1986 gescheiterter Fluchtversuch mit einem " W 50 "

1986 gescheiterter Fluchtversuch mit einem " W 50 "

Beitragvon Interessierter » 22. Dezember 2019, 15:16

Am Abend des 20. November 1986 teilt Manfred Mäder seiner Frau mit, dass "die Flucht in der Nacht steigen würde". Davon abbringen lässt er sich nicht. Das Ehepaar nimmt Abschied. Zusammen mit René Groß entwendet er einen LKW "W 50" mit einem Hebebühnenaufbau, der annähernd die Höhe der Mauer hat. Am frühen Morgen gegen 5.00 Uhr rasen die beiden Männer auf gerader Straße mit hoher Geschwindigkeit auf die Grenze zu.

Manfred Mäder, geboren am 23. August 1948 in Prenzlau, ist Berufskraftfahrer. Ende der 1970er Jahre versucht er, erfolglos über die CSSR in den Westen zu fliehen. Er wird zu einer Haftstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt, die er in der Strafvollzugsanstalt Bautzen II verbüßen muss.

Nach seiner Haftentlassung hat Manfred Mäder kaum berufliche Chancen. „Er musste die billigsten Hofarbeiten machen, für die sich kein anderer fand", und einmal wöchentlich hatte er sich bei der Volkspolizei zu melden, berichtet seine Frau, die Manfred Mäder 1985 heiratet. Er zieht zu ihr und ihrer kleinen Tochter - in eine Wohnung, die unmittelbar an der Mauer in Berlin-Treptow liegt. [1] Im Jahr darauf beantragt die Familie die Ausreise aus der DDR. [2] Ausreiseanträge wurden zwar von den zuständigen Stellen – den Abteilungen Inneres der Räte der Bezirke und Kreise – entgegengenommen, doch erfuhr man selten, ob sie überhaupt jemals genehmigt würden, es sei denn, die Genehmigung stand unmittelbar bevor.

Mit einem Ausreiseantrag zu leben hieß, zwischen Hoffnung und Resignation in Unsicherheit darüber zu existieren, wo und wie man die nächsten Jahre zubringen würde. Manfred Mäder hält diese Abhängigkeit von der Gnade der Behörden nicht aus. Er will über seine Zukunft und die seiner Familie selbst bestimmen. Seine Frau lehnt eine Flucht wegen der Gefahr für ihre Tochter ab. Als Manfred Mäder jedoch René Gross kennen lernt, der ebenfalls einen Ausreiseantrag gestellt hat, sind die beiden Männer sich bald einig, ihren Familien voraus nach West-Berlin zu fliehen. [3] Dass anderen aus ihrem Bekanntenkreis die Flucht gelang, mag sie in ihrem Vorhaben zusätzlich bestärkt haben.

Am Abend des 20. November 1986 teilt Manfred Mäder seiner Frau mit, dass „die Flucht in der Nacht steigen würde". [5] Davon abbringen lässt er sich nicht; das Ehepaar nimmt Abschied. Zusammen mit René Gross entwendet er einen LKW „W 50" mit einem Hebebühnenaufbau, der annähernd die Höhe der Mauer hat. [6] Am frühen Morgen gegen 5.00 Uhr rasen die beiden Männer auf gerader Straße mit hoher Geschwindigkeit auf die Grenze zu, wo sie die Berliner Stadtteile Treptow und Neukölln trennt. Sie durchbrechen ein Grenztor in der Hinterlandsicherungsmauer und den Signalzaun.

Nach einer scharfen Rechtskurve kommt das Fahrzeug parallel zum Grenzverlauf am Sockel der Betonmauer zu West-Berlin zum Stehen. [7] Von zwei Wachtürmen aus und von herbeieilenden Grenzern wird Dauerfeuer geschossen, bis beide Flüchtlinge tot bzw. schwer verletzt am Boden liegen. Manfred Mäder, der von den Aufbauten des LKW aus auf die Mauerkrone gesprungen ist, trifft eine Kugel in den linken Oberschenkel. Er fällt auf die Ostseite zurück und verblutet. René Gross, der die Flucht aufgegeben hat und unter dem LKW Feuerschutz sucht, wird durch einen Kopfschuss getötet.

Die beteiligten Grenzsoldaten werden vom Dienst abgelöst und noch am selben Tag - unter anderem mit der „Verdienstmedaille der Grenztruppen der DDR" in Bronze - ausgezeichnet und zu einem Bankettessen eingeladen.
[9] Ein Ermittlungsverfahren der DDR-Militärstaatsanwaltschaft wird zwei Monate später mit der Begründung, es handele sich um tödliche Verletzungen „infolge selbstverschuldeter Handlungen", eingestellt. Knapp 18 Jahre später verurteilt das Berliner Landgericht den Todesschützen von Manfred Mäder wegen Totschlags in einem „minder schweren Fall" zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung. [10] Wer René Gross erschossen hat, kann nicht geklärt werden.

Den vollständigen Bericht und Bilder findet man hier:
http://www.chronik-der-mauer.de/todesop ... er-manfred
Interessierter
 

Re: 1986 gescheiterter Fluchtversuch mit einem " W 50 "

Beitragvon augenzeuge » 22. Dezember 2019, 23:05

und zu einem Bankettessen eingeladen


Widerlich. Wenn sie die Belobigten in die Pathologie eingeladen hätten, wäre ihnen jeder Appetit vergangen. [angst]
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Re: 1986 gescheiterter Fluchtversuch mit einem " W 50 "

Beitragvon zonenhasser » 23. Dezember 2019, 06:41

Schlimm!
Die “Rote Fahne” schrieb noch “wir werden siegen”, da hatte ich mein Geld schon in der Schweiz.
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Re: 1986 gescheiterter Fluchtversuch mit einem " W 50 "

Beitragvon Nov65 » 23. Dezember 2019, 17:43

Es war alles tragisch. Solche Begebenheiten habe ich mehrmals in die Schreibmaschine getippt, 6 Durchschläge.Ich war damals Gefreiter im GR 35, Vorzimmer Kommandeur, also so etwas wie Sekretär des Regimentskommandeurs und des Stabschefs in einer Dienstperson. Nach so einem "Vorfall" wurde ein Gremiium zusammengerufen, bestehend aus der Grenzsicherung, dem MfS, der Stadtkommandantur u.a. Diese Hochdekorierten berieten über die Geschehnisse und fassten diese dann in einem Protokoll zusammen, das sie mir dann diktierten. Dieses "Protokoll" war sicher die frisierte Modifikation der Geschehnisse.
Grüße von Andreas
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