Stasi macht aus Mord an der Grenze einen Selbstmord

Stasi macht aus Mord an der Grenze einen Selbstmord

Beitragvon Interessierter » 21. November 2017, 13:03

Herbert Kiebler
geboren am 24. März 1952 erschossen am 27. Juni 1975

Nahe der damaligen Fernstraße 96 überwindet er gegen 00.30 Uhr den Grenzsignalzaun, überquert den Kolonnenweg und bewegt sich weiter in Richtung Kfz-Sperrgraben, ohne zu bemerken, dass er Alarm ausgelöst hat. Zwei Grenzposten nehmen daraufhin in einem Trabant-Kübel die Suche nach dem Flüchtenden auf. Als sie Kriechspuren entdecken, gehen sie mit entsicherter Waffe in Stellung.
Herbert Kiebler wird bei seinem Fluchtversuch am 27. Juni 1975 erschossen. Wenige Wochen vor der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte in Helsinki ist der SED-Führung an Negativschlagzeilen über Todesschüsse an der Mauer nicht gelegen. Da im Osten wie im Westen niemand die Flucht bemerkt zu haben scheint, beschließt die Staatssicherheit, den Mord – ein solcher ist es nach DDR-Recht – als Selbstmord auszugeben und verlegt deshalb den Tatort in einen grenzfernen Wald. An dieser „Abdeckungsmaßnahme" sind Förster, Volkspolizisten, Standesbeamte, Pathologen und Staatsanwälte beteiligt; die Staatssicherheit hatte Macht genug, alle nötigen zivilen Institutionen in ihre Inszenierung einzubinden.


Erst im Zuge der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und der Einsicht der Angehörigen in die Stasi-Unterlagen in den 1990er Jahren kommt die Wahrheit über den Tod Herbert Kieblers ans Licht.

Herbert Kiebler, geboren am 24. März 1952 in Mahlow, arbeitet seit Februar 1975 als Presser im Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerke. Sein Vater ist 1965 verstorben; zusammen mit der Mutter und der jüngeren Schwester wohnt er in Mahlow, am südlichen Berliner Stadtrand; drei ältere Geschwister sind bereits aus dem Haus. [1] Am 26. Juni 1975, einem warmen Sommertag, sitzt der 23jährige Metallarbeiter mit seiner Clique in einer Mahlower Gaststätte. In den Abendstunden bricht Streit aus; er endet mit einer schlimmen Schlägerei, in der Herbert Kiebler den Kürzeren zieht. Vermutlich ging es um Falschspiel und Spielschulden. Als er gegen 22.00 Uhr angetrunken nach Hause kommt, ist er arg zugerichtet und fühlt sich von seinen Kumpanen nicht nur körperlich verletzt. Seine damals 15-jährige Schwester sagt später vor der Volkspolizei aus, dass er vor Schmach geweint, gar von Selbstmord gesprochen habe. Als Herbert Kiebler die elterliche Wohnung nach einer halben Stunde wieder verlässt, hat er einen Abschiedsbrief an die Mutter hinterlassen: „Auf Wiedersehen im Knast oder in Westdeutschland", steht da, und: „Liebe Mutti, wenn ich sterben sollte, dann wünsche ich dir viel Glück." [2] Der kleinen Schwester sagt er, er wolle „nach drüben". Sie versucht noch, ihn zurückzuhalten, läuft in einem größeren Abstand hinter ihm her, verliert ihn aber schließlich aus den Augen.

Herbert Kiebler irrt durch die Nacht. Wie sein Bruder später recherchiert, fährt er mit dem Bus nach Drewitz, steigt an der Autobahn aus – und nimmt den nächsten Bus zurück nach Mahlow. [4] Nahe der damaligen Fernstraße 96 überwindet er gegen 00.30 Uhr den Grenzsignalzaun, überquert den Kolonnenweg und bewegt sich weiter in Richtung Kfz-Sperrgraben, ohne zu bemerken, dass er Alarm ausgelöst hat. Zwei Grenzposten nehmen daraufhin in einem Trabant-Kübel die Suche nach dem Flüchtenden auf. Als sie Kriechspuren entdecken, gehen sie mit entsicherter Waffe in Stellung. Sobald Kiebler den Sperrgraben verlassen will, entdecken sie ihn und eröffnen aus 100 Meter Entfernung das Feuer auf einen Fluchtverdächtigen, den sie leicht – wie sie später selbst einräumen – auch ohne Waffengewalt hätten festnehmen können. Von einer Kugel in Brust und Oberarm getroffen, bricht Herbert Kiebler zusammen und verblutet noch am Tatort.

Wegen „entschlossenen Handelns" und „hoher Wachsamkeit" wird der Todesschütze zunächst mit der „Medaille für vorbildlichen Grenzdienst", sein Kompaniechef und Vergatterer mit dem „Leistungsabzeichen der Grenztruppen" ausgezeichnet. [5] Ein Vierteljahrhundert später werden sie vom Landgericht Potsdam wegen Totschlages bzw. Beihilfe zum Totschlag zu Bewährungsstrafen von 24 und 15 Monaten verurteilt. [6] Einer der beiden Verurteilten ist mittlerweile Angehöriger des Bundesgrenzschutzes; die Schwester des Getöteten, die zu der Gerichtsverhandlung als Zeugin geladen ist, kann Reue bei den Angeklagten nicht verspüren: „Im Gegenteil, sie haben mich noch hämisch angegrinst." [7]

Um nach den tödlichen Schüssen auf Herbert Kiebler sicher zu gehen, dass keine Informationen von der Grenze durchsickern, fängt die Staatssicherheit die Post der Grenzsoldaten an ihre Angehörigen und Freunde ab. Die Auswertung fördert zynische Kommentare wie „Und wieder einer weniger, der unsere Butter ißt" oder „Hat er eben Pech gehabt" zu Tage, aber auch Mitgefühl: „Er war ein Grenzverletzer, aber war es wirklich nötig, aus 80 m Entfernung ihn so grausam zu töten? Es gab andere Möglichkeiten, ihn an seinem Vorhaben zu hindern." Und ein anderer: „Möchte bloß mal wissen, was die seinen Eltern sagen." [8]

Zutiefst beunruhigt über den Abschiedszettel ihres Sohnes gibt die Mutter am Morgen des 27. Juni eine Vermisstenanzeige auf. Ein grausames Spiel der Stasi mit der Familie folgt. Aus „Abdeckungszwecken gegenüber den Angehörigen der Familie Kiebler", wie es in der Sprache der Staatssicherheit heißt, wird die Falschaussage eines Försters konstruiert [9], ein Protokoll über „kriminaltechnische Tatortarbeit" gefälscht [10] und ein „Tatortuntersuchungsprotokoll" des Volkspolizeikreisamtes Potsdam erfunden. [11] Schließlich wird den Familienangehörigen am 3. Juli mitgeteilt, dass die Leiche von Herbert Kiebler in einem Wald in Potsdam-West von einem Förster gefunden worden sei und er mit einem Messer Selbstmord begangen habe. Selbst die Staatsanwaltschaft des Kreises Potsdam ist in diese „Abdeckungsmaßnahme" einbezogen.


Dem älteren Bruder will nicht einleuchten, warum sich Herbert Kiebler, um Selbstmord zu verüben, noch der Mühe unterzogen haben soll, mitten in der Nacht mehr als 40 Kilometer von Mahlow nach Potsdam zu fahren. Auf seine Anfrage hin wiederholt der Potsdamer Staatsanwalt gegenüber den Angehörigen die Lügengeschichte, weigert sich aber zugleich, ihnen Fotos von der Leiche zu zeigen. [12] Doch die Angehörigen glauben der offiziellen Version nicht. Sie befürchten vielmehr, Herbert Kiebler könnte ein Opfer derjenigen geworden sein, die ihn am Abend seiner Flucht verprügelt haben. Auch einen Fluchtversuch schließen sie nicht aus, haben sie doch gerüchteweise von Schüssen an der Grenze in der Nacht seines Verschwindens gehört. [13]

Am 11. Juli 1975 wird Herbert Kiebler auf dem Friedhof in Mahlow beigesetzt; die Trauergäste stehen unter Beobachtung der Staatssicherheit. [14] Einen letzten Blick auf den Toten hatte die Stasi der Familie wohlweislich verwehrt. Um dennoch vom Toten Abschied zu nehmen, dringen Herbert Kieblers Angehörige nachts heimlich in die Kapelle ein, öffnen den Sarg und entdecken die Schusswunden. [15] Immer wieder wird seine Mutter danach bei der Volkspolizei vorstellig, um Aufklärung über die wahren Todesumstände ihres Sohnes zu erlangen. Ihre Tochter erinnert sich: „Unsere Mutter ist an den Lügen um Herberts Tod zugrunde gegangen. Sie kam in psychiatrische Behandlung, starb verbittert 1993."

http://www.chronik-der-mauer.de/todesop ... er-herbert

Als der Flüchtling für die Grenzer sichtbar ist, schießen sie ihn einfach ab, wie einen Hasen, obwohl sie seiner auch anders hätten habhaft werden können, wie sie später selber einräumen,
Dafür werden sie dann auch noch belobigt!!

Wenn dann auch noch VP, MfS und Staatsanwaltschaft sich daran beteiligen aus diesem kaltblütigen Mord, unter Fälschung von Dokumenten, einen Selbstmord vorzutäuschen, dann zeigt es wieder einmal überdeutlich auf, mit welchen kriminellen und verbrecherischen Aktionen die Organe dieses menschenverachtenden SED - Regimes agierten. PFUI DEIBEL
Interessierter
 

Re: Stasi macht aus Mord an der Grenze einen Selbstmord

Beitragvon HPA » 21. November 2017, 13:56

Aus „Abdeckungszwecken gegenüber den Angehörigen der Familie Kiebler", wie es in der Sprache der Staatssicherheit heißt, wird die Falschaussage eines Försters konstruiert [9], ein Protokoll über „kriminaltechnische Tatortarbeit" gefälscht [10] und ein „Tatortuntersuchungsprotokoll" des Volkspolizeikreisamtes Potsdam erfunden. [11] Schließlich wird den Familienangehörigen am 3. Juli mitgeteilt, dass die Leiche von Herbert Kiebler in einem Wald in Potsdam-West von einem Förster gefunden worden sei und er mit einem Messer Selbstmord begangen habe. Selbst die Staatsanwaltschaft des Kreises Potsdam ist in diese „Abdeckungsmaßnahme" einbezogen.


Ein sicheres Indiz dafür, dass man alleinig den Stasiakten und anderen (volks)polizeilichen Untersuchungs und Ermittlungsberichten in Zusammenhang mit den Tötungsverbrechen an der innerdeutschen Grenze als das „non plus ultra“ der Wahrheit schlichtweg nicht trauen kann.
HPA
 

Re: Stasi macht aus Mord an der Grenze einen Selbstmord

Beitragvon Interessierter » 21. November 2017, 16:28

Ob Hobbyhistoriker oder Buchautoren, die sich gerne lobend über VP und MfS äußern, darüber auch berichten? [denken]
Interessierter
 

Re: Stasi macht aus Mord an der Grenze einen Selbstmord

Beitragvon Interessierter » 1. Dezember 2017, 11:25

25 Jahre Mauerfall – Gemeinsame Erinnerung vor den Toren von Lichtenrade

Ohne Vergangenheit keine Zukunft

Eine Woche nach dem 9. November 2014, 25 Jahre nach dem Fall der Mauer, wurde vor den Toren von Lichtenrade, am ehemaligen Grenzweg, den Maueropfern gedacht. Die Feierlichkeit wurde gemeinsam vom Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg und der Gemeinde Blankenfelde-Mahlow organisiert.

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Am S-Bahnhof Lichtenrade startete der von Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (Foto re) geführte Kiezspaziergang mit vielen Informationen. Gemeinsam mit der Landrätin Kornelia Wehlan (Foto lks), dem Bürgermeister der Gemeinde Blankenfelde-Mahlow, Ortwin Baier, und dem Europaabgeordneten und Vater des Mauerwegs, Michael Cramer, ging es mit den rund 200 Interessierten in Richtung Süden.
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Der ebenfalls gut besuchte Naturspaziergang wurde vom Leiter der Umweltinitiative Teltower Platte, Markus Mohn, geleitet und startete westlich vom Kirchhainer Damm. Unter dem Motto „Grünstreifen statt Grenzstreifen“ konnte über die vielfältigen Aktivitäten der Initiative berichtet werden, wie aus dem einstigen Todesstreifen eine lebendige Landschaft geworden ist.

An der Erinnerungsstele des Mauertoten Herbert Kiebler trafen sich die rund 300 Teilnehmer der Spaziergänge.
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Der Ehrenvorsitzende des Fördervereins Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde, Harald Fiss, berichtete über die Menschen, die an der Grenze zu Lichtenrade zu Tode gekommen sind. Gemeinsam wurde der Toten in einer Schweigeminute gedacht und Blumen niedergelegt.

http://weblog.lichtenrade-berlin.de/arc ... enrade.htm
Interessierter
 


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