Reinhold Balk, Experte für den Eisernen Vorhang, hat den Fall recherchiert. Ihm ist es gelungen, aus dem tschechischen Archiv in Kanice das Protokoll der CSSR-Grenzwachen zu holen. Es zeigt die ganze Tragweite des Skandals. Es sind nämlich zwei Protokolle: Im ersten gibt der tschechische Oberst wieder, was tatsächlich passiert ist. Im zweiten Protokoll schlägt er vor, welche Lüge man den Deutschen erzählen könnte.
Zwei jungen Ingenieuren aus dem Raum Leipzig gelang am frühen Morgen des 3. Januar 1969 die Flucht in den Westen. Sie waren schon gut 600 Meter auf deutschem Boden, als sie von Grenzsoldaten der Tschechoslowakei überwältigt und zurückgeschleift wurden. Der sogenannte "Grenzzwischenfall Egerteich" löste diplomatische Verwicklungen auf höchster Ebene aus.
3. Januar 1969. Es folgt eine Wiedergabe des CSSR-Protokolls: Der junge Grenzsoldat Jirí N. entdeckt am frühen Morgen frische Fußabdrücke im Schnee. Er folgt den Spuren und bemerkt angeblich in der Aufregung nicht, dass er über die Grenze läuft. Der Tscheche befindet sich schon 600 Meter tief im "Feindesland", als er die zwei Flüchtenden Wagner und Melz einholt. Er fordert sie zum Stehenbleiben auf. Als sie dem nicht Folge leisten, gibt er über ihre Köpfe Schüsse mit der Maschinenpistole ab. Hinter ihm folgt in einigem Abstand eine Streife. Die Kollegen lassen ihre Diensthunde von der Leine. Ingenieur Wagner schreit den Tschechen an: Man befinde sich längst auf deutschem Gebiet. Laut Protokoll ruft er "Hilfe" und "Bundesgrenzschutz". Dabei deutet er auf die Lichter eines Fahrzeugs nahe Egerteich. Indessen holt Diensthund "Rex" auf, der kurioserweise zunächst den CSSR-Soldaten Jirí N. beißt. Auch die beiden tschechoslowakischen Kollegen treffen ein. Ihnen ist klar, dass man sich auf deutschem Gebiet befindet. Sie wollen den jungen Kollegen "herausholen" - allerdings nicht ohne die Republikflüchtlinge.....
Man mag sich nicht ausmalen, wie es den beiden 25-jährigen Männern ergangen ist. Werner Mallmann, früher Führer eines Einsatzzuges beim Bundesgrenzschutz Nabburg, hat ihr Schicksal nie in Ruhe gelassen. Sie seien zunächst in Bautzen inhaftiert worden. Später sei es der BRD gelungen, die beiden freizukaufen. Mitte der 80er sei aus heiterem Himmel einer der beiden in der Dienststelle des BGS in Nabburg aufgetaucht, vermutlich Wagner. Er bat, dass man ihm die Stelle seiner Verschleppung zeigen könne. Mallmann fuhr mit ihm vor Ort. "Er stand da eine ganze Weile." Sehr ergriffen, sehr still.
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AZ