Drei unterschiedliche Welten treffen aufeinander, als an einem Sommerabend im Juli 1966 im Süden von Berlin ein Fluchtversuch im Kugelhagel tödlich endet: der 33-jährige Eduard Wroblewski, Familienvater aus der Nähe der Lutherstadt Wittenberg, sucht von Sorgen und Nöten geplagt einen Weg, der DDR zu entfliehen. Fünf Grenzsoldaten im Alter von 18 bis 22 Jahren eröffnen mit ihren Maschinenpistolen das Feuer, um seinen Fluchtversuch zu verhindern.
Anwohner im angrenzenden West-Berliner Ortsteil Lichtenrade wiederum, die eben noch in ihren Gärten gesessen oder im Fernsehen das Halbfinalspiel der Fußball-Weltmeisterschaft zwischen England und Portugal verfolgt haben, werden zu unfreiwilligen
Zeugen einer der heftigsten Schießereien, die es an der Berliner Mauer gegeben hat. Innerhalb kürzester Zeit feuern die Grenzposten nicht weniger als 274 Kugeln ab. Zwölf Schüsse treffen Eduard Wroblewski von hinten. Er bricht zusammen und stirbt noch an Ort und Stelle.
Die Anwohner auf der West-Berliner Mauerseite beobachten, wie sein lebloser Körper eilends fortgeschafft wird und beschimpfen die Grenzposten lauthals als „Mörder“ und „Schweine“.
Der Protest ist heftig, weil auch auf West-Berliner Gebiet zahlreiche Geschoßeinschläge an Häusern, Dächern, Fenstern und sogar in Wohnzimmerwänden zu finden sind. Einhellig verurteilen Innensenator Albertz und der amerikanische Stadtkommandant Franklin den brutalen und rücksichtslosen Schusswaffengebrauch. Der West-Berliner Senat stellt im Rahmen seiner Aktion „Studio am Stacheldraht“ ein Plakat auf mit dem Appell: „Soldat, das war Mord! Hast Du an seine Mutter gedacht?“
Während die Schützen zu DDR-Zeiten unbehelligt bleiben, wird Eduard Wroblewski nach seinem Tod öffentlich bloß gestellt. So wird in der „Berliner Zeitung“ vom 29. Juli 1966 behauptet, man
habe an der „Staatsgrenze“ einen „Asozialen gestellt“, der Fremdenlegionär gewesen sei und wegen schwerer Verbrechen im Bezirk Halle gesucht werde. Dass er ein Verbrechen begangen haben soll, ist ein haltloses Gerücht; ob er als Jugendlicher während seines kurzen Aufenthalts im Westen tatsächlich bei der Fremdenlegion war, ist
durch nichts belegt.Dennoch wirkt die üble Nachrede noch jahrelang nach, wie sich der Sohn von Eduard Wroblewski erinnert. Während es im Ort ein offenes Geheimnis ist, wie sein Vater starb, sind die Umstände und Hintergründe seines Todes innerhalb der Familie aus Scham und aus Angst vor Repressionen ein Tabu. Der Sohn erfährt erst davon, als ihm ein Mitschüler eines Tages entgegen hält, sein Vater sei „ein Verbrecher“ gewesen, der an der Grenze erschossen worden sei. Auch in anderer Hinsicht begleitete ihn dieser „Makel“, wie er später feststellen musste, auf Schritt und Tritt.
So geht aus Stasi-Unterlagen hervor, dass dem Sohn noch im Jahr 1982, als er seinen Wehrdienst ableistete, die Ausbildung zum Funker verwehrt wurde, weil sein Vater als so genannter „Grenzverletzer“ aktenkundig war. http://www.berliner-mauer-gedenkstaette ... 398,2.htmlAZ