Im Alter von 20 Jahren zog die junge Frau Hanna Simon 1962 aus ihrer Heimat Osnabrück nach Berlin, um an der Freien Universität Medizin zu studieren. Hanna war politisch interessiert, ging als Gasthörerin zu Veranstaltungen der Politikwissenschaftler und hörte dem Regierenden Bürgermeister Willy Brandt zu, als er zum 1. Mai an der Berliner Mauer sprach. Auf der anderen Seite konnte Hanna die aufgepflanzten Bajonette der Grenzsoldaten sehen. Ihr Vater war Pfarrer. Er hatte drei Schwestern in der DDR, die er jedes Jahr besuchte. „Seine Kollegen hatten kein leichtes Leben“, sagt Hanna Simon.
Nicht einmal ein Jahr war es her, dass die DDR die Grenzen abgeriegelt hatte. 13. August 1961: Bewaffnete Truppen sicherten den Mauerbau. Mitten in einer Millionenstadt entstand ein kaum überwindbares Sperrwerk, das Straßen und Bahnlinie, sogar einige Häuser durchschnitt. Die Mauer hat Familien getrennt, 50.000 Menschen kamen nicht mehr zur Arbeit, 1000 Studenten nicht mehr zur Uni. Wer die Mauer trotzdem überwinden wollte, muss damit rechnen, erschossen zu werden.
Im Westteil der Stadt bildet sich bereits am 14. August eine erste Studentengruppe, die Kommilitonen aus dem über Nacht abgeriegelten Osten bei der Flucht half. Verfassungsschutz und die westlichen Geheimdienste wussten Bescheid, wurden aber nie über die Details informiert. Der „Spiegel“ schrieb vom „Unternehmen Reisebüro“.
„Zur Gruppe kam ich durch Jan“, berichtet Hanna Simon. Jan und Hanna waren ein Paar. Beide studierten Medizin, beide arbeiteten als Fluchthelfer. Viele Mitglieder des Netzwerks kannten sich nicht mit Namen – aus Sicherheitsgründen. Dass die Staatssicherheit der DDR bei Verhören zuschlug, hatte sich bei den Studenten schnell herumgesprochen. Einer der Anführer war als der „Schwarze“ bekannt, seinen echten Namen Burkhard Veigel kannten nur wenige.
„Hast du dir schon einmal Gedanken über Fluchthilfe gemacht?“, fragte Jan Simon eines Abends seine Freundin. Hanna brachte offenbar die Voraussetzungen für die riskante Aufgabe mit. „Man braucht gute Nerven“, fügte Jan damals hinzu. Hanna sagte Ja. „Getrennte Menschen zusammenzubringen – das war für mich das Motiv“, sagt sie heute.
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AZ