1.7.1990- 20 Jahre Währungsunion DDR/ BRD

Alles was in den Zeitraum nach der Wende gehört. Das Zusammenwachsen von zwei grundverschiedenen Systemen, Probleme, Erwartungen, Empfindungen usw.

1.7.1990- 20 Jahre Währungsunion DDR/ BRD

Beitragvon augenzeuge » 28. Juni 2010, 21:31

Nach dem Fall der Mauer verlassen jede Woche etwa 15.000 Menschen das Land. Staat und Wirtschaft der DDR drohen im Chaos zu versinken. Bundeskanzler Helmut Kohl sieht sich deshalb gezwungen, die Währungsunion voranzutreiben und schon vor dem Einheitsvertrag zum 1. Juli 1990 eine Wirtschafts- und Währungsunion zwischen Bundesrepublik und DDR zu schaffen. Kernstücke des Staatsvertrages sind die Einführung der sozialen Marktwirtschaft in der DDR und die Umstellung der DDR-Währung auf DM zum 1. Juli 1990.

31. März 1990: Der Zentralbankrat der Bundesbank empfiehlt der Regierung einen Umstellungskurs von grundsätzlich zwei Mark der DDR zu einer D-Mark. Eine Umstellung eins zu eins würde die DDR-Wirtschaft einer Verschuldung und einem Kostenniveau aussetzen, dem die meisten Betriebe im internationalen Wettbewerb nicht gewachsen wären, heißt es. Die Bundesbank löst damit heftige Diskussionen aus. Für einen Umtauschkurs von weniger als eins zu eins setzen sich vor allem Minister Haussmann und die meisten FDP-Politiker ein. Sie werden von Waigel unterstützt. Die SPD ist für eins zu eins.

Anfang April 1990: In Ost-Berlin und anderen DDR-Städten demonstrieren Zehntausende für ein Verhältnis von eins zu eins.

17./18. Juni: Die DDR bezeichnet sich jetzt als ein „freiheitlicher, demokratischer, föderativer, sozialer und ökologisch orientierter Rechtsstaat“. Mehrheitlich billigten die Abgeordneten das Treuhandgesetz über die Privatisierung volkseigenen Vermögens.

21. Juni: Mit Zweidrittelmehrheiten stimmen beide deutschen Parlamente der Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zu.

30. Juni: In der Nacht zum 1. Juli versammeln sich Tausende auf dem Alexanderplatz in Berlin. Die Deutsche Bank tauscht ab Mitternacht DDR-Mark in D-Mark um.

1.Juli: In vielen DDR-Städten und -Gemeinden wird die D-Mark mit Feuerwerk, Sekt und Autohupen euphorisch begrüßt.

Die am 30. Juni 1990 bei den DDR-Geldinstituten vorhandenen Guthaben in Höhe von 184,7 Milliarden DDR-Mark werden in 122,8 Milliarden Mark (62,9 Milliarden Euro) umgestellt.

Löhne, Gehälter, Stipendien, Mieten, Pachten und Renten sowie andere wiederkehrende Versorgungszahlungen werden im Verhältnis 1:1 umgestellt. Bei Bargeld und Bankguthaben sind die Regelungen nach Lebensalter gestaffelt: Kinder unter 14 Jahren können bis zu 2000 DDR-Mark im Verhältnis 1:1 umtauschen, 15- bis 59-Jährige bis zu 4000 DDR-Mark, Personen über 60 Jahre bis zu 6000 DDR-Mark. Darüber hinausgehende Beträge werden im Verhältnis 2:1 umgestellt. Damit ist die Eingliederung der DDR in die Bundesrepublik praktisch vollzogen. Der Ansturm auf die neue Währung ist groß: Bis zum Abend des 2. Juli zählt allein die Sparkasse der Stadt Berlin rund 320.000 Kunden. Bei den 15.000 Bankfilialen in der DDR werden am Tag der Währungsumstellung 3,4 Milliarden DM abgehoben.
MDR
AZ
"Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist."
„Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war“.
„Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten“.
Benutzeravatar
augenzeuge
Flucht und Ausreise
Flucht und Ausreise
 
Beiträge: 84414
Bilder: 6
Registriert: 22. April 2010, 07:29
Wohnort: Nordrhein-Westfalen

Re: 1.7.1990- 20 Jahre Währungsunion DDR/ BRD

Beitragvon Berliner » 29. Juni 2010, 01:25

Als die D-Mark kam
20 Jahre nach der deutsch-deutschen Währungsunion

von Henriette de Maizière und Marcus Niehaves

In der Nacht zum 1. Juli 1990 ist in der DDR die D-Mark als offizielles Zahlungsmittel in Kraft getreten. Für viele ehemalige DDR-Bürger ein ganz besonderer Moment ihres Lebens. Denn die D-Mark war das Symbol für Wirtschaftswunder und Wohlstand. Und ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur deutschen Einheit. "Den Menschen war klar - mit der D-Mark war die Einigung eigentlich besiegelt, dann gibt es kein zurück mehr", sagt der erste und letzte frei gewählte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière.

Mit der Währungsunion ging die Wirtschaftsunion einher, die Umstellung von der Plan- zur Marktwirtschaft. Viele DDR-Betriebe brachte das in Existenznot. Zusätzlich brachen ihnen Absatzmärkte im Osten weg. "Die DDR war nicht mehr wettbewerbsfähig", sagt der ehemalige Chef der Bundesbank, Karl-Otto Pöhl. "Ich weiß noch, dass der Herr Kaminsky - der Staatsbankpräsident - mich besuchte in Frankfurt und mir als Gastgeschenk ein Fernglas mitbrachte von Zeiss Jena." Pöhl fand das Fernglas nicht zeitgemäß und zu groß. "Nein, hab ich gesagt, wenn das der Produktionsstand ist in der DDR, dann ist die DDR nicht mehr lebensfähig."

"Uns liefen die Menschen weg"

Um die DDR-Wirtschaft stand es schlechter als viele wussten. "Zwar war die DDR 1989 beim Mauerfall, wie wir heute wissen, im strengen Sinne nicht bankrott, das kann man so nicht sagen", sagt der Historiker André Steiner. "Aber es war absehbar, dass sie zahlungsunfähig werden würde, weil die internationale Konkurrenzfähigkeit noch weiter gesunken wäre."

Viele wünschten sich eine materielle Verbesserung ihrer Lebensumstände. Unter anderem aus diesem Grund verließen trotz der neu gewonnenen Freiheit bis zum Sommer 1990 täglich Tausende die DDR. "Wir hatten politisch keine andere Wahl - uns liefen die Menschen weg. Die Freiheit allein genügte nicht, die Menschen brauchten das Geld, um ihr Leben zu verändern", erinnert sich Lothar de Maizière.

Kohl machte Tempo

Die überfüllten Auffanglager im Westen wurden jedoch ein großes Problem für beide Landesteile: Dem Osten drohte der menschliche Exodus, den Westen kosteten sie viel Geld. Die, die im Osten blieben forderten immer lauter die D-Mark.

Der damalige Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl war zunächst skeptisch, fand eine Währungsunion Anfang 1990 zu früh. Doch Bundeskanzler Helmut Kohl hatte es eilig, er bot der DDR Verhandlungen über eine Währungsunion an. "Das Zeitfenster hätten wir nie wieder bekommen und darum ist es wichtig dieses zu ergreifen", erklärt der damalige Finanzminister Theo Waigel im Rückblick. "Und das ist eine Entscheidung der Politik, die kann kein Banker und kein Zentralbanker der Politik abnehmen."

Währungsunion zu früh?

Auch Lothar de Maizière unterstreicht die Bedeutung des historischen Zeitfensters. " Das Tempo zur Deutschen Einheit wurde nicht durch die Entwicklung der Wirtschaft maßgeblich bestimmt, sondern durch die außenpolitische Situation", sagt de Maizière. "Ich weiß, dass ich im Mai 1990 in Moskau ein langes Gespräch mit Eduard Schewardnadse hatte und er sagte zu mir: mach schnell, mach eilig, sieh zu, dass Du mit der Einigung durchkommst." Er wisse nicht, wie lange Gorbatschow und er ihre Unterstützung innenpolitisch noch durchsetzen könnten.

So fiel die Entscheidung zur Währungsunion früher als manche gut fanden und finden. "Wider besseres Wissen haben die Politiker den Kurs durchgezogen. Die Folgen für die DDR-Wirtschaft hätte man absehen müssen", sagt Edgar Most, damals Vizepräsident der Staatsbank der DDR. Manche Bürger sehen das genauso. "Ich hätte es auch lieber gehabt, wenn das etwas sachter zustande gekommen wäre und nicht in diesen Dimensionen", sagt ein Mann in Berlin.

Großer Andrang bei Tauschbeginn

Am 18. Mai 1990 war es soweit: die Finanzminister beider deutscher Staaten, Theo Waigel und Walter Romberg, unterzeichneten den Staatsvertrag zur Währungsunion. Jetzt mussten mehrere Milliarden D-Mark in den Osten gebracht werden, zum Teil in bar. Insgesamt 460 Tonnen Papiergeld wurden transportiert. Gleichzeitig wurde das entwertete Geld entsorgt, allein 376 Tonnen DDR-Scheine.

In der Nacht zum 1. Juli fieberten die Menschen auch in Berlin am Alexanderplatz der Ankunft der D-Mark entgegen. Hier sollte um Mitternacht die erste Bank ihre Türen öffnen. Der Andrang war so groß, dass der Bankdirektor fast selbst nicht in die Bank kam. Zehn Millionen D-Mark wurden allein in der Deutschen Bank Filiale am Alexanderplatz ausgezahlt. Umgetauscht wurde ein Großteil im Verhältnis 1:1.

Quelle: Als die D-Mark kam - ZDF

Nichts auf dieser Welt kann die Beharrlichkeit ersetzen.
Talent kann es nicht - nichts ist verbreiteter als erfolglose Maenner mit Talent.
Genie kann es nicht - unbelohntes Genie ist nahezu ein Sprichwort.
Ausbildung kann es nicht - Die Welt ist voll von ausgebildeten Obdachlosen.


Beharrlichkeit und Ausdauer alleine sind allmaechtig.


-Calvin Coolidge
Benutzeravatar
Berliner
 
Beiträge: 2908
Bilder: 85
Registriert: 22. April 2010, 07:09
Wohnort: Detroit, Michigan USA

Re: 1.7.1990- 20 Jahre Währungsunion DDR/ BRD

Beitragvon augenzeuge » 10. Juli 2010, 11:46

ABV hat geschrieben: Richtige Euphorie konnte man kaum bemerken, es war eher die große Nachdenklichkeit. Das trifft besonders auf die Älteren zu, die immerhin einen Teil ihres Ersparten verloren hatten.



Na, Uwe, hier brauche ich eine Erklärung. [shocked]

Ich vermute, du spielst darauf an, dass die größeren Ersparnisse nur 2:1 umgetauscht werden konnten. Aus eigenem Erleben in der Familie habe ich damals Diskussionen geführt.....die Einsicht war oft nicht vorhanden.

Hieraus entstand m.E. teils sogar ein wirtschaftlicher Gewinn, da man vieles nun viel preiswerter bekam. Aber das wollte man nicht einsehen....nicht mal dann, als feststellte, was für ein Auto man für den Trabbi-Neupreis bekommen hatte.....
AZ
"Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist."
„Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war“.
„Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten“.
Benutzeravatar
augenzeuge
Flucht und Ausreise
Flucht und Ausreise
 
Beiträge: 84414
Bilder: 6
Registriert: 22. April 2010, 07:29
Wohnort: Nordrhein-Westfalen

Re: 1.7.1990- 20 Jahre Währungsunion DDR/ BRD

Beitragvon Berliner » 10. Juli 2010, 16:16

ABV hat geschrieben:Deren Mitarbeiter bekamen bereits am nächsten Tag einen ersten Eindruck von den Schattenseiten des neuen Zeitalters. Als es zu einer eher harmlosen Meinungsverschiedenheit zwischen den Mitarbeitern und deren Chef kam, wurde ihnen knallhart mit Kündigung und der Aussicht auf Arbeitslosigkeit gedroht. Immerhin hätte man ja jetzt "Marktwirtschaft". Der besagte Chef war noch vor einem halben Jahr ein strammer SED-Genosse und hatte die Linie der Partei vertreten. Ein Schelm der böses dabei denkt.
Zeiten ändern sich, Menschen passen sich stets nur an.

ja, Uwe. Solche Dinge aergern mich auch ungemein. Z.T. und auch zurecht, weil ich mich vor solchen Gedanken auch hueten muss, anders zu werden, nur weil die Umstaende sich geaendert haben. Das ist eines der schwersten Dinge des Lebens. Vielleicht muessen wir alle dabei denken, was wuerde unsere Mutter davon halten, wenn sie das jetzt sehen koennte... [flash]

Gruss, und nochmals vielen Dank fuer die interessanten Einblicke in die Zeitgeschichte. [knuddel]
Berliner [hallo]
Nichts auf dieser Welt kann die Beharrlichkeit ersetzen.
Talent kann es nicht - nichts ist verbreiteter als erfolglose Maenner mit Talent.
Genie kann es nicht - unbelohntes Genie ist nahezu ein Sprichwort.
Ausbildung kann es nicht - Die Welt ist voll von ausgebildeten Obdachlosen.


Beharrlichkeit und Ausdauer alleine sind allmaechtig.


-Calvin Coolidge
Benutzeravatar
Berliner
 
Beiträge: 2908
Bilder: 85
Registriert: 22. April 2010, 07:09
Wohnort: Detroit, Michigan USA

Re: 1.7.1990- 20 Jahre Währungsunion DDR/ BRD

Beitragvon karl143 » 10. Juli 2010, 16:56

Ich hatte es in einem anderen Thread schon mal geschrieben. Die Verlierer der Währungsunion waren nicht die Bewohner der DDR. Sie sahen es wohl so, weil viele auch die Realitäten nicht wahrhaben wollten, das die DDR Mark keinen Wert mehr hatte. Die Verlierer waren die Bürger der alten Länder und vor allem war die D-Mark der Verlierer. International angesehen Experten wie der damalige Bundesbankpräsident Karl- Otto Pöhl, aber auch Wirtschaftsexperten wie die damalige nieders. Finanzministerin (übrigens CDU Ministerin und enge Vertraute von Ernst Albrecht) oder auch Alfred Herrhausen warnten, zum Teil öffentlich, vor diesen Schritt zu diesem Zeitpunkt. Es war wohl ein Zugeständnis von Kohl an die Bevölkerung der DDR. Übrigens, der heutige Linken Vorsitzende, Lafontaine, war der Einzige, dessen Vorhersage über die wirtschaftliche Entwicklung zutraf. Er sprach von einer Riesensumme die aufgebracht werden müßte, um die DDR Wirtschaft zum laufen zu bringen. Zwanzig Jahre später muß man ihm in dieser Sache Recht geben.

Hier ein Interview vom Vize Chef der DDR Zentralbank Edgar Most, der dann bei der Bundesbank Karriere machte. Selbst er als damaliger DDR Banker spricht von großen Fehlern. Im Zufolge wäre ein Kurs von 1:7 angemessen gewesen. Die Summe zwischen der 1 und der 7 ist der Verlust für die alten Länder. Das ist mittlerweile anerkannt von allen Wirtschaftswissenschaftlern.


SPIEGEL ONLINE: Herr Most, wie beurteilen Sie die deutsch-deutsche Währungsunion heute?

ost: Politisch ist die Einheit gelungen, wirtschaftlich betrachtet ist das Ergebnis eine Katastrophe. Dafür verantwortlich sind vor allem die Fehler, die bereits 1990 bei der Einführung der D-Mark und deren Folgen in der Arbeit der Treuhandanstalt begangen wurden. Daran leiden wir bis heute.


SPIEGEL ONLINE: Welche Fehler meinen Sie?

Most: Der Umtauschkurs von eins zu zwei - also eine D-Mark für zwei Ostmark - war falsch, er entsprach nicht der Realität der Wirtschaft. Das Problem waren gar nicht so sehr die Sparvermögen der Bürger in Höhe von 166 Milliarden Ostmark. Das wirkliche Übel bestand darin, dass die Unternehmen dadurch viel zu hoch bewertet waren: Ihre Produkte und der Kapitalstock waren nicht mehr wettbewerbsfähig, vor allem fielen ihre Schulden nun stärker ins Gewicht. Die meisten Betriebe waren über Nacht zahlungsunfähig und damit für die Bank nicht mehr kreditwürdig.

SPIEGEL ONLINE: Welches Tauschverhältnis wäre denn angemessen gewesen?

Most: Alle Kurse zusammen genommen vielleicht eins zu sieben. Auf dem Schwarzmarkt lag der Kurs nach dem Mauerfall sogar bei eins zu zehn. Eine realistische Bewertung hätte nicht gleich alle potentiellen Investoren abgeschreckt. Die Privatisierung wäre ganz anders verlaufen. So aber war die DDR-Wirtschaft mit der Einführung der D-Mark am 1. Juli 1990 wirklich pleite.

SPIEGEL ONLINE: Gab es denn eine Alternative zu diesem Umtauschkurs? Die Bürger hätten doch mit den Füßen abgestimmt nach dem Motto: "Kommt die D-Mark, bleiben wir; kommt sie nicht, geh'n wir zu ihr."

Most: Für die Menschen war der Kurs ja in Ordnung, aber nicht für die Wirtschaft. Und obwohl die Menschen die D-Mark erhalten haben, sind sie dann durch die falsche Wirtschaftsstrategie abgewandert.

SPIEGEL ONLINE: Wann fiel Ihnen das auf?

Most: Das kann ich Ihnen genau sagen: Am 7. Februar 1990 saßen wir im Grand Hotel in der Berliner Friedrichstraße: Bundesbank-Chef Karl Otto Pöhl, sein Vize Helmut Schlesinger und wir von der DDR-Staatsbank. Wir waren uns alle einig, dass die D-Mark kommen sollte. Aber wann und vor allem zu welchem Kurs und mit welchen Folgebedingungen, war noch völlig offen. Am nächsten Morgen verkündete Bundeskanzler Helmut Kohl, dass die Währungsunion am 1. Juli 1990 mit eins zu zwei starten sollte - ohne dies mit den Parlamenten und den Zentralbanken beider deutscher Staaten abzustimmen. Es ging nur um wahltaktische Überlegungen.

SPIEGEL ONLINE: Wie reagierten Sie?

Most: Ich war fassungslos. Die angeblich unabhängige Bundesbank war nicht unabhängig. Die westdeutschen Kollegen waren vielleicht noch schockierter als ich. Wir fragten uns: Wie soll das funktionieren? Wir hatten Sorge, dass eine Konterrevolution entsteht, wenn die Betriebe pleite gehen. Kohls Alleingang war fatal.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie sich nicht gewehrt?

Most: Natürlich. Bundesbank-Präsident Pöhl ist meines Wissens später ja sogar deshalb zurückgetreten. Aber der revolutionäre Prozess war schon zu weit fortgeschritten, das war nicht mehr aufzuhalten. Mit Kohls Ankündigung war klar, dass im selben Jahr die Einheit folgen musste und die DDR abgewickelt wird: Wer das Geld hat, verfügt über die Macht. Ende April 1990 startete ich noch einen Versuch, den Bundeskanzler davon zu überzeugen, dass sein Umtauschkurs falsch war. Ich war beim Deutschen Bankentag in Bonn eingeladen, Kohl saß neben mir, und ich beschloss, die vier Stunden, die er praktisch an mich gefesselt war, zu nutzen.

SPIEGEL ONLINE: Offensichtlich ohne Erfolg.

Most: Ich sagte ihm, "Sie haben da einen Wechsel unterschrieben, dessen Summe Sie gar nicht kennen; Sie wissen nicht, was die DDR wert ist. Noch haben wir Zeit, das zu korrigieren." Ich hatte sogar die Bilanz der Staatsbank in den Westen mitgenommen - eigentlich eine geheime Verschlusssache -, um ihm das zu erklären. Kohl hat sich alles genau angehört und antwortete sinngemäß, er sei Politiker und treffe politische Entscheidungen, ich aber sei aus der Wirtschaft, und die Wirtschaft wird das Problem schon lösen. Tja, daran arbeiten wir noch heute.

Das gesamte Interview : http://www.spiegel.de/wirtschaft/untern ... 36,00.html
karl143
 

Re: 1.7.1990- 20 Jahre Währungsunion DDR/ BRD

Beitragvon augenzeuge » 10. Juli 2010, 17:54

Karl, ein spannendes Interview! [wink]

Allerdings, ich möchte behaupten, wenn ein Kurs von 1:7 gekommen wäre, das hätte zu einer neuen Revolution geführt.....und nicht zur Einheit.

Die Einheit war unter logischen, wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht so schnell erreichbar, das wusste Kohl. Und die Zeit drängte. Schewardnadse sagte schon in 2/1990 dass er nicht weiß, wie lange sich Gorbi noch halten könnte. Er vermutete schon einen Putsch. Es kam also auch auf die Zeit und die Unterstützung der DDR-Bevölkerung an. Deshalb musste es 2:1 sein....
AZ
"Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist."
„Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war“.
„Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten“.
Benutzeravatar
augenzeuge
Flucht und Ausreise
Flucht und Ausreise
 
Beiträge: 84414
Bilder: 6
Registriert: 22. April 2010, 07:29
Wohnort: Nordrhein-Westfalen

Re: 1.7.1990- 20 Jahre Währungsunion DDR/ BRD

Beitragvon karl143 » 10. Juli 2010, 18:11

@ Augenzeuge,

das Kohl zeitlich stark unter Druck stand ist unbestreitbar. Ich hatte ja schon mal geschrieben, ich war nie sein Fan, eher das Gegenteil. Bei der Einheit hat er auch bis auf die Währungsunion alles richtig gemacht. Das war hier aber nicht nur ein politischer Fehler, den man später berichtigen könnte. Das Problem war, das eine Korrektur hier volkswirtschaftlich nicht mehr möglich war. Er hat, um es drastisch auszudrücken, gegen seinen Amtseid, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, verstoßen. Dieser 1zu 1 Kurs, bzw. 2 zu 1, war ja tödlich. Ohne Rücksprache, bzw. Billigung von Parlamenten und Länderkammern soetwas zu verkünden und dann durchzuziehen ist eine klare Übertretung seiner Kompetenz gewesen. Wir leiden heute noch darunter, das ist das Problem, während der Dicke in seinem Haus in Oggersheim sitzt und vor sich hinsinniert. [flash]
karl143
 

Re: 1.7.1990- 20 Jahre Währungsunion DDR/ BRD

Beitragvon Danny_1000 » 11. Juli 2010, 09:17

augenzeuge hat geschrieben:Karl, ein spannendes Interview! [wink]

Allerdings, ich möchte behaupten, wenn ein Kurs von 1:7 gekommen wäre, das hätte zu einer neuen Revolution geführt.....und nicht zur Einheit.....AZ

@AZ
da hast du den Herrn Most offensichtlich nicht richtig verstanden. Der meinte nämlich mit dem Verhältnis von 1:7 (also 1 DM = 7 Ostmark) den mittleren Umtauschkurs. Das ist der Mittelwert aller Umtauschverhältnisse der privaten Haushalte und der Wirtschaft (Geldvermögen und Verbindlichkeiten). Das hätte die privaten Haushalte in keinster Weise berührt und zu keiner neuen Revolution geführt.
Wenn Most in seinem Interview also ausführt:
Zitat: „Für die Menschen war der Kurs (1:1 bzw 1:2) ja in Ordnung, aber nicht für die Wirtschaft..“ Zitatende

so heißt das ja nichts anderes, als dass Edgar Most für einen Umtauschkurs in der DDR- Wirtschaft von weit mehr als 1:7 plädierte.

Das hätte vielen DDR- Firmen ein Überleben gesichert und damit hunderttausende von Jobs im Osten gerettet.
Man kann nun darüber spekulieren, warum das politisch nicht gewollt war…

karl143 hat geschrieben:@ Augenzeuge,
das Kohl zeitlich stark unter Druck stand ist unbestreitbar. Ich hatte ja schon mal geschrieben, ich war nie sein Fan, eher das Gegenteil. Bei der Einheit hat er auch bis auf die Währungsunion alles richtig gemacht. Das war hier aber nicht nur ein politischer Fehler, den man später berichtigen könnte. Das Problem war, das eine Korrektur hier volkswirtschaftlich nicht mehr möglich war. Er hat, um es drastisch auszudrücken, gegen seinen Amtseid, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, verstoßen. Dieser 1zu 1 Kurs, bzw. 2 zu 1, war ja tödlich. Ohne Rücksprache, bzw. Billigung von Parlamenten und Länderkammern soetwas zu verkünden und dann durchzuziehen ist eine klare Übertretung seiner Kompetenz gewesen. Wir leiden heute noch darunter, das ist das Problem, während der Dicke in seinem Haus in Oggersheim sitzt und vor sich hinsinniert. [flash]

@Karl
da gebe ich dir im Prinzip Recht. Aber: Für große Teile der westdeutschen Wirtschaft war dieser Kurs allerdings nicht tödlich, sondern ökonomisch ein Segen. Mir diesem Kurs wurde über Nacht lästige Ostkonkurrenz in breiter Fläche platt gemacht und ein Markt mit mehr als 16 Millionen zusätzlicher Verbraucher geschaffen.
Die sozialen Folgekosten dieser ökonomischen Fehlentscheidungen bezahlen wir noch heute.

Die Stabilität der DM war übrigens zu keinem Zeitpunkt gefährdet (vermutlich auch nicht bei einem Kurs von 1:1 für die Privathaushalte), wenn man sich mal die Inflationsrate der letzten 20 Jahre anschaut.

Gruß
Daniel
Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben
dafür einsetzen, dass du es sagen darfst !
(Evelyn Beatrice Hall 1868; † nach 1939)
Benutzeravatar
Danny_1000
Grenztruppen
Grenztruppen
 
Beiträge: 2760
Registriert: 24. April 2010, 19:06

Re: 1.7.1990- 20 Jahre Währungsunion DDR/ BRD

Beitragvon karl143 » 11. Juli 2010, 10:36

Hallo Daniel,

das die Wirtschaft von diesem Kursverhältnis begeistert war, ist mir schon klar. Es ging mir auch nicht um die Inflationsrate aufgrund des Umtauschkurses von 1:1. Es ging mir um die Belastungen von denen wir heute noch genug spüren. Und die bezog ich u. a. auf die Bürger der alten Bundesländer. Ohne DDR wären diese Belastungen nicht erfolgt. Also ist in diesem Fall nicht der Ostbürger der Verlierer, sondern der alte Bundesdeutsche. Das ist jetzt keine politische Meinung sondern die Feststellung von Fakten.

Übrigens wurde Helmut Kohl nie unterstellt, von Themen wie Volkswirtschaft Ahnung oder gar Wissen zu haben. In diesem Bereich stand er wohl Honecker nicht viel nach. Da war Helmut Schmidt noch ein ganz anderes Kaliber.
karl143
 


Zurück zu Zusammenwachsen

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 6 Gäste