Der Flug in die Freiheit

Der Flug in die Freiheit

Beitragvon Interessierter » 10. August 2019, 09:35

Zahlreiche Menschen flohen über Tempelhof aus der DDR in die Bundesrepublik. Brigitte Jerate-Kammermeier war eine davon.

Für wohl jeden Menschen gibt es einen Ort, dem er sich auf besondere Weise verbunden fühlt. Für Brigitte Jerate-Kammermeier ist dies der Flughafen Tempelhof. Bei Eberswalde wurde sie geboren, jetzt lebt sie nahe Düsseldorf, weit weg von Berlin, aber immer wenn sie, von dem fernen Airport in der Zeitung las oder Bilder im Fernsehen sah, dachte sie bei sich: „Mein Flughafen.“

Wie so viele, ja eigentlich alle DDR-Flüchtlinge, die den Weg über West-Berlin gewählt hatten, musste auch die damals knapp elfjährige Brigitte, wollte sie weiter nach Westdeutschland, ausgeflogen werden. Mit ihrer Mutter und ihrem knapp 15-jährigen Bruder war sie von Bernau aus mit der S-Bahn in den Westteil der Stadt gefahren, fünf Jahre vor dem Mauerbau. Scharfe Kontrollen an der Sektorengrenze gab es schon damals. Viele, die sich irgendwie verdächtig verhielten oder einfach nur Pech hatten, wurden von den Grenzern festgehalten und später wegen „versuchter Republikflucht“ zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, ihre Familien zerrissen. Auch Brigitte Jerate-Kammermeier wäre das beinahe passiert.

Alleinerziehend unter Verdacht

Ihr Vater war seit Kriegsende vermisst, die Mutter sah in der DDR kaum die Möglichkeit, sich eine Existenz aufzubauen, verachtete das SED-Regime und machte daraus kein Hehl. Bald galt sie als fluchtverdächtig, musste ihren Ausweis abgeben, befürchtete, verhaftet zu werden.

Ein Trick half dann doch, mit dem Ausweis einer ebenfalls nach West-Berlin flüchtenden Frau, den Brigittes Bruder sofort zurückbrachte, damit seine Mutter mit ihren Kindern, allerdings nicht als Gruppe, ebenfalls durch die Grenzkontrollen kam. Es wäre fast schiefgegangen. Einem Grenzpolizisten war der Junge bei der Ausreise aufgefallen, auch sein Gepäck schien verdächtig – er wurde abgeführt, stundenlang verhört, konnte sich aber rausreden, durfte weiterfahren zu Mutter und Schwester, die bereits in West-Berlin warteten. Die Drei kamen ins Notaufnahmelager Marienfelde, nach Wochen ging es in das vom Deutschen Roten Kreuz zwischen 1953 und 1961 betriebene Flüchtlingsheim „Dunant“ am Askanischen Platz 3 in Kreuzberg. Heute ist es das Verlagsgebäude des Tagesspiegel[/b].

"Jetzt kann uns nichts mehr passieren"

Die Sektorengrenze war nah, wegen Straßenbauarbeiten, erinnert sich Brigitte Jerate-Kammermeier, durfte man den Bürgersteig direkt am Haus nicht benutzen, musste auf die andere Straßenseite, jenseits der Grenze, wie sie fälschlich glaubte. Die Frontstadt hielt viele Schrecken bereit. Aber nach einigen Wochen waren auch die überwunden, und die kleine Brigitte betrat mit dem Bruder und an der Hand ihrer Mutter die Abflughalle in Tempelhof. Selbstverständlich war es ihr erster Flug, schon dies war spannend, aber der Ort bedeutete weitaus mehr: „Tempelhof und der Flughafen – das war Sicherheit, das war das Tor zur Freiheit. Es war das Gefühl: Jetzt kann uns nichts mehr passieren.“

https://www.tagesspiegel.de/berlin/fluc ... 56568.html
Interessierter
 

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