„Im Rahmen der politisch-operativen Sicherung der Transitwege wurde am 06.02.1977 Dr. Sorger, Karin, tätig als Ärztin im Pathologischen Institut der Karl-Marx-Universität Leipzig, auf Grund verdächtiger Verhaltensweisen vorläufig festgenommen. Es besteht der begründete Verdacht der Vorbereitung einer Straftat gem. § 213 StgB.“ – Ein Auszug aus der Stasi-Akte Karin Sorgers, die in ihrer Autobiografie „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit“ zu finden ist. Der Bericht dokumentiert eine unrühmliche Vergangenheit der DDR. Als Zeitzeugin hat es sich Karin Sorger, die später lange Jahre in Göppingen als Chefärztin verbrachte und nun in Baden-Baden lebt, zur Aufgabe gemacht, an diese Epoche zu erinnern: zu erinnern, wie fragil die Freiheit sein kann – und sich bewusst zu machen, wie wertvoll sie ist und wie wenig selbstverständlich.
DAS ERLEBNIS DER UNFREIHEIT
§ 213, der im Bericht des DDR-Majors Reinicke angeführt wird, behandelt den „ungesetzlichen Grenzübertritt“, eine strafbare Handlung, für die in schweren Fällen eine Strafe von ein bis acht Jahren Freiheitsentzug vorgesehen war. Karin Sorger musste nach ihrer Verhaftung zehn Monate im berüchtigten Frauenzuchthaus Hoheneck verbringen. Ein Gefängnis, in dem Politische wie Kriminelle saßen, darunter auch ehemalige KZ-Aufseherinnen. „Ich habe in den zehn Monaten mehr gelernt als ich in zehn Jahren aus Büchern hätte lernen können“, blickt Karin Sorger auf ihre Haft zurück.
Es ist erstaunlich und sehr charakteristisch für die 78-jährige, dass sie sogar einem harten Schicksalsschlag noch etwas Positives abgewinnen kann. Karin Sorger war zum Zeitpunkt der Festnahme 37 Jahre – und hatte tatsächlich ihre Flucht geplant. Bei der Suche der Stelle, an der sie mit ihrer kleinen Tochter später in ein Schleuserfahrzeug zusteigen wollte, wurde sie erwischt. Die Inhaftierung war sicher die massivste Form staatlicher Repression, die Karin Sorger in ihrer DDR-Zeit erleben musste. Doch Erlebnisse der Unfreiheit lassen sich viele auf dem Faden ihres Lebens aufreihen.
„WER MIT 30 NOCH KOMMUNIST IST, HAT KEINEN VERSTAND.“
„Wie naiv wir doch gewesen waren! Der ganze Apparat wurde seit jenem Tag im August immer restriktiver“, erklärt Karin Sorger. „Als Ärztin hatte ich später Publikationsverbot im Westen, die Fachzeitschriften von dort waren nicht mehr frei verfügbar, zu Kongressen durfte ich nicht ausreisen. Das sind nur ein paar von vielen Beispielen. Auch hatten wir als Akademiker im Staat der Arbeiter klare Nachteile. Viele Jahre wohnten mein Mann und ich mit unserer kleinen Tochter auf engstem Raum zur Untermiete in einer 1,5-Zimmerwohnung, Bad und Küche mussten wir uns mit den Vermietern teilen – während eine Arbeiterfamilie, die möglichst noch in der Partei war, in der gleichen Situation eine eigene 3-Zimmerwohnung zugeteilt bekam.“ Einen bestimmten Zeitpunkt, an dem es für Karin Sorger hieß „Jetzt muss ich raus hier!“ gab es nicht. Vielmehr waren es viele Ereignisse, die nach und nach im Fluchtgedanken resultierten. Anfangs war sie noch überzeugt von der sozialistischen Idee, hat Marx gelesen und seinen Ideen zugestimmt. Den Arbeitern soll es gut gehen – daran war nichts falsch. In der Theorie. Aber der real existierende Sozialismus mit seiner Misswirtschaft, seiner Ungerechtigkeit, der Diktatur des Proletariats, schließlich der Machtanspruch der SED – damit konnte kein freiheitsliebender Mensch konform gehen. „Wer mit 18 kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer mit 30 noch Kommunist ist, hat keinen Verstand“ – ein Satz, den Karin Sorger gerne zitiert.
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