Aus Märtyrern werden Täter

Aus Märtyrern werden Täter

Beitragvon karl143 » 17. Januar 2011, 15:24

Bei vielen Todesfällen von GT-Angehörigen wurde dem DDR Volk eine falsche Geschichte präsentiert. In vielen Fällen wurde nach der Wende durch Archive der wirkliche Ablauf bekannt.

Im Jahr 1991 veröffentlicht der Spiegel folgenden Bericht:

Die Märtyrersaga wird nun, durch die Dokumente aus den Militärarchiven, Stück für Stück entzaubert. Gerade die Berichte über den Tod des blutjungen Gefreiten Peter Göring, Gußputzer von Beruf und Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ), zeigen einen überzeugten Täter, aus dem unversehens ein Opfer wurde.

Göring beteiligte sich am 23. Mai 1962 an einer regelrechten Jagd auf den Erfurter Oberschüler Wilfried Thews, 14, der in der Nähe des Invalidenfriedhofs die Mauer überwunden hatte und durch den Spandauer Schiffahrtskanal nach West-Berlin fliehen wollte. Insgesamt zehn DDR-Grenzer, neben Göring die Soldaten Hammel, Lindemann und Erdmann, die Gefreiten Krautmann, Biedermann und Liebner, der Unteroffizier Laumer und die Oberfeldwebel Görlich und Ender, schossen auf den unbewaffneten Jugendlichen - Göring drängte sich förmlich danach. Das Protokoll der 1. Grenzbrigade der Bereitschaftspolizei ("Vertrauliche Verschlußsache VS-Tgb-Nr.: 3556/63"):
" Der Gefr. Göring verließ selbständig seinen Posten "
" mit der Absicht, die Verhinderung des Grenzdurchbruchs "
" von einem günstigeren Standpunkt aus aufzunehmen. Genosse "
" Göring rief dem Postenführer zu, daß dieser beim Vorgehen "
" nicht schießen soll. Den Befehl des Postenführers: "
" "Bleiben Sie hier!" befolgte er nicht. "

Gnadenlos wurde der Schüler, nachdem er zwei Drittel des Kanals durchschwommen hatte, von Oberfeldwebel Görlich unter Feuer genommen. Als der Flüchtling, bereits schwer verletzt, am westlichen Ufer in einer Mauernische Deckung gefunden hatte, stellte Görlich das Feuer ein. Nicht so der Gefreite Göring, der laut Protokoll auf den wehrlosen Jugendlichen noch einmal "einen Feuerstoß" abgab. Auch Oberfeldwebel Ender feuerte immer weiter auf den Flüchtling, der, wie eine spätere Untersuchung ergab, einen Wirbel- und einen Schulterdurchschuß sowie je zwei Ober- und Unterschenkeldurchschüsse erlitt. Er ballerte auch, was Ost-Berlin stets bestritten hat, auf West-Berliner Bereitschaftspolizisten, die den leblosen Jugendlichen bergen wollten: Sie mußten sich, so der Bericht, "auf Grund mehrerer Schüsse des Genossen Ender" zurückziehen. Daraufhin schossen die West-Berliner Polizisten zurück, um den blutenden Thews unter Feuerschutz aus dem Kugelhagel zu holen. Sie beriefen sich später auf ein Notwehrrecht gegenüber schießenden Grenzwächtern, das durchaus umstritten war: Es barg die Gefahr einer heißen Eskalation des Kalten Krieges. Bei dem Scharmützel wurde DDR-Grenzer Laumer in den Oberschenkel getroffen, Göring erlitt "einen Streifschuß am Zeigefinger der rechten Hand, einen Durchschuß an der linken Schulter und einen Querschläger in der linken Nierengegend". Nüchterne Gefechtsbilanz im Bericht der Grenzbrigade: "Die Handlungen der in diesem Abschnitt eingesetzten Genossen sind als gut zu bezeichnen, initiativreich und entschlußfreudig."

Insgesamt hatten die West-Berliner Beamten 28, die DDR-Grenzer mehrere hundert Schuß abgegeben. Die DDR-Presse, die kein Wort über das Schicksal des Schülers Thews verlor, berichtete von einer "inszenierten Grenzprovokation" und meldete: "Westberliner Bürgerkriegstruppen führten mit amerikanischen Waffen einen Feuerüberfall gegen Grenzsicherungskräfte der Deutschen Volkspolizei." Ost-Berlins Posten, ließ Staatschef Walter Ulbricht entgegen den Berichten seiner eigenen Grenzer verbreiten, hätten sich, "die Augen feucht vor Wut", an das Verbot gehalten, West-Berliner Gebiet zu beschießen. Der damalige DDR-Generalstaatsanwalt Josef Streit setzte auf die Ergreifung von Görings "Mördern" eine Belohnung aus: 10 000 Mark - West.

Noch mehr Beispiele, wie Geschichte verdreht wurde hier: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13488216.html
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karl143
 

Re: Aus Märtyrern werden Täter

Beitragvon S51 » 17. Januar 2011, 18:32

Wobei aber auch wieder umgekehrt eben dieser Spiegel-Artikel ein Beispiel dafür ist, wie nun Geschichte eben von Westseite verdreht wird.
- "Scharmützel" mit Fluchthelfern - Ah ja. Also entweder es handelte sich um rechtlich einwandfreie Taten (Notwehr zum Beispiel) oder eben deswegen nicht, weil es sich so oder so um Widerstandshandlungen gegen staatliche Einheiten in Durchsetzung des geltenden Rechts handelte. Dann aber gibt es kein Notwehrrecht und es waren rechtswidrige Handlungen der Fluchthelfer. Man kann sich streiten, ob Totschlag oder Mord aber mehr nicht. Scharmützel gibt es bei kriegerischen Handlungen zwischen feindlichen Truppen unter den Bedingungen des Kriegsrechts.
- Es gab eben kein Notwehrrecht für die Berliner (West) Polizisten, dass ihnen unter diesen Umständen ein Recht gegeben hätte, über die Grenze zu feuern. Umgekehrt für den Hr. Göring und seine Leute natürlich auch nicht.
- Die Sache Lutz Meier läßt nach wie vor Fragen in alle Richtungen offen.
Etwa: Wenn jemandem die Waffe aus der Hand geschossen wurde (wie der Täter angab), wie werden dann wohl Hand und Arm ausgesehen haben? Wie wahrscheinlich ist es, dass jemand mit einem zerschossenen Arm noch auf sich selber schießen kann? Er müßte dann ja zu einer entfernten Waffe, diese feuerbereit machen (zum Durchladen braucht es bei der Kalaschnikow beide Hände), auf sich richten und abdrücken?
Wenn der Täter den Hr. Meier nur kampfunfähig geschossen haben will, wie wahrscheinlich ist es dann, dass er eine feuerbereite Waffe in dessen Reichweite gelassen hat, mit der der Angeschossene noch auf ihn hätte feuern können?
Es wurden zwei bis drei Feuerstöße gehört. Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Verletzter in der Lage ist, trotz zerschossenen Gliedmaßen zweimal (denn der erste Feuerstoß kam ja unstrittig vom Täter) gezielt auf sich zu feuern?
Warum ist es nicht möglich, an das Verletzungsbild des Lutz Meier heranzukommen?
Der Täter wurde nach der Wende noch mal vernommen. Dabei hat er die Aussage verweigert. Das ist sein gutes Recht aber halt nur dann, wenn er "sich mit einer Aussage sonst selbst belasten würde..." Nachtigall, die trapst hier nicht einfach bloß...
Wenn aber nicht Lutz Meier sondern der Fahnenflüchtige die anderen zwei Feuerstöße auch abgegeben hat, dann bedeutet dies, dass er zu dem Verletzten zurückgegangen ist und ihn gezielt erschossen hat, um seine weitere Flucht zu decken. Und das erfüllt alle Mordmerkmale recht eindeutig. Aber ich bin von der Tatortarbeit unserer Leute auch nicht begeistert.
- Die Sache Egon Schultz hat für mich immer noch das Gschmeckerl, dass Hr. Prokop in seinem Autopsiebericht ausdrücklich das Geschoß mit dem Kaliber 7,65 mm als primär tödlich bezeichnet. Das aber kam aus der Waffe des Fluchthelfers. Und ich halte auf Hr. Prokop immer noch mehr als auf alle Politschreiber dieser und vergangener Welten.
S51
 

Re: Aus Märtyrern werden Täter

Beitragvon karl143 » 18. Januar 2011, 07:12

Moin Detlef,
wieso sollte es das Notwehrrecht nicht geben ? Wenn die Westberliner Polizisten vom Osten aus beschossen wurden, wie sollen sie sich bitte verhalten. Zuschauen, hinwerfen und abwarten ? Natürlich ist es in diesem Fall vollkommen normal das sie zurückschießen, um Gefahr für das eigene Leben abzuwenden. Und das ist auch zulässig. Zuerst schlugen die Geschosse von Ost in West ein. Und die Menschen wurden zu Märtyrern in der DDR hochstilisiert. Sogar wenn GT Angehörige von eigenen Leuten erschossen wurden, dann wurde dies anders verkauft.
karl143
 

Re: Aus Märtyrern werden Täter

Beitragvon CaptnDelta » 18. Januar 2011, 07:53

S51 hat geschrieben:...
- Es gab eben kein Notwehrrecht für die Berliner (West) Polizisten, dass ihnen unter diesen Umständen ein Recht gegeben hätte, über die Grenze zu feuern.

Soweit mir bekannt ist diese Behauptung falsch.

-Th
..Totalitarianism does not mean that such regimes in fact exercise total control over their people, it means rather that such control is in their aspiration.
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Re: Aus Märtyrern werden Täter

Beitragvon CaptnDelta » 18. Januar 2011, 08:12

S51 hat geschrieben:..
Der Täter wurde nach der Wende noch mal vernommen. Dabei hat er die Aussage verweigert. Das ist sein gutes Recht aber halt nur dann, wenn er "sich mit einer Aussage sonst selbst belasten würde..." Nachtigall, die trapst hier nicht einfach bloß...

Ouch, das tut schon fast weh. Kann's sein, das du da je nachdem wie's besser passt, Aussageverweigerung mit Auskunftsverweigerung durcheinanderwuerfelst?

-Th
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Re: Aus Märtyrern werden Täter

Beitragvon augenzeuge » 18. Januar 2011, 08:19

CaptnDelta hat geschrieben:
S51 hat geschrieben:...
- Es gab eben kein Notwehrrecht für die Berliner (West) Polizisten, dass ihnen unter diesen Umständen ein Recht gegeben hätte, über die Grenze zu feuern.

Soweit mir bekannt ist diese Behauptung falsch.

-Th


Ein Notwehrrecht in diesem Fall wurde juristisch sowohl vor als auch nach der Wende bestätigt. Aufgrund des Kugeleinschlags auf Westberliner Seite war eine lebensbedrohliche Lage der Polizisten entstanden. Dies rechtfertigte die Verteidigung.

Beispiel aus Chronik der Mauer: So belegen zu DDR-Zeiten unter Verschluss gehaltene Militär- und Justizakten eindeutig, dass Peter Göring aktiv an dem Schusswechsel beteiligt war und tödlich getroffen wurde, als er selbst gezielt auf den flüchtenden Wilfried Tews schoss. Damit verstieß Göring nicht nur gegen die Schusswaffengebrauchsbestimmungen, die es verboten, die Waffe gegen Kinder einzusetzen und in westliche Richtung zu zielen.
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Re: Aus Märtyrern werden Täter

Beitragvon karl143 » 18. Januar 2011, 08:43

Den getöteten Grenzsoldaten muß man sich nach den Protokollen der DDR als wahren Fanatiker vorstellen:

Insgesamt zehn DDR-Grenzer, neben Göring die Soldaten Hammel, Lindemann und Erdmann, die Gefreiten Krautmann, Biedermann und Liebner, der Unteroffizier Laumer und die Oberfeldwebel Görlich und Ender, schossen auf den unbewaffneten Jugendlichen - Göring drängte sich förmlich danach.

Und direkt aus dem Protokoll:

Das Protokoll der 1. Grenzbrigade der Bereitschaftspolizei ("Vertrauliche Verschlußsache VS-Tgb-Nr.: 3556/63"):
" Der Gefr. Göring verließ selbständig seinen Posten "
" mit der Absicht, die Verhinderung des Grenzdurchbruchs "
" von einem günstigeren Standpunkt aus aufzunehmen
. Genosse "
" Göring rief dem Postenführer zu, daß dieser beim Vorgehen "
" nicht schießen soll. Den Befehl des Postenführers: "
" "Bleiben Sie hier!" befolgte er nicht. "


Wie ich schon schrieb - das Notwehrrecht ist in diesem Fall gegeben. Und auf diesen Menschen ist meine Überschrift gemünzt. In der DDR wurde dann ein Kult für einen Menschen regelrecht aufgebaut. Das Protokoll wurde selbstverständlich zur vertraulichen Verschußsache gemacht.

Vielleicht bezog sich Lothar Löwe auf Vorfälle wie diesen, wenn er in seinem bekannten Kommentar sagte: „Hier in der DDR weiß jedes Kind, dass die Grenztruppen den strikten Befehl haben, auf Menschen wie auf Hasen zu schießen.

Ob Befehl oder nicht, aber wie hier bei diesem Fluchtversuch verfahren wurde, kann man zu Recht von diesem Vergleich mit den Hasen sprechen.
karl143
 

Re: Aus Märtyrern werden Täter

Beitragvon manudave » 18. Januar 2011, 09:26

S 51 - ...manchmal lohnt die Verteidigung nicht, außer man wird dafür bezahlt... [hallo]
Wer für alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein!
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Re: Aus Märtyrern werden Täter

Beitragvon S51 » 18. Januar 2011, 16:04

manudave hat geschrieben:S 51 - ...manchmal lohnt die Verteidigung nicht, außer man wird dafür bezahlt... [hallo]


In dieses Berufsfeld gehöre ich nicht, entfällt damit.
S51
 

Re: Aus Märtyrern werden Täter

Beitragvon S51 » 18. Januar 2011, 16:18

karl143 hat geschrieben:...Ob Befehl oder nicht, aber wie hier bei diesem Fluchtversuch verfahren wurde, kann man zu Recht von diesem Vergleich mit den Hasen sprechen.


Man könnte aber auch sagen, nur weil die hier sich total daneben benommen haben, wird hier wieder mal unzulässig verallgemeinert...
Ist ja schon gut, duck und wech...
S51
 

Re: Aus Märtyrern werden Täter

Beitragvon karl143 » 18. Januar 2011, 16:47

@ s51,
und auch unter diesem Bezug habe ich den Kommentar von Lothar Löwe erwähnt. Du mußt dir den Schuh nicht anziehen, ich habe dich auch nicht angesprochen.
Doch der Vorfall ist so abgelaufen. Da muß man sich nicht "wegducken". [hallo]
karl143
 

Re: Aus Märtyrern werden Täter

Beitragvon Interessierter » 23. Januar 2013, 13:49

Hierzu auch dieser Videoclip mit der Aussage von Wilfried Tews:

http://www.chronik-der-mauer.de/index.p ... m/4/page/0
Interessierter
 

Re: Aus Märtyrern werden Täter

Beitragvon Ari@D187 » 10. Januar 2016, 10:46

S51 hat geschrieben:[...]
- Die Sache Egon Schultz hat für mich immer noch das Gschmeckerl, dass Hr. Prokop in seinem Autopsiebericht ausdrücklich das Geschoß mit dem Kaliber 7,65 mm als primär tödlich bezeichnet. Das aber kam aus der Waffe des Fluchthelfers. Und ich halte auf Hr. Prokop immer noch mehr als auf alle Politschreiber dieser und vergangener Welten.

Die Ausschnitte aus Dr. Prokops Bericht, welche mir bekannt sind, sagen das nicht aus.
Er wurde auch dazu aufgefordert, genau die Frage zu beantworten, inwiefern die
Verletzung durch das Projektil 7,65 mm alleine als tödlich anzusehen ist:

Laut Prokop führte die Verwundung zu einer geringen Blutung und ist als
gefährliche Körperverletzung anzusehen.

Gruß
Ari
Alles wird gut!
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