Gelungene Flucht mit dem Fahrgastschiff „Friedrich Wolf"

Gelungene Flucht mit dem Fahrgastschiff „Friedrich Wolf"

Beitragvon Interessierter » 27. September 2017, 12:33

Am frühen Morgen des 8. Juni 1962 entführen 13 junge Ost-Berliner mit einem Baby den Ausflugsdampfer „Friedrich Wolf“. Kapitän und Maschinist hatten sie zuvor unter Alkohol gesetzt und in ihre Kabinen unter Deck eingesperrt. Die West-Berliner Polizei – von einem Freund der Gruppe über das Fluchtvorhaben unterrichtet – liegt mit einem Einsatzkommando bereit.

Gegen 5.05 Uhr nähert sich das Schiff auf der Spree, aus Treptow kommend, der Oberbaumbrücke. In Höhe des Landwehrkanals – etwa 400 Meter vor der Brücke – dreht es plötzlich bei und fährt mit voller Kraft auf die in West-Berlin gelegene Obere Schleuse zu.

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Aus Richtung Treptow kommend nähert sich der Ausflugsdampfer dem Osthafen – Gelungene Flucht mit dem Fahrgastschiff „Friedrich Wolf“, 8. Juni 1962 (Foto: Polizeihistorische Sammlung des Polizeipräsidenten in Berlin)

Drei DDR-Grenzboote verfolgen den Dampfer und nehmen ihn unter Beschuss: 135 Kugeln werden aus allen Richtungen abgefeuert, zwölf davon schlagen im Westen ein. Im Kugelhagel landet das Schiff am West-Berliner Ufer an. Unter Feuerschutz der West-Berliner Polizei springen die Flüchtlinge ans Ufer. Kapitän und Maschinist kehren auf eigenen Wunsch mit dem Dampfer nach Ost-Berlin zurück.

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Hinter der Osthafen-Mole dreht das Schiff abrupt bei und steuert mit voller Kraft auf das West-Berliner Ufer zu – alle Flüchtlinge springen unverletzt von Bord. Gelungene Flucht mit dem Fahrgastschiff „Friedrich Wolf“, 8. Juni 1962
Hinter der Osthafen-Mole dreht das Schiff abrupt bei und steuert mit voller Kraft auf das West-Berliner Ufer zu – alle Flüchtlinge springen unverletzt von Bord. Gelungene Flucht mit dem Fahrgastschiff „Friedrich Wolf“, 8. Juni 1962 (Foto: Polizeihistorische Sammlung des Polizeipräsidenten in Berlin)


Fortan werden alle Fahrgastschiffe in Ost-Berlin nachts bewacht – und die Steuerräder müssen abgeschraubt und bei der Betriebsaufsicht deponiert werden.

http://www.chronik-der-mauer.de/fluchte ... -juni-1962
Interessierter
 

Re: Gelungene Flucht mit dem Fahrgastschiff „Friedrich Wolf"

Beitragvon pentium » 27. September 2017, 15:40

Diese Sache ist sogar verfilmt worden, hier noch
einige Details aus einem Zeitungsartikel :

Mit dem Ausflugsdampfer geflohen

...

In dem auf einer wahren Begebenheit aufbauenden Film von Regisseurin Inga Wolfram bekleiden die beiden zusammen mit Horst Krause die Hauptrollen. Thema ist der Fluchtversuch von vier jungen Männern, alle Anfang 20, die es im Osten Berlins von 1962 nicht mehr länger aushalten. Sie arbeiten gemeinsam auf dem größten Fahrgastschiff der damaligen Ost-Berliner „Weißen Flotte“, der „Friedrich Wolf“, auf der Spree in der Gegend zwischen Oberbaumbrücke, Treptow und Landwehrkanal. Bald hecken sie spontan den Plan aus, auf dem Wasserweg in den Westen zu fliehen. Initiatoren dieses Unterfangens sind der Schiffskoch Jörg Lindner und der Steuermann Peter Warczewski, gespielt von Sebastian Stielke und Dirk Talaga.

Die Chance ist günstig. Die Schiffsbesatzung soll im Berliner Osthafen Transformatoren für die Stromversorgung an Bord laden und bekommt dafür einen Sonderpassierschein. Ihr Plan für die Nacht vom 6. auf den 7. Juni sieht wie folgt aus: Zusammen mit ihren zwei Freunden, einem Maschinisten und Kellner, wollen sie das Schiff in die Nähe des Hafens bringen. Ihr Ziel ist es, kurz vor Erreichen dieses Ortes abzudrehen, in den Landwehrkanal zu stoßen und dadurch nach Kreuzberg (Westberlin) zu gelangen. Zu diesem Zweck haben sie nun auch noch zwei Magdeburger Monteure eingeweiht, die kurz zuvor an Bord gekommen sind, um die Transformatoren zu installieren. Schiffskoch Jörg Lindner schafft es sogar bei einem Landgang seine als Putzfrau verkleidete Lebensgefährtin und sein zwei Monate altes Baby, das in einer Sporttasche transportiert wird, mit an Deck zu schleusen.

Ein großes Problem stellt nun der Kapitän, gespielt von Horst Krause, dar. Der weiß von nichts und muss ausgeschaltet werden. Wie gut, dass er im Film gerne zur Flasche greift. Viel Aufwand bedarf es also nicht, ihn so besoffen zu machen, dass er rechtzeitig außer Gefecht gesetzt ist.

Die Flucht scheint jedoch kurzfristig beendet zu sein, gar ein tragisches Ende zu nehmen, als Ostberliner Grenzposten beim Abdrehen des Schiffes vor dem Osthafen gegen 5 Uhr morgens die Situation durchschauen und das Feuer auf das Schiff eröffnen. Insgesamt geben sie 138 Schüsse ab. Doch in weiser Voraussicht hatten die vier jungen Männer eine Panzerverkleidung an die gefährdeten Schiffsseiten angebracht. Brenzlig wird es nun in erster Linie dadurch, dass das Schiff gleichzeitig von einer Ostberliner Wasserstreife beschossen wird. Letztendlich aber gelingt die Flucht über den Landwehrkanal trotz all dieser Vorfälle. Denn Westberliner Grenzer haben ihrerseits das Feuer auf die ostdeutsche Wasserstreife gerichtet und können diese abdrängen. Der Weg in die Freiheit für die vier jungen Männer ist nun endlich geöffnet.

...

[Potsdamer Neueste Nachrichten vom 29.07.2006]

...
*Dos Rauschen in Wald hot mir'sch ageta, deß ich mei Haamit net loßen ka!* *Zieht aah dorch onnern Arzgebirg der Grenzgrobn wie ene Kett, der Grenzgrobn taalt de Länder ei, ober onnere Herzen net!* *Waar sei Volk verläßt, daar is net wert, deß'r rümlaaft of daaner Erd!*
Anton Günther

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Re: Gelungene Flucht mit dem Fahrgastschiff „Friedrich Wolf"

Beitragvon pentium » 27. September 2017, 15:43

Details zum Film :

Letzte Ausfahrt West-Berlin

138 Schüsse auf die "Friedrich Wolf"
Film von Inga Wolfram und Helge Trimpert
(Erstsendung 9.8.2006)

Berlin im Sommer 1962: Seit fast einem Jahr steht die Mauer. Sie trennt Familien, Freunde und Liebende. Es ist die ohnmächtige Demonstration einer Staatsmacht, die ihre Legitimation nicht auf dem freien Willen ihrer Bürger gründet, sondern auf Stacheldraht und Todesstreifen. Einzelne nehmen das nicht hin und wagen, was tödlich enden kann: die Flucht in die Freiheit. Einen der spektakulärsten Fluchtversuche machen am Morgen des 8. Juni 1962 13 junge Ostberliner. Sie entführen den Ausflugsdampfer "Friedrich Wolf", das größte Fahrgastschiff der Ostberliner "Weißen Flotte". In nur 15 Minuten und unter Dauerfeuer der Ostberliner Grenzposten, gelingt ihnen der Grenzdurchbruch über die Spree in den Westteil Berlins. Der Stasi-Untersuchungsbericht über den "staatsfeindlichen Grenzdurchbruch am 8. Juni 1962" zählt 135 abgegebene Schüsse - es wurde niemand verletzt.
Der Film rekonstruiert den Ablauf der Ereignisse an Bord der "Friedrich Wolf" in nachgestellten Spielszenen und stellt die Flüchtlinge und ihr späteres Leben vor: Jörg Lindner, ehemals Schiffskoch auf der "Friedrich Wolf", lebt heute in Schweden und lehrt Geschichte an der Universität von Umeå. Peter Warszewski, am 8. Juni 1962 Steuermann auf der "Friedrich Wolf", arbeitet heute als Bauunternehmer in Spanien. Peter Currle, der Zweiten Steuermann, lebt in Frankreich.

Die "Berliner Zeitung" schrieb über den Film und die Ereignisse:

09.08.06 Berliner Zeitung S. 26
Rainer Braun

Im Kugelhagel nach Kreuzberg. ARD-Dokumentation über eine spektakuläre Flucht von Ost nach West
Was die Stasi nüchtern als "staatsfeindlicher Grenzdurchbruch am 8. Juni 1962" protokollierte, beherrschte am Tag darauf jenseits der Mauer die Schlagzeilen. "Tollkühnes Husarenstück", "Baby überlebte im Kugelhagel" titelten die Zeitungen im Westen. Die spektakuläre Aktion selbst trug schließlich alle Züge einer Geschichte, die sich so wohl nur in der geteilten Stadt abspielen konnte.

Morgens um 5 Uhr 5 legte die "MS Friedrich Wolf", das Flaggschiff der "Weißen Flotte", in Treptow ab und nahm Kurs auf den Osthafen. Eine Viertelstunde später legte der Dampfer jenseits der Oberbaumbrücke im Kugelhagel der DDR-Grenzsoldaten in Kreuzberg an. Wohl behalten, unverletzt und überglücklich gingen die 13 Flüchtlinge von Bord. Es sollte die einzige Flucht dieser Art vom Osten in den Westen Berlins bleiben.
Aus dem Baby, das bei der Vorbereitung zur Flucht glücklicherweise keinen Mucks von sich gab, ist ein versierter Journalist beim WDR geworden. Staunend sieht Uwe-Jens Lindner heute auf das, was vor 44 Jahren sein Leben veränderte. Mit 10 Jahren hat er seine eigene Geschichte erstmals beim Blättern in alten Zeitungen gelesen. Verstanden hat er die Zusammenhänge damals kaum. Vor einem Jahr hat Lindner diesen bewegten Abschnitt seiner Biografie eher beiläufig in der Kantine des Senders Heribert Schwan erzählt. Der WDR-Redakteur und Spezialist für historische Stoffe, war von der authentischen Story so angetan, dass er ihre Verfilmung beschloss.

Das Ergebnis kann heute leider erst zu vorgerückter Stunde besichtigt werden. "Letzte Ausfahrt Westberlin - 138 Schüsse auf die ,Friedrich Wolf'" hat Inga Wolfram ihre Dokumentation überschrieben, die minutiös die Ereignisse des 7. und 8. Juni 1962 rekonstruiert. Sie hat mit Peter Currle, Peter Warszewski oder dem damaligen Schiffskoch Jörg Lindner durchweg aussagekräftige Zeitzeugen vor der Kamera, die sich an ihre abenteuerliche Flucht und deren Motive erinnern. "Wir sind uns wie Helden vorgekommen", berichtet Uwe-Jens Lindners Vater Jörg, der heute Geschichte in Schweden lehrt, vom jugendlichem Leichtsinn der damals 20-Jährigen.
Bis heute macht ihm "der Vertrauensbruch" gegenüber seinem damaligen Kapitän zu schaffen. Der hatte ihm in der Nacht zuvor nichtsahnend nach fröhlichem Trinkgelage die Schlüsselgewalt übertragen. Ein erhöhter Alkoholpegel des Kapitäns spielte wiederum eine entscheidende Rolle in den Planungen der Fluchtwilligen, die das Schiff unbedingt kapern wollten.
Gerade diese eher leisen Zwischentöne der Beteiligten zählen zu den Stärken dieser filmischen Zeitreise, die freilich bewusst auf dramatische Effekte im Stile eines Krimis setzt. Erst kurzfristig werden die Verschwörer erfahren, dass ausgerechnet am Tage der geplanten Flucht zwei neue Kollegen aus Magdeburg mit an Bord sein werden. Die Frage, ob das ein Zufall ist oder die Stasi von ihren Plänen Wind bekommen hat, sorgt für zusätzliche Anspannung und Unruhe unter den Beteiligten.
So bewegend die Geschichte und ihre Protagonisten auch im Abstand von über vier Jahrzehnten noch sind, hinterlässt die Dokumentation am Bildschirm einen eher gemischten Eindruck. Das liegt hier weniger an den Recherchen zum Geschehen und den Zeitzeugen selbst, die beredt Auskunft geben. Trendgemäß hat Inga Wolfram ihre Erinnerungsarbeit mit aufwändigen Spielszenen angereichert, die der Fantasie der Zuschauer auf die Sprünge helfen sollen. Das beschert ein Wiedersehen mit dem Schauspieler Horst Krause, der mit sichtlichem Vergnügen hier den Part des jovialen Kapitäns Scholz übernahm.
Eindeutig zu kurz kommen dabei leider die näheren Lebenszusammenhänge der jungen Wilden und die politischen Umstände knapp ein Jahr nach dem Mauerbau. So werden die politischen und ideologischen Scharmützel auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges nur sehr verhalten konturiert. Diese Defizite können auch Wolframs bemüht-poetischen Texte und bedeutungsvollen Schwenks auf Eisschollen nicht ersetzen. Entstanden ist unterm Strich ein dokumentarisches Dramolett, das einige Wünsche offen lässt. Schade ist das schon deshalb, weil der Stoff und seine Protagonisten mehr hergegeben hätten.

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