Fluchtversuch 1962 von Klaus Draffehn

Fluchtversuch 1962 von Klaus Draffehn

Beitragvon Interessierter » 15. August 2017, 14:11

Als ihn nach dem Mauerbau zwei Werber der Nationalen Volks­armee an seinem Arbeitsplatz aufsuchten, um ihn „mit Zuckerbrot und Peitsche“ zum „freiwilligen“ Dienst in einem der neu aufgestellten „FDJ-Regimenter“ zu bewegen, lehnte er dies ab. Daraufhin erhielt der sich selbst als „Sturkopf“ bezeichnende Klaus Draffehn noch am selben Tag eine polizeiliche Vorladung ins Rat­haus. Dort wurde er zusammen mit ca. 14 Gleichaltrigen vom frühen Abend bis in die frühen Morgenstunden hinein festgehalten. Einem der Jugendlichen gelang es, sich dieser Nötigung durch einen Sprung aus einem Toilettenfenster zu entziehen. Die an­deren Heranwachsenden wurden verhörartigen Einzelbefragungen unterzogen, bei sie man sie sogar nötigte, in eine starke Lichtquelle zu schauen. Neben dem Kühlungsborner Bürgermeister waren dabei noch andere z.T. uniformierte Staatsdiener zugegen.

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Trotz massiver Erpressungsversuche ließ sich Draffehn in seiner Haltung nicht beirren. Als die Vernehmer schließlich von ihm abließen, legten sie ihm eine vorgefertigte Erklärung zur Unterschrift vor, in der er sich selbst bezichtigten sollte, die „sozialistischen Errungenschaften“ nicht verteidigen zu wollen. Vor den Schriftzug seines Namens setzte er das Kürzel „u.D.“, um kenntlich zu machen, dass er unter Druck gesetzt worden war. Erst gegen 4.30 Uhr konnte er das Rathaus wieder verlassen.

Nach diesem einschneidenden Erlebnis befürchtete der junge Mann negative Kon­sequenzen für sich und sein weiteres Leben. Den Blick häufig in Richtung Ostsee ge­richtet, auf dem er bis zum Mauerbau noch ausgedehnte Bootstouren unternommen hatte, reifte der Plan zur Flucht über das Wasser. Bestärkung erfuhr er dabei durch den aus Dessau stammenden Studenten Hans-Jürgen Dreyer, den er im Sommer 1962 zufällig beim Volleyballspielen am Strand kennen gelernt hatte. Gemeinsam fassten sie den Entschluss, mit dem Paddelboot nach Gedser zu flüchten.

Am späten Abend des 4. September, gegen 22.00 Uhr, brachen die beiden jungen Männer ohne große Vorbereitungen auf. Obwohl ihnen in der Nähe des Kühlungsborner Zeltplatzes mehrere Personen begegneten, denen das mitgeführte Paddelboot durchaus verdächtig erscheinen musste, kam ihnen nicht der Gedanke, umzukehren. Ungehindert am Ufer angelangt, bestiegen sie das Boot und stachen in See.

Auf dem offenen Meer kamen jedoch starke Winde auf, die das kleine Boot vom eingeschlagenen Kurs abtrieben. Als sich an den Händen des Studenten schmerzhafte Blasen zu bilden begannen und schließlich beide Insassen die Kräfte verließen, änderten sie ihren Kurs in Richtung Westen. Da sie eine Verschnaufpause benötigten, entschlossen sie sich, die Insel Poel anzusteuern, um nach kurzem Aufenthalt weiter nach Fehmarn zu paddeln. Gegen 5.00 Uhr landeten sie nahe der Ortschaft Gollwitz, wo ihnen zwei Grenzsoldaten begegneten. Dieses Zusammentreffen blieb jedoch ohne Folgen. Warum die Kontrolleure angesichts der eindeutigen Hinweise die Jugendlichen in Ruhe ließen, erscheint aus heutiger Perspektive unverständlich. Da Klaus Draffehn einen der beiden aus Kühlungsborn kannte, mochte dieser vielleicht keinen Verdacht geschöpft oder gar „zwei Augen zugedrückt“ haben.

Nach diesem nervenaufreibenden Zwischenfall setzten Klaus Draffehn und Hans-Jürgen Dreyer ihre Fahrt fort, obwohl die Winde immer mehr zu einem Sturm anschwollen. Da die raue See das Boot immer wieder zurück warf, war an ein Weiterkommen in westlicher Richtung nicht mehr zu denken. Als die beiden Bootsinsassen gegen 7.15 Uhr auf dem vor Poel liegenden Eiland Langenwerder anlandeten, wurden sie von Grenzern ge­stellt. Man brachte sie zunächst in die Untersuchungshaftanstalt Wismar und von dort aus in die UHA Rostock in der Ulmenstraße.

Anschließend verbrachte Draffehn sechs Wochen in Haft, die er als „hochgradig unangenehm“ beschreibt. Hans-Jürgen Dreyer traf er erst vor dem Kreisgericht in Bad Doberan wieder. Die beiden Angeklagten wurden „wegen Passvergehens“ zu einer Gefängnisstrafe von jeweils sechs Mona­ten verurteilt und zur Verbüßung in die Strafvollzugsanstalt Alt-Strelitz verlegt.

Dort herrschten katastrophale hygienische Zustände. Bis zu acht Mann mussten sich eine Zelle und einen darin stehenden Kübel für die Notdurft teilen. Die beiden „Repu­blikflüchtlinge“ wurden verschiedenen Brigaden eines Gleisbaukommandos zugeteilt. Die Aufgabe der Häftlinge bestand darin, die jeweils viereinhalb Zentner schweren Betonschwellen auf der Bahnstrecke zwischen Rostock und Berlin zu verle­gen. Die schlechten Arbeitsbedingungen auf dem Bau hatten zahlreiche Unfälle zur Folge. Zudem erwies sich der Winter 1963 als extrem hart. Rückblickend sagt Klaus Draffehn: „Hätten wir das gewusst, wären wir zur Fuß nach Dänemark gelau­fen.“ Während er sich dem Regiment des Strafvollzuges unterordnete, verweigerte Hans-Jürgen Dreyer häufig die Arbeit und wurde dafür zur Strafe in den berüchtigten „Tigerkäfig“ gesperrt. „Er war konsequenter als ich“ sagt Draffehn rückblickend.

Nach seiner Freilassung kehrte er mit 165, - Mark ersparten Strafarbeitslohn in seine alte Heimatstadt zurück. Mit seinem Dessauer Freund stand er noch einige Zeit in brieflichen Kontakt. 1964 meldete sich dieser aus West-Berlin und berichtete ihm von seinem erneuten, diesmal geglückten Fluchtversuch über die Mauer.

Auch Klaus Draffehn trug sich noch längere Zeit mit Fluchtgedanken. Mitte der 70er Jahre bewarb er sich erfolglos bei der Fischerei in Sassnitz, um in den Besitz eines Seefahrtsbuches zu gelangen, das ihm seinem Ziel näher gebracht hätte. Da sein Ansinnen erfolglos blieb, gab jedoch auf. In seiner Entscheidung bestärkt wurde er durch die Hilfsbedürftigkeit seiner allein stehenden Mutter.

Klaus Draffehn wurde 1994 rehabilitiert. Er war zunächst weiter als Heizer in seinem alten Betrieb tätig. Nach der Kündigung arbeitete er eine zeitlang in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und auf der Basis von Zeitverträgen, bevor er infolge seiner Invalidisierung vorzeitig aus dem Berufsleben ausschied.

Der vollständige Beitrag hier:
http://ostsee-grenzturm.com/de/zeitzeugenberichte.html

Haben User dieses Forums gleiche oder ähnliche Nötigungsversuche über sich ergehen lassen müssen, um bewaffneten Organen dieser Diktatur beizutreten, bzw. als Erlebnis von Freunden oder Bekannten sich erzählen lassen?
Interessierter
 

Re: Fluchtversuch 1962 von Klaus Draffehn

Beitragvon Hase » 16. August 2017, 09:06

Danke auch für den Link zur ganzen Story. Ich finde man kann sich das wirklich nicht vorstellen, auch wenn man es so gut beschrieben bekommt...
Hase
 


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