grenze öffnen - also schon in einer Woche! Im "Stern"
hingegen war von vier bis sechs Wochen die Rede. Letztlich wusste keiner, wie es weitergehen sollte.

.....auch hier geht es weiter:

https://www.spiegel.de/geschichte/ddr-f ... 89456.html

W. T.
Wer einen Rechtschreibfehler findet, darf ihn behalten.
Russian Military out of Ukraine
русские идут домой
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Re: DDR-Flucht über Ungarn

Beitragvon augenzeuge » 23. Januar 2020, 14:16

Unglaublich. Die Leute der Stasi waren sich nicht zu schade...

Dass der DDR-Geheimdienst seine Agenten im Lager hatte, vermutete jeder. Neuankömmlinge montierten oft gleich nach Ankunft die Nummernschilder von ihren Trabis. Am 24.8. vermerkte meine Mutter: "Junge Frau wurde nachts auf Toilette überfallen. Vermutung, dass Stasi eine Entführung versuchte. Flüchtlinge organisieren Nachtwache."


Helfer Markus Bank erinnert sich, wie die Stasi von den Häuserdächern gegenüber der Zugligetkirche in das erste Flüchtlingslager hineinfilmte. Die Presse, so Bank, habe sich solidarisiert: "Immer, wenn Agenten auf den Dächern erschienen, richtete ein Kamerateam einen riesigen Scheinwerfer auf sie - plötzlich stand die Stasi im Fokus."


[flash]

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Re: DDR-Flucht über Ungarn

Beitragvon zonenhasser » 23. Januar 2020, 23:15

augenzeuge hat geschrieben:Unglaublich. Die Leute der Stasi waren sich nicht zu schade...


Eine Stasi-Ente als Sargnagel der DDR

In der DDR wurde eine Menthol-Zigarette berühmt, berüchtigt – und zuletzt belacht wie eine Kabarettnummer. Die Stasi-Erfindung für das "Neue Deutschland" erwies sich als Rohrkrepierer. Sie war einer der Sargnägel für die DDR – und sollte eigentlich ganz anderes bewirken.


Bild
Alles Lüge. Die ND-Schlagzeile von 1989 ging auf die Stasi zurück

Im Jahre 1989, als die Bürger bockig wurden und flugs den aufrechten Gang erlernten, flohen täglich mehr Menschen über Ungarn in den Westen oder in bundesdeutsche Botschaften. „Genossen, wir müssen handeln!“, riefen sie im Zentralkomitee der SED und blickten hoffnungsvoll auf den Agitprop-Chef, der die Presse am Gängelband hielt: „Lass dir was einfallen.“ Am 21. September 1989 war es soweit: Das „Neue Deutschland“ (ND) titelte auf Seite 1: „Ich habe erlebt, wie BRD-Bürger ,gemacht’ werden.“ Unterzeile: „In den Fängen kaltblütiger berufsmäßiger Menschenhändler“. Klingt schon mal gut – zu gut, um wahr zu sein. „Nachtigall, ick hör dir trapsen“, sagte der Berliner, als er weiterlas: Der Mitropa-Koch Hartmut Ferworn erzählt, wie er in Budapest von einem jungen Mann „mit Leipziger Dialekt“ angesprochen, in eine Wohnung gelockt und dort mit einer präparierten Menthol-Zigarette betäubt wurde. „Sie schmeckte irgendwie komisch. Nach wenigen Minuten fielen mir die Augen zu und schwanden die Sinne.“

Als die Sinne wieder beisammen waren, fand sich das aromatisierte Entführungsopfer in einem Bus nach Wien wieder, zwischen lauter Landsleuten, die abgehauen waren. Er will gar nicht in den Westen, sondern wieder zurück, die DDR-Botschaft besorgt ihm einen Pass, er wird von zwei ND-Leuten interviewt. „Durch eine Dummheit bin ich in die von Bonn in Ungarn langfristig vorbereiteten Abwerbungen hineingeraten. Ich hatte in keinem Augenblick die Absicht, unser Land zu verlassen, denn ich bin der Meinung, dass es dafür überhaupt keinen Grund gibt.“ Also: Alle, die nicht der dämliche Rest sein wollten, und das waren mittlerweile -zig tausend, wurden irgendwie gekidnappt, betäubt, verschleppt – wer wird denn sonst unsere liebe DDR freiwillig verlassen? Das Volk saß auf dem Sofa und lachte bitter. So viel Blindheit und Ignoranz war selbst den Genossen zu blöd.

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Re: DDR-Flucht über Ungarn

Beitragvon augenzeuge » 24. Januar 2020, 13:36

Da glaubten doch tatsächlich einige hochrangige SED-Führer, dass sie mit dieser Geschichte ihr leibeigenes Volk in die Irre führen können. Das allein zeigt doch, dass einige bis dahin nicht begriffen hatten, was los war. [bloed]

Ich weiß nicht, was z.B. Karnak oder Merkur darüber denken, vielleicht kennt Merkur ja geheime Aussagen diverser Politgrößen dazu. Aber ich hätte als Agitator ( [flash] ) wenigstens die Wahrheit der Flüchtenden zum Thema gemacht, und die Gründe hinterfragt, den Fehler offen zugegeben, Hilfe bei der Abstellung erbeten... usw.

Wo waren denn die fähigen Leute, die wenigstens versucht hatten, diesen Unsinn zu stoppen? Gab es sie etwa nicht? [angst]

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Re: DDR-Flucht über Ungarn

Beitragvon Kumpel » 24. Januar 2020, 13:41

augenzeuge hat geschrieben:Da glaubten doch tatsächlich einige hochrangige SED-Führer, dass sie mit dieser Geschichte ihr leibeigenes Volk in die Irre führen können.
AZ


40 Jahre hatte das ja funktioniert, leider war ein Loch im Zaun.
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Re: DDR-Flucht über Ungarn

Beitragvon zonenhasser » 24. Januar 2020, 15:40

augenzeuge hat geschrieben:Wo waren denn die fähigen Leute, die wenigstens versucht hatten, diesen Unsinn zu stoppen? Gab es sie etwa nicht? [angst]
Natürlich gab es sie. Allerdings wussten sie, dass Reformen nur bei Strafe ihres Untergangs möglich waren. Denn freie Wahlen hätte spätestens seit dem 17. Juni 1953 zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik geführt.

Mielke am 31. 8. 89 auf einer Dienstberatung, zunächst typisch dusslig über das Westfernsehen in Dresden:

Mielke: Aber bis dahin hatten sie überhaupt keinen Empfang, einen ganz schwachen Empfang?

Anders: Wir hatten in Dresden keinen, nur auf ein paar Höhenzügen, wo das von Berlin aus zu empfangen war.

Mielke: Nun habt ihr einen besseren Empfang, einen normalen. Das muss man auch mal sehen. Der Sozialismus ist so gut; da verlangen sie immer mehr und mehr.


Dann hellsichtig:

Dangrieß: Genosse Minister, ich würde sagen, natürlich ist die Gesamtlage stabil. Aber diese Tendenzen im gesamten Diskussionsgeschehen, die da betreffen die Ungarnprobleme, die maßgeblichen Verbleiber (Flüchtlinge, d. Red), die hohe Zahl der Verbleiber, das stimmt einerseits doch viele progressive Kräfte nachdenklich, vor allem auch im Hinblick auf die Konsequenzen.

Mielke: Ist es so, dass morgen der 17. Juni ausbricht?

Dangrieß: Der ist morgen nicht, der wird nicht stattfinden, dafür sind wir ja auch noch da.

Mielke: Du verstehst den Sinn? https://www.volksstimme.de/nachrichten/ ... i-aus.html
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