Grenzvorkommnisse der 50iger und 60iger Jahre bei Birx

Grenzvorkommnisse der 50iger und 60iger Jahre bei Birx

Beitragvon Walter77 » 4. Februar 2021, 10:55

Grenzvorkommnisse der 50 iger und 60 iger Jahre bei Birx auf der Thüringer Seite der Hohen Rhön

Das kleine Dorf Birx im letzten südwestlichsten Zipfel der DDR gelegen, weist einige geografische, topografische und geologische Besonderheiten auf. Es ist das südwestlichste Dorf der DDR. Seine besondere Lage im Schutzstreifen in unmittelbarer Nähe zur bayrischen Grenze am „Dreiländereck“ (Entfernung ca. 1,50 km) und etwa vom Ortsrand ca. 500 m entfernt zur hessischen Grenze machten eine Grenzsicherung für die Grenztruppen der DDR nicht einfach. Erschwerend neben der unmittelbaren Nähe zu Bayern und Hessen, machte sich auch die Topografie (Höhenlage), die zu überwindenden Höhendifferenzen und die geologische Bodenbeschaffenheit (hartes Basaltgestein) dort bemerkbar.
Das Dorf Birx liegt ungefähr auf 750 m über NN und hatte damals ca. 150 bis 160 Einwohner.
Aufgrund dessen und der damit verbundenen exorbitanten Kosten für den Ausbau der Grenzanlagen, erfolgte bis fast zum Ende der 70 iger Jahre der Ausbau der Grenzsicherungsanlagen bei Birx und auch bei Frankenheim vergleichsweise mit anderen Grenzabschnitten der DDR eher sehr mangelhaft.
Die vorrangige Grenzsicherung erfolgte durch Stacheldrahtzäune, teilweise Holzkastenminen der 50 iger Jahre und Spanische Reiter und durch die Grenzposten (Postenpaare) vor Ort. Ein 6m Kontrollstreifen war aufgrund der Bodenbeschaffenheit nicht durchgängig angelegt und kaum ablesbar für Kontrollstreifen der Grenztruppen.
Die Tatsache all dieser Besonderheiten von Birx ermöglichte in den 50 iger und 60 iger Jahren einigen Einwohnern von Birx und auch von Frankenheim gute Fluchtmöglichkeiten, da das Fluchtrisiko der Festnahme durch die GT, sich als vergleichsweise relativ gering erwies.
Um Fluchten zu verhindern, wurde das Dorf Birx im Jahre 1978/79 vollkommen direkt hinter dem Ortsrand bei den letzten Häusern mit Streckmetallzaun (über 3 m hoch) eingezäunt und praktisch in ein „Gefängnisdorf“ im Schutzstreifen ausgebaut.
Auf einige Vorkommnisse (Fluchten) bei Birx in den 50 iger und 60 iger Jahren möchte ich nun eingehen, ohne im Detail auf jede Flucht in Einzelnen genauer hinzuweisen. In diesem Kontext halte ich auch die Geschichte des ehemaligen BGS-Beamten Herbert Böckel, die sich ebenfalls in Birx zugetragen hat, für durchaus realistisch. Diese „Grenzgeschichte der besonderen Art“ ist nachzulesen in Herbert Böckels Buch „Deutsche Grenzgeschichten“ und dort als die Geschichte „Die Skatspieler aus Birx-Weihnachtsfeier mit den feindlichen Brüdern“.
Nun zu den Grenzvorkommnissen um Birx.
Am 06.06.1952 floh der Bauer N. aus Birx mit einem Kuhgespann in Richtung Grenze, diese Flucht wollte der VP-Oberwachtmeister H. der den Fluchtversuch bemerkte, verhindern. Dabei wurde der VP-Oberwachtmeister H. vom flüchtenden Bauern N. mit einer Pistole beschossen. Der Oberwachtmeister blieb bei dem Beschuss unverletzt. Dem Bauern gelang die Flucht mit dem Kuhgespann über die Grenze. Seine Familie aus Birx war wohl schon Tags zuvor unbemerkt geflohen.
Am 22.07.1957 flohen die jüngeren Birxer Einwohner H. (28 Jahre alt) und R. (21 Jahre alt) erfolgreich und unbemerkt von den Grenztruppen über die Grenze.
Am Abend des 04.06.1959 floh die Einwohnerin B.( mit einem Handwagen ! ?) über die Grenze. Falls dies richtig war, muss zu dieser Zeit der Grenzposten meistens ein oder zwei Postenpaare, nicht übermäßig wachsam gewesen sein.
Der Birxer Einwohner R. floh am 30.03.1963 bei Birx in die Bundesrepublik. Am 28.10.63 kehrte er auf Drängen seiner Mutter wieder freiwillig in die DDR zurück.
Am 02.07.1969 durchbrach A. aus Birx alkoholisiert die Grenze . Er fuhr angetrunken bis ca. 400 m vor den Grenzzaun und blieb dort mit dem Krad im morastigen Boden stecken und zu Fuß gelangte er zum Grenzzaun, den er überwand. Auch in diesem Fall der Flucht mit dem Krad muss die Wachsamkeit der GT nicht sehr hoch gewesen sein.
Alle diese aufgezeigten Fluchten zeigen, dass die Grenzsicherung im Abschnitt der 10. Grenzkompanie von Frankenheim im Bereich Frankenheim und Birx damals sehr schwierig war. Der schlechte Zustand der Grenze dort, bestand fort bis fast zum Ende der 70 iger Jahre. Danach erfolgte ein verstärkter Ausbau der Grenzsicherungsanlagen.
Das es nicht zu noch mehr Fluchten in den 50 iger und 60 iger Jahren gekommen ist, war wohl auch dem Wirken des MfS und Säuberungsaktionen im Grenzgebiet wie „Ungeziefer“ und „Kornblume“ geschuldet. Dadurch waren die Einwohner von Frankenheim und Birx eingeschüchtert und die Durchdringung der beiden Dörfer mit IM des MfS und freiwilligen Grenzhelfern war vermutlich sehr hoch.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein bekannter und geschätzer User des Forums die Angaben aus seinen Aktenbeständen bestätigen sowie weiter ergänzen und somit aufwerten kann.
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Re: Grenzvorkommnisse der 50iger und 60iger Jahre bei Birx

Beitragvon augenzeuge » 4. Februar 2021, 11:57

Es ist das südwestlichste Dorf der DDR. Seine besondere Lage im Schutzstreifen in unmittelbarer Nähe zur bayrischen Grenze am „Dreiländereck“ (Entfernung ca. 1,50 km) und etwa vom Ortsrand ca. 500 m entfernt zur hessischen Grenze machten eine Grenzsicherung für die Grenztruppen der DDR nicht einfach.


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Re: Grenzvorkommnisse der 50iger und 60iger Jahre bei Birx

Beitragvon Walter77 » 4. Februar 2021, 12:17

Danke Augenzeuge,

für die Einstellung der Karte von Birx, dass macht die besondere geografische Lage von Birx sehr anschaulich.
Ich warte fast darauf, dass sich wieder ein bekannter User meldet und die Vorkommnisse verbessert oder korrigiert :-).
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Re: Grenzvorkommnisse der 50iger und 60iger Jahre bei Birx

Beitragvon Volker Zottmann » 4. Februar 2021, 16:21

Für mich gleicht es einem Wunder, dass die DDR Birx nicht geschleift hat. Woanders war man ohne Skrupel schneller bei der Tat.

Gruß Volker
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Re: Grenzvorkommnisse der 50iger und 60iger Jahre bei Birx

Beitragvon Walter77 » 4. Februar 2021, 16:36

Volker, deine Vermutung ist vollkommen richtig.
Birx sollte 1974 auf Beschluss der SED Bezirksleitung Suhl entvölkert und geschleift werden. Die Pläne hatten sich in Birx und woanders herumgeschwiegen und es gab wohl erhebliche Proteste der Bürger sowie auch von Seiten der evangelischen Kirche, wegen dem Abriß der Kirche in Birx und dem Friedhof. Diese Proteste sind wohl auch bis zum ZK der SED und dem Politbüro vorgedrungen und die SED wollte einen gewaltsamen Abriß des Dorfes und die gewaltsame Umsiedlung der Einwohner von Birx nicht Live in ARD und ZDF sehen.
Vom Dungberg oberhalb von Birx hätte man auf hessischer Seite ca. 300 Luftlinie vom Dorf hervorragend Heerscharen von internationalen Fernsehkamerateams positionieren können.
Schlussendlich wurde Birx dann 1978//79 zum Gefängnisdorf umgestaltet, durch die beschriebene vollumfängliche Einzäunung des Dorfes mit Streckmetallzaun.
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Re: Grenzvorkommnisse der 50iger und 60iger Jahre bei Birx

Beitragvon augenzeuge » 4. Februar 2021, 17:11

Birx sollte 1974 auf Beschluss der SED Bezirksleitung Suhl entvölkert und geschleift werden.

Das ist ja interessant. Diese Verbrecher hätten den Menschen hier auch ihre Heimat weggenommen. [muede]

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Re: Grenzvorkommnisse der 50iger und 60iger Jahre bei Birx

Beitragvon Volker Zottmann » 4. Februar 2021, 17:26

augenzeuge hat geschrieben:
Birx sollte 1974 auf Beschluss der SED Bezirksleitung Suhl entvölkert und geschleift werden.

Das ist ja interessant. Diese Verbrecher hätten den Menschen hier auch ihre Heimat weggenommen. [muede]

AZ


Birx hat einfach nur Glück gehabt!
In httb://grenzerinnerungen.de kann man folgendes nachlesen:

Folgende Dörfer, Ortschaften und Siedlungen wurden zu DDR-Zeiten zerstört und abgetragen, nachdem ihre Einwohner vertrieben worden waren. Es handelt sich hierbei nur um eine Auswahl ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

Bardowieck, Kreis Grevesmühlen
Billmuthausen, Kreis Hildburghausen
Broda, Kreis Ludwigslust
Dornholz, Kreis Schleiz
Erlebach, Kreis Hildburghausen
Grabenstedt, Kreis Salzwedel
Hammerleithen, Kreis Plauen
Heiligenroda, Kreis Bad Salzungen
Jahrsau, Kreis Salzwedel
Kaulsroth, Kreis Sonneberg
Korberoth, Kreis Sonneberg
Lankow, Kreis Schönberg
Leitenhausen, Kreis Hildburghausen
Lenschow, Kreis Grevesmühlen
Liebau, Kreis Sonneberg
Lieps, Kreis Hagenow
Neuhof, Kreis Gadebusch
Neu Gallin, Kreis Hagenow
Niederndorf, Kreis Bad Salzungen
Ruppers, Kreis Meiningen
Schmerbach, Kreis Meiningen
Schwenge, Kreis Bad Salzungen
Stöckigt (nur Ortsteil), Kreis Plauen
Stresow, Kreis Salzwedel
Vockfey bei Neuhaus, Kreis Hagenow
Wehningen (nur Ortsteil), Kreis Ludwigslust
Zarrentin-Strangen, Kreis Hagenow

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: Grenzvorkommnisse der 50iger und 60iger Jahre bei Birx

Beitragvon Walter77 » 4. Februar 2021, 17:34

Volker,
danke für deine namentliche Aufstellung der abgerissenen Dörfer und Weiler im Schutzstreifen an der innerdeutschen Grenze.

Ich denke Birx hat gerettet, dass es ein ganzes größeres Dorf mit allen drum und dran und gut 150 Einwohnern war. Erschwerend wäre noch hinzugekommen, dass durch die unmittelbare Nähe zur hessischen Grenze das ZDF und die ARD live bei der gewaltsamen Zwangsaussiedlung der Einwohner und beim Abriss der Häuser und der Kirche dabei gewesen wäre.
Der internationale Proteststurm hätte dem Politbüro und ZK der SED eiskalt ins verlogene Gesicht geblasen. [wut]
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Re: Grenzvorkommnisse der 50iger und 60iger Jahre bei Birx

Beitragvon Thunderhorse » 5. Februar 2021, 14:38

Nu da wird ja im Beitrag 1 einiges verbuchselt bzw. fehlen wohl die Kenntnisse.

Der Bereich des Dreiländereck wurde 1952ff, wie alle anderen Bereiche der Grenze ebenfalls sukzessive mit Sperranlagen ausgebaut und verstärkt.
Es gab entlang der Grenze zunächst einen einfachen Stacheldrahtzaun, 10m KS (lediglich im unmittelbaren Bereich Dreiländereck nicht ganz angelegt,Wegesperren, Beobachtungsstellungen, etc. und Abholzungen.
Ab Anfang der 1960 wurden die Sperranlagen qweiter verstärkt, 1962/63ff ein doppelter Stacheldrahtzaun mit Minensperre auch im Bereich Dreiländereck errichtet.
Lediglich ein Bereich am Dunkberg war nicht vermint.
Ebenso nicht der Bereich von etwa Schwedenkreuz in Richtung nno Frankenheim.
Einige wenige Teile des Stacheldrahtzaun standen noch in den 80er Jahren.
nw von Birx ein Holz-BT errichtet.
Minensperren in den 50iger Jahren gab es nicht.

Der Grenzzaun I mit Signalteil wurde an drei Seiten um Birx errichtet, das Dorf also nicht vollkommen eingezäunt. Es war auch kein Gefängnisdorf, auch wenn es im Schutzstreifen lag.

Die angesprochenen Grenzdurchbrüche, gab es in den 50er und 60er Jahren in ähnlicher Form auch in anderen Bereichen an der einstigen innerdeutschen Grenze. War insofern nichts besonderes.
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Re: Grenzvorkommnisse der 50iger und 60iger Jahre bei Birx

Beitragvon Walter77 » 5. Februar 2021, 15:49

Erwin,

es freut mich, dass es dich noch gibt !
Du hast ja fast nichts an den Beiträgen " Vorkommnisse in den 50iger....." sowie "Versehentlicher Grenzübertritt nach Hessen " zu verschlimmbessern wie sonst immer.

Auch die Quellenherkunft wird nicht kritisiert, dass wundert mich sehr.
Bleib wie du bist und halt die Ohrensteif :-).
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Re: Grenzvorkommnisse der 50iger und 60iger Jahre bei Birx

Beitragvon Walter77 » 5. Februar 2021, 16:23

TH, demnächst stelle ich einen weiteren Beitrag zur 10. GK in Frankenheim und Birx ein, an dem du dich wieder eventuell abarbeiten kannst.
Schauen wir mal.
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Re: Grenzvorkommnisse der 50iger und 60iger Jahre bei Birx

Beitragvon steffen52 » 5. Februar 2021, 16:31

Mal eine bescheidene Frage an die beiden User Walter und Thunderhorse: " Ist das nun ein persönlicher Kampf den hier ausfechtet oder will der eine es besser wissen wie der andere". [ich auch]
Gehe davon aus das keiner der beiden User zu dieser Zeit persönlich dort gedient hat, also nur Wissen vom erzählen oder halt Büchern. Kenne einige GKs aus meiner Zeit, wie es da am Kanten aussah das
weiß ich natürlich nicht, da ich sie nur mit Lebensmittel beliefert habe! [denken]
Gruß steffen52
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Re: Grenzvorkommnisse der 50iger und 60iger Jahre bei Birx

Beitragvon Walter77 » 5. Februar 2021, 16:46

Steffen52,

zur Klarstellung. Ich habe von 04/76 bis 04/77 in der 10. GK in Frankenheim als Soldat im GWD gedient und alle Beiträge die mich persönlich betreffen sind nicht irgendwo abgekupfert.
Darüber hinaus habe ich im zweiten Diensthalbjahr auch die Bat.-Sicherung von KWH bis Stedtlingen leider mitgemacht.
Ich wurde auch im Forum DDR Grenze oftmals (nicht immer) von Thunderhorse in meist marginalen Kleinigkeiten ergänzt oder auch kritisiert.
Wir sind dort nicht unbedingt die besten Freunde geworden und werden es hier vermutlich auch nicht.
Ich kupfere nicht bei anderen ab, sondern habe so gut wie es geht, die Geschichten die ich nicht persönlich erlebt habe, recherchiert.
Jetzt habe ich dich über das amibivalente Verhältnis zwischen mir und Thunderhorse aufgeklärt.
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