Versehentlicher Grenzübertritt nach Hessen

Versehentlicher Grenzübertritt nach Hessen

Beitragvon Walter77 » 5. Februar 2021, 11:27

Versehentlicher Grenzübertritt nach Hessen

Diese meine eigene wahre Grenzgeschichte habe ich vor längerer Zeit bereits im "Forum DDR Grenze" veröffentlicht. Dort wurde sie sehr viel geklickt, kommentiert und von mir auch nochmal erläutert.
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen.

Ich habe von 04/1976 bis 04/1977 in der 10. GK Frankenheim/Rhön im Grenzregiment 3 Dermbach meinen Grundwehrdienst geleistet.
Vielleicht kennen ein paar von euch die höchstgelegene Grenzkompanie der DDR in Frankenheim, mit ihren zum Teil extremen Witterungsverhältnissen und dem schwierigen geografischen Grenzverlauf in der Hohen Rhön auf ca. 800 m über NN ? (siehe auch mein Profil)

Es war glaube ich noch zu Wissen, Anfang September 1976. Zu dieser Zeit war ich noch Posten in Frankenheim. Unsere linke Nachbarkompanie die 9.GK in Kaltenwestheim war zum Schießen der Kompanie befohlen am anderen Tag und unser Zug musste deren Nachtschicht im Abschnitte von KWH übernehmen.
1976 haben wir noch bis ca. August fast auschließlich die Kompaniesicherung gehabt und sind dann wohl schrittweise zur Bataillionssicherung von Kaltenwestheim bis nach Stedtlingen zur 12 GK übergegangen, was für uns nicht einfach war.
In der besagten Nachtschicht wurden wir auf dem LO über unsere " Alte Rechte" und " Haarnadelkurve" erstmals zum Abschnitt der 9.KG gefahren.
Wir stiegen irgendwo im Wald wahrscheinlich noch im Bereich der TL der beiden Kompanien bei der "Alten Rechten " vom LO.
Unser Zugführer damals Ofw. A. kannte den Abschnitt der 9. GK auch nur sehr rudimentär und sagte uns zur Einweisung in den Abschnitt nur " Männer hier irgendwo im Wald Richtung Unterweid muss die Staatsgrenze sein, dort findet ihr auch die Grenzmeldenetzmasten. Ich wünsche euch viel Erfolg im Abschnitt".
Das war alles an konkreter Einweisung in den uns unbekannten neuen Abschnitt.
Nicht weit entfernt etwa ca.1 km, befand sich mitten im Wald der 10. GK, dass für uns als Grenzer verbotene Objekt "Rhönhaus" des MfS, dem wir und niemals nähern durften ( damals ein aktives Schleusungsobejekt der Stasi ) in dem Agenten für ihre Schleusung in die BRD kurz geparkt und eingewiesen wurden.
Da standen wir nun bei einbrechender Dunkelheit in einen Abschnitt der 9.GK den wir nicht kannten.
Einige Grenzer die den Abschnitt aus Frankenheim und Kaltenwestheim kennen, werden sicher bestätigen, in welchen Zustand die Grenze sich 1976 in Frankenheim bzw. Kaltenwestheim an der Trennungslinie zu Frankenheim befand.
Dicht bewaldet, die Grenze bestand aus einem ca. 2,00 m hohen oft defekten alten Stacheldrahtzaun, von einer Minensperre (Holzkastenminen aus den 50 iger Jahren ?) war so gut wie nichts zu sehen, eine Mine ist in Frankenheim während meiner Dienstzeit nie explodiert, es sein denn der BGS hat mit uns wieder mal "Alarmgruppe gespielt, fast kein 6 m Kontrollstreifen in manchen Bereichen der Kompanie (Dreiländereck, Birx Dungberg ,Birx Köpfchen oder Birx Bildstein) aufgrund der geologischen Verhältnisse (extrem hartes Basaltgestein in der Hohen Rhön) und dichter Wald bis fast an den Grenzzaun.
Also standen wir ahnungs-und orientierungslos bei fast vollständiger Dunkelheit im Wald zur Nachtschicht im fremden Abschnitt der 9.GK.
Befehlsgemäß versuchten wir uns nun im Dunkeln irgendwie uns zu orientieren und den nächsten Grenzmeldenetzmasten zu finden, um uns ordnungsgemäß im Abschnitt bei der Führungsstelle zu melden.
Nach dem wir eine Weile uns durch Wald und Gestrüpp geschlagen hatten, vom Grenzzaun war bei fast vollständiger Dunkelheit nichts zu sehen und auch nicht zu spüren an den Beinen (z.B. Hängenbleiben im Stacheldrahtzaun).
Plötzlich tippt mir mein Postenführer auf die Schulter und sagt zu mir, dreh dich mal um. Ich drehe mich um und sehe hinter uns im Rücken in etwa 10 Entfernung die schemenhafte Grenzsäule der DDR.
Wir waren versehentlich nach Hessen rüber gelaufen !

Wir haben uns sehr dumm und verdattert angeschaut und geguckt ob BGS oder Zoll etwa schon auf uns wartet, um uns ein zusammeln !
Glücklicherweise war nichts von den Kameraden auf der anderen Seite der Grenze in der Wildnis im Wald zu sehen.
Wir sind dann schleunigst auf das Territorium DDR zurückgegangen.
Haben nach einer gewissen Zeit der Suche auch den GMN Masten gefunden uns dort angemeldet und die ganze Nacht bis zur Ablösung durch durch einen Zug der 9.GK Inder Nähe des GMN Masten verbracht, um nicht Gefahr zu laufen wieder nach Hessen rüber zu stolpern.
Wir (das Postenpaar) haben vereinbart, über den Vorfall mit niemanden zu sprechen, da wir eine eventuelle Bestrafung nicht ausschließen konnten.

Ihr werdet wahrscheinlich mir diese Geschichte nicht glauben, aber sie ist wirklich passiert.

Ehemalige Kameraden die vor mir oder nach mir, in den Abschnitten von KWH und Frankenheim bis nach Stedtlingen gedient haben, können euch den abschnittsweise sehr ursprünglichen Zustand der Grenze in der 10. GK in Frankenheim 1976 bestätigen.
Wie ich später von einem ehemaligen Unteroffizier erfuhr, ist wohl 1975 das Gleiche wie uns einem Postenpaar der 10 GK Frankenheim im Abschnitt am Rhönkopf in Richtung „Heimatblick“ passiert. Dort existierte zu der Zeit wohl nicht mal eine alte Stacheldrahtsperre sondern nur große Brocken von den Bauern gesammelter Basaltgesteins. Sie sind bei dichtem Nebel die Sicht betrug keine 20 m dort Versehentlich nach Bayern hineingelaufen und haben dies erst bemerkt, als sie in ihrem Rücken einen blau-weißen bayrischen Grenzpfahl bemerkt haben.
Ob sie diesen versehentlichen Grenzübertritt nach Bayern in der Kompanie gemeldet haben ist mir nicht bekannt.

Bin gespannt auf eure Reaktion auf meinen Grenzerlebnis aus der Hohen Rhön.
Walter77
 
Beiträge: 93
Registriert: 2. Februar 2021, 17:22

Re: Versehentlicher Grenzübertritt nach Hessen

Beitragvon Volker Zottmann » 5. Februar 2021, 11:50

Schade eigentlich, Dieter, dass Fluchtwillige von Eurem Grenzabschnitt nichts wussten.
Im Harz hatte Flüchtlinge zu der Zeit schon alle Mühe und brauchten Glück, wenn eine Flucht gelingen sollte. Meist ging es leider tragisch aus.
Ich kann mir die Genze dort in der Rhön aber lebhaft vorstellen. Etwa so, wie zu meiner Kindheit bei Tanne im Harz. Nur ein paar alte Holzpfähle und gekreutztes Stacheldraht.

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: Versehentlicher Grenzübertritt nach Hessen

Beitragvon Walter77 » 5. Februar 2021, 11:59

Volker,

den Wurmvorsatz von DDR in der hohen Rhön kannte ausser den Grenzgebietsbewohner kaum jemand und den schlechten Zustand der Grenze kannten dort nur die Einheimischen und sonst niemand.
Unser ehemaliger KC von Frankenheim Major J. sagte einmal flappsig, bei uns könnte in der Nacht in manchen Abschnitt eine Kindergartengruppe singend nach Bayern oder Hessen rüber laufen und wir (die GK) würden es erst bemerken, wenn der BGS oder die Polizei aus Bayern oder Hessen bei uns in der Kompanie anruft, um uns den erfolgreichen Grenzdurchbruch zu melden.
Walter77
 
Beiträge: 93
Registriert: 2. Februar 2021, 17:22

Re: Versehentlicher Grenzübertritt nach Hessen

Beitragvon Kumpel » 5. Februar 2021, 12:37

Eine ähnliche Geschichte habe ich vor Jahren im anderen Forum gelesen.
Der User Rainman schrieb , dass er versehentlich wohl einige Meter auf Westgebiet lief und der ihn begleitende Gakl zu ihm rief , komm mal wieder rüber. [flash]
Kumpel
 

Re: Versehentlicher Grenzübertritt nach Hessen

Beitragvon Ari@D187 » 5. Februar 2021, 12:58

Walter77 hat geschrieben:[...]
Wir stiegen irgendwo im Wald wahrscheinlich noch im Bereich der TL der beiden Kompanien bei der "Alten Rechten " vom LO.
Unser Zugführer damals Ofw. A. kannte den Abschnitt der 9. GK auch nur sehr rudimentär und sagte uns zur Einweisung in den Abschnitt nur " Männer hier irgendwo im Wald Richtung Unterweid muss die Staatsgrenze sein, dort findet ihr auch die Grenzmeldenetzmasten. Ich wünsche euch viel Erfolg im Abschnitt".[...]

Wurdet ihr da auf dem Kolonnenweg herausgelassen? Der sollte doch gut erkennbar gewesen sein und ihr hättet gemerkt, wenn ihr diesen verlasst.


Walter77 hat geschrieben:[...]Also standen wir ahnungs-und orientierungslos bei fast vollständiger Dunkelheit im Wald zur Nachtschicht im fremden Abschnitt der 9.GK.
[...]

Haben die dann einen Suchtrupp losgeschickt zur Abholung oder wie habt ihr die Stelle mitten im Wald wiedergefunden, an welcher ihr zuvor abgesetzt wurdet?

Ari
Alles wird gut!
Benutzeravatar
Ari@D187
Deutsche Marine
Deutsche Marine
 
Beiträge: 11334
Registriert: 26. April 2010, 19:58

Re: Versehentlicher Grenzübertritt nach Hessen

Beitragvon Walter77 » 5. Februar 2021, 13:05

Nein, es wurde keine Suchaktion z. B. Alarmgruppe ausgelöst, weil wir von dem Vorfall keinerlei Meldung gemacht hatten. Wir waren im Wald schon ein paar hundert Meter gelaufen und hatten dann einen GMN Masten gefunden, wo wir uns befehlsentsprechend im Postengebiet angemeldet haben. Zur Ablösung haben wir den Sammelpunkt wo der LO uns aufnimmt wieder gefunden.
Walter77
 
Beiträge: 93
Registriert: 2. Februar 2021, 17:22

Re: Versehentlicher Grenzübertritt nach Hessen

Beitragvon Walter77 » 5. Februar 2021, 13:12

Ari,
an der Stelle am Kanten im Urwald wo wir versehentlich nach Hessen rüber gelaufen sind, war der Kolonnenweg nicht unmittelbar an der Grenze. Dort ist es zum Teil sehr hängig im Wald, so das an manchen Abschnitten der Kolonnenweg etwas weiter entfernt von der eigentlichen Grenze verlief.
Heute ist der Kolonnenweg so zugewachsen, dass du ihn unter deinen Füßen kaum mehr findest. So ist es mir mit meiner Frau im Sommer 2020 ergangen, als ich ihr die ungefähre Stelle des Übertritts zeigen wollte. Ich habe die Stelle im Rhönurwald ( zum Teil Naturschutzgebiet) nicht gefunden. Ich konnte ihr nur zeigen, wo es ungefähr war im Wald plus /minus 100 m cirka.
Walter77
 
Beiträge: 93
Registriert: 2. Februar 2021, 17:22

Re: Versehentlicher Grenzübertritt nach Hessen

Beitragvon steffen52 » 5. Februar 2021, 13:32

Walter77 hat geschrieben:Ari,
an der Stelle am Kanten im Urwald wo wir versehentlich nach Hessen rüber gelaufen sind, war der Kolonnenweg nicht unmittelbar an der Grenze. Dort ist es zum Teil sehr hängig im Wald, so das an manchen Abschnitten der Kolonnenweg etwas weiter entfernt von der eigentlichen Grenze verlief.
Heute ist der Kolonnenweg so zugewachsen, dass du ihn unter deinen Füßen kaum mehr findest. So ist es mir mit meiner Frau im Sommer 2020 ergangen, als ich ihr die ungefähre Stelle des Übertritts zeigen wollte. Ich habe die Stelle im Rhönurwald ( zum Teil Naturschutzgebiet) nicht gefunden. Ich konnte ihr nur zeigen, wo es ungefähr war im Wald plus /minus 100 m cirka.

In Birx waren die Kolonnenwege noch gut erhalten, sind sie ja mit Sven alle abgefahren bei unseren letzten Treffen. Sie werden ja heute noch vom Forst benutzt! [hallo]
Gruß steffen52
"Die Großen hören auf zu herrschen, wenn die Kleinen aufhören zu kriechen!"
Friedrich Schiller
Benutzeravatar
steffen52
 
Beiträge: 14403
Bilder: 0
Registriert: 19. Februar 2015, 21:03

Re: Versehentlicher Grenzübertritt nach Hessen

Beitragvon Walter77 » 5. Februar 2021, 15:53

Steffen 52,

Bei Birx weitestgehend sind die Kolonnenwege noch erhalten und erkennbar. Im Abschnitt an der Trennungslinie zwischen der 10. GK und der 9.GK im Wald kaum mehr (fast zugewachsen).
Walter77
 
Beiträge: 93
Registriert: 2. Februar 2021, 17:22


Zurück zu Grenztruppen der DDR

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 2 Gäste