Geflüchtet, gescheitert, gehasst und gesundet

Geflüchtet, gescheitert, gehasst und gesundet

Beitragvon Interessierter » 7. November 2018, 13:07

Der Schildower Thomas Drescher sprach als Zeitzeuge der DDR-Diktatur vor Zwölftklässlern des Oberstufenzentrums in Oranienburg. Drescher war als 21-Jähriger nach einem gescheiterten Fluchtversuch im Januar 1989 zu Haft und Zwangsarbeit verurteilt worden. Im Oktober kurz vor dem Mauerfall war er von der Bundesrepublik freigekauft worden.

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Thomas Drescher zeigt ein Foto von einer Zelle in der Untersuchungshaft in Oranienburg. Quelle: Marion Bergsdorf

Als er mit seinem Freund Dirk, die einklappbaren Leitern über dem Arm, nachts am 24. Januar 1989 auf Fahrrädern zur Grenzanlage in Glienicke fuhr, waren die beiden 21-Jährigen gesehen und verpfiffen worden. Doch das hat Thomas Drescher erst vor kurzem erfahren, als er seine Stasiakte einsah.

Der 48-Jährige Schildower war am Dienstag als Zeitzeuge Gast bei Zwölftklässern des Georg-Mendheim-Oberstufenzentrums in Oranienburg. Diese beschäftigen sich gerade mit dem Thema: „Deutsch-deutsche Wegbereiter der friedlichen Revolution und der Deutschen Einheit“.

Thomas Drescher berichtete von der gescheiterten Flucht. Ein junger Grenzer stand zitternd mit der auf Dauerfeuer eingestellten Kalaschnikow vor den Flüchtenden und schrie: „Was macht Ihr denn für’ne Scheiße?“ Warum ihm in der Haft in Oranienburg und im Gefängnis bei Riesa so viel Hass von den Bewachern entgegenschlug, wurde ihm klar, als einer sagte: „Ihr habt die Revolution verraten, ihr seid schlimmer als Kinderschänder und Mörder.“

Wie er es geschafft habe, mit diesen Erlebnissen klarzukommen, wollte eine Schülerin wissen. So etwas „schüttelt man ab“, hätte er sich als 22-Jähriger gesagt, berichtete Drescher. Doch das habe nicht funktioniert. Eine Psychologin riet ihm, Interviews zu geben und über seine Emotionen zu sprechen.

Nach neunmonatiger Haft und Zwangsarbeit in einem Stahlwerk bei Riesa wurde Drescher als einer der letzten politischen Gefangenen der DDR im Oktober wenige Wochen vor dem Mauerfall von der Bundesrepublik freigekauft. Was er beim Mauerfall empfunden habe, so eine weitere Frage der Schüler. „Ich begrüßte den Mauerfall, aber ich konnte mich nicht freuen“, gab Drescher zu. „Denn ich zweifelte, ob die Verantwortlichen der DDR-Diktatur jemals zur Rechenschaft gezogen werden würden.“

Bereut hat Thomas Drescher nichts. Flucht und Haft hätten ihn geprägt. Heute arbeitet der angehende Erzieher der Jugendhilfe selbst mit jungen Menschen. Er ist der Meinung, dass die jüngere deutsche Geschichte unzureichend aufgearbeitet wird. Warum er als Zeitzeuge auftritt? „Es hilft mir bei der Bewältigung. Ich möchte, dass junge Menschen nicht einseitig denken und andere Meinungen zulassen. Ein Mädchen meinte am Schluss des Gesprächs: „Mich berührt das total, was Sie durchgemacht haben.“

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