Der rätselhafte Tod des Heinz-Uwe M.

Der rätselhafte Tod des Heinz-Uwe M.

Beitragvon pentium » 30. Mai 2021, 19:52

Todesfall an der DDR-Außengrenze: Der rätselhafte Tod des Heinz-Uwe M. aus dem Erzgebirge

Am 21. April 1962 um 15.45 Uhr finden tschechoslowakische Grenzer östlich von Schmilka an der Elbe - tief in einem unzugänglichen Waldgebiet - ein Skelett. Es handelt sich um einen Jugendlichen aus Auerbach. Bis heute beschäftigt der Fall Historiker.
Auerbach.

Bernd Mauersberger erinnert sich gern an seinen großen, sieben Jahre älteren Bruder. "Wir haben unterm Bett gelegen und mit einer Lampe Dinge an die Wand vergrößert. Das war wie ein Projektor", erzählt der heute fast 70-Jährige.

Dann der Herbst 1962. "Ich war elf Jahre, als die Urne kam. Normalerweise passt ja der große Bruder auf den kleinen auf. Normalerweise." Bernd Mauersberger sagt es leise.

Der Politikwissenschaftler Stefan Appelius kennt Bernd Mauersberger gut - ebenso den Fall des toten Bruders. Er forscht für die Freie Universität Berlin - die arbeitet in einem Verbundprojekt mit Hochschulen in Greifswald und Rostock Todesfälle an den DDR-Außengrenzen auf. "Ich suche noch eine wichtige Akte, die uns mehr erzählt", so Appelius.

Doch wer war Heinz-Uwe Mauersberger? Am 28. Oktober 1944 in Auerbach geboren, ging er dort ab 1951 zur Grundschule. Sein Vater Werner arbeitete bei der Wismut. Doch 1955 flüchtete er in die BRD nach Hagen, fand Arbeit als Lkw-Fahrer. Ehefrau Hanni folgte ihm, mit Tochter Sonja, Heinz-Uwe (11) und Bernd (5). Appelius: "Dort ging Heinz-Uwe zur Volksschule, lernte danach Kfz-Elektriker." Doch der Jugendliche fiel auf - nahm etwa unerlaubt ein Moped aus der Werkstatt mit. Das Amtsgericht Hagen ordnet am 28. Juni 1961 eine vorläufige Heimerziehung an. Appelius: "Das wollte der Vater vermeiden, brachte den Sohn zum Grenzübergang Wartha-Herleshausen. Per Schriftstück erlaubte er Heinz-Uwe die Reise zu Oma und Opa nach Auerbach."



In Stollberg erhielt der Jugendliche am 14. Juli 1961 einen PM 12, einen vorläufigen Personalausweis. Er durfte Auerbach über einen festgelegten Radius hinaus nicht verlassen, musste sich zudem regelmäßig bei der Volkspolizei melden. Fakt ist: Auch in Auerbach fiel Heinz-Uwe immer mal wieder auf. So ist belegt, dass er mit einem grünen Motorrad (Typ MZ ES 250) unterwegs war, am 15. Juni 1961 nahe Thum einen leichten Unfall baute. Belegt ist aber auch: Das Motorrad gehörte gar nicht ihm.

Auf diesem hat er am Morgen des 16. Oktober 1961 Auerbach verlassen - angeblich, um in Thalheim zu arbeiten. Seine rechteckige Aluminiumbrotbüchse nahm er mit. Er wurde nie wieder gesehen.

Erst sechs Monate später fanden tschechoslowakische Grenzsoldaten - am 21. April 1962 um 15.45 Uhr - ein von Tieren abgefressenes Skelett. Mitten in einem undurchdringlichen Waldgebiet, acht Kilometer östlich von Schmilka an der Elbe, in einem sumpfigen Tal 200 Meter südlich des Grenzsteins Nummer 10. Die Brotbüchse lag dort. Das Motorrad fanden DDR-Ermittler zurückgelassen in Dresden.

Bis heute ist unklar: Was wollte Heinz-Uwe in dem riesigen dunklen Waldgebiet? War es Republikflucht? Mord? Suizid? Die damaligen Ermittler legten den Fall irgendwann zu den Akten, die sterblichen Überreste von Heinz-Uwe wurden verbrannt, die Urne zur Familie nach Hagen geschickt. Nach der Wende recherchierte die Zerv (Zentrale Ermittlungsstelle Regierungs- und Vereinigungskriminalität) in Berlin, die zwischen 1991 und 2000 strafrechtlich relevante Kriminalfälle der SED- und DDR-Vergangenheit aufarbeitete.

"Aber auch die stellten die Ermittlungen ein", so Appelius, der innerhalb des FU-Projektes weiter recherchiert. "Die Zerv hat womöglich unvollständige Unterlagen aus Dresden zugeschickt bekommen. Gegenwärtig wird nach der Originalakte, die in den 1990er-Jahren noch existierte, in der Polizeidirektion Dresden gesucht. Diese könnte, sofern nicht kassiert, neue Fakten bringen", hofft Appelius.

Der Experte glaubt aber nicht, dass Heinz-Uwe damals über die Tschechoslowakei in den Westen flüchten wollte. So seien am Fundort beim Skelett auch drei leere Weinflaschen gefunden worden, auch der PM 12, der DDR-Versichertenausweis, sein Arbeitsbuch und seine westdeutsche Lohnsteuerkarte. "Er war wohl ein typisch jugendlicher Ausreißer: Nur fort, aber ohne Plan und Ziel." Zudem, so Appelius: Eine tschechoslowakische Mordkommission konnte zwar Tierfraß feststellen, jedoch keine Zeichen äußerer Gewalteinwirkung an den Knochen. "Man vermutete, er habe sich erschöpft niedergelegt und sei erfroren. Zwischen dem 16. und 26. Oktober 1961 herrschten am Fundort der Leiche in Bodenhöhe Temperaturen von minus 3,1 bis plus 6,5 Grad Celsius."

Und Bernd Mauersberger? Er ist froh, dass Heinz-Uwe offenkundig nicht von Grenzern erschossen worden ist. Jegliche andere Mordtheorie sei zudem unlogisch. "Wer schleppt denn jemanden so tief in den Wald?"

Sonderbar aber bleibt: Heinz-Uwe hatte an jenem 16. Oktober 1961 bei seinem Verschwinden seine Geldbörse und seine Uhr dabei. Beim Skelett selbst aber war nichts dergleichen zu finden, so die Akten.

Quelle: Freie Presse allerdings hinter der Apo Schranke deshalb der lange Text
https://www.freiepresse.de/erzgebirge/s ... el11518441
*Dos Rauschen in Wald hot mir'sch ageta, deß ich mei Haamit net loßen ka!* *Zieht aah dorch onnern Arzgebirg der Grenzgrobn wie ene Kett, der Grenzgrobn taalt de Länder ei, ober onnere Herzen net!* *Waar sei Volk verläßt, daar is net wert, deß'r rümlaaft of daaner Erd!*
Anton Günther

Freundeskreis Schloss Hubertusburg e. V.
http://www.freundeskreis-hubertusburg.de
Benutzeravatar
pentium
 
Beiträge: 45569
Bilder: 133
Registriert: 9. Juli 2012, 16:12
Wohnort: Sachsen/Erzgebirge

Zurück zu Andere Grenzen

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 3 Gäste