Zusammenwachsen durch: einfach mal die Rollen tauschen!

Alles was in den Zeitraum nach der Wende gehört. Das Zusammenwachsen von zwei grundverschiedenen Systemen, Probleme, Erwartungen, Empfindungen usw.

Zusammenwachsen durch: einfach mal die Rollen tauschen!

Beitragvon FSK-Veteran » 22. Februar 2012, 15:27

Es gibt Männer, die gerne mal die Rolle tauschen. Und zum Beispiel Frauenkleider tragen. Schweighöfer hat in seinem neuen Film rollenbdingt die Sache ausprobieren müssen. Und sagte, daß das eine unerwartet wertvolle Erfahrung war. Eine interessante, positive Erfahrung, mit der er in dieser Form nicht gerechnet hat.

Wenn ich so manche Ost-West-Diskussion höre, kommt mir unwillkürlich Schweighöfer in den Sinn. Ostler fühlen sich auf den Schlips getreten. Und Westler genauso. Hardlinern, die als gelernte DDR-Bürger auf ihre DDR-Identität bestehen und den Westen/Westler gerne ablehnen (nicht selten ähnlich arrogant, wie es x- Westler mit dem Osten tun), empfehle ich "Schweighöfer".
Genau, wie ich eingefleischten Westlern ähnliches empfehle, die der Meinung sind "...in den Osten fahre ich doch nicht freiwillig, alles alte Stasi-Seilschaften...".

Nicht, daß die Herrschaften sich das kleine rote Cocktail-Kleid der Frau aus ihrem Kleiderschrank holen sollen.
Um in dieser Verkleidung dann weiterhin in den PC zu starren und eifrig weiter die bekannten Vorurteile zu pflegen.

Nein: ich meine, daß es ganz interessant ist, wenn man sich konsequent für 20 Minuten in die jeweils andere Rolle versetzt, in die das Schicksal einen nun mal gesteckt hat.
Um dann genau zu durchdenken, wie man wohl gelebt hätte. Und wer man evtl. gewesen wäre.#

Für mich persönlich gilt dann z.B. die Frage:

-wäre ich in der Bürgerbewegung gelandet?
-hätte ich mich in Thüringischen Kleinstädten bei gefährlichen Vorwende-Demos von der Volkspolizei zusammenknüppeln lassen?
-oder wäre ich selbst eher der Volkspolizist gewesen?
-wie hätte ich mich wohl entwickelt, wenn mein Vater überzeugter Kommunist gewesen wäre? Und meine Mutter treue Parteigängerin?
-wäre es nicht ganz natürlich, daß ich als Kind meiner Eltern: meinen Eltern geglaubt hätte? Was hat denn ein Kind in den ersten 10 Jahren anderes, als seine Eltern?
-hätte mich das Westfernsehen beeindruckt? Oder angewidert?

Ich weiß es nicht.

Ich denke mal, daß sich Micha Wolf in Stuttgart als Sohn einer Unternehmersfamilie entspannt zurückgelehnt hätte, wenn er von der Leipziger Messe kommend, endlich die grell beleuchtete Grenze passiert hätte.
Und mit seinem Benz über die glatten bundesdeutschen Autobahnen fahrend gedacht hätte: "...ein echter Saustall ist das da drüben.."!

"Zusammenwachsen".

Das kann man bei sich selbst am besten dadurch befördern, in dem man sich konsequent in die Rolle jeweils anderen Deutschen hineinversetzt. In seine Biographie. Und das konzentriert und ehrlich.

Das rote Kurze der Gattin kann im Schrank hängen bleiben.
Es wird zu dieser kleinen Meditation nicht benötigt... [grins]
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Re: Zusammenwachsen durch: einfach mal die Rollen tauschen!

Beitragvon manudave » 23. Februar 2012, 19:48

Rollentausch gehört zu den wichtigsten Methoden in der Psychologie - bei uns in der Trauerbegleitung Standard. Insofern ist die Idee auch hier im Forum nicht schlecht - ob sie allerdings funktioniert, wage ich zu bezweifeln. Denn diese Methode funzt eigentlich nur, wenn man sich gegenüber sitzt und den anderen auch ein wenig kennt.
Hier im Forum sind wir doch nur Pseudonyme und sollten uns eher hüten, alles Wort der Hanseln hier für bare Münze zu nehmen.
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Re: Zusammenwachsen durch: einfach mal die Rollen tauschen!

Beitragvon FSK-Veteran » 5. März 2012, 10:12

Ja, richtig!

Trauerarbeit: toll, daß Du sowas machst, manudave! Finde ich ganz klasse.

Rollentausch:Trotzdem spürt man da und dort, daß es dann doch Versuche gibt, sich in die Situation des Anderen hineinzuversetzen. Dieses Spielchen kann man einfach mal zuspitzen, indem man sich konsequent über einen festgelegten Zeitraum in die Rolle und die Denke des Anderen hineinversetzt. Die Erkenntnisse kann man dann auf Dritte übertragen.

Wie gesagt, z.B.: Mischa Wolf als Sohn eines Stuttgarter Unternehmers auf der Rückfahrt von der Leipziger Messe nach Passage der grell erleuchteten Grenze. Das wären evtl. ganz andere Gedanken, als die Einstellungen, die man von ihm kennt.

Franz Joseph Strauß als Sachse und überzeugter Kommunist. Anstatt Schalck Leiter der Kommerziellen Koordinierung.
Oder als Chefkommentator des DDR-Fernsehens!
Diesen "schwarzen Kanal" hätte ich sehen wollen!

Wenn ich das alles einfach mal konsequent durchdenke, wird mir klar, was für eine entscheidende Rolle Herkunft/Eltern/Erziehung und Denkstrukturen spielen, die man als Kind übernommen hat.

Mir wird dann klar, daß man nie frei war. Sondern daß die Prägung des Elternhauses über viel mehr entscheidet, als man glaubt.

Viele haben über den dicken Kohl gelacht, als er von der "Gnade der späten Geburt" gesprochen hat.
Meiner Meinung nach vollkommen zu Unrecht.

Denn es wird mir dann klar, daß ich den Anderen im Grunde nicht wegen seiner Meinung und seiner Einstellung ablehne.
Sondern im Grunde doch nur für seine Biographie. Und für die Situation, in die er als Baby hineingeboren wurde. Und für den Geist, in dem er dann als Kind erzogen wurde....
Und diese Grundlagen, für die man erstmal nichts kann, prägen entscheidend.
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Re: Zusammenwachsen durch: einfach mal die Rollen tauschen!

Beitragvon Edelknabe » 5. März 2012, 18:43

Ich bin momentan schwer von KP. "Die Gnade der späten Geburt", was hatte der dicke Kohl denn damit gemeint? Meinte er etwa die zweite Geburt der DDR oder....?

Rainer-Maria und FSK, ich stelle mir gerade vor, ich schlüpfe in die Rolle des Antikommunisten Interessierter(hier im Forum). Also was sollte denn da heraus kommen? Ich denke bestimmt nichts Gutes.
Sag mal David, arbeitest du neuerdings bei der Bestattung?
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Re: Zusammenwachsen durch: einfach mal die Rollen tauschen!

Beitragvon manudave » 5. März 2012, 19:21

Schaust du in den Thread "Ehrenamt" alter Mann... [grins]
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Re: Zusammenwachsen durch: einfach mal die Rollen tauschen!

Beitragvon FSK-Veteran » 5. März 2012, 19:36

Edelknabe hat geschrieben:Ich bin momentan schwer von KP. "Die Gnade der späten Geburt", was hatte der dicke Kohl denn damit gemeint? Meinte er etwa die zweite Geburt der DDR oder....?


Nicht ganz [grin]

Guckst Du hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Gnade_der_ ... ten_Geburt

Kohl hat damals genau diesen Gedankenansatz verfolgt.

-Der Ort der Geburt,
-das System, in welches man hineingeboren wird,
-die Erziehung der Eltern (in der kindlichen Sicht auf die Umwelt) als einzige glaubhafte Wertevermittler eines Kindes bis zum 6. Lebensjahr,
-das, was ein System (die Umwelt)von mir erwartet oder fordert, wenn ich erfolgreich sein will

...prägen einschneidend mein Leben und meine Entscheidungen.
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Re: Zusammenwachsen durch: einfach mal die Rollen tauschen!

Beitragvon Edelknabe » 6. März 2012, 05:29

He David...mich gleich als alten Mann zu titulieren, ich geb dir gleich ne Maulschelle du junger Futzi aber mal den Guten Morgen Spass beiseite das ist also die Gnade der späten Geburt FSK, jetzt bin ich etwas schlauer.

Ein Glück, das ich im Sozialismus , diesem System geboren wurde,genauer dem Ort der Geburt Leipzig, die Weltstadt Leipzig und damit bin ich schonmal fein raus aus den ganzen Belastungen mit Schuld und Sühne.Also bis zum sechsten Lebensjahr pendelte ich so zwischen Arbeiterhaushalt im Leipziger Osten, damals hieß das Werktätigenhaushalt und der Kapitalistenvilla meiner Tante im 311er Wartburg immer hin und her.Deswegen so FSK bin ich auch ein recht offener Mensch in der Betrachtung des wiederrum gemeinen Menschen geworden denn meine Tante ging auch nur aufs Kloo aber halt, neben dem Kloo stand eine weiß emalierte Gusswanne und diese hatten meine Eltern nicht, das war der kleine aber feine Unterschied zum Kapitalismus im Osten.Und eben das Auto, ein Luxus für den gemeinen Mann um diese Zeit aber die Tante war ja dadurch nichts Besseres, sie war ja auch nur früher geboren wie ich noch vor dem ersten Weltkrieg besaß also auch die Gnade der frühen Geburt, war somit frei von allen Belastungen außer den Genossen natürlich die aber wiederum auch nur Menschen waren.

Dann kam einmal in der Woche in ihre feine Wohngegend nahe Grimma bei Leipzig der Bierkutscher und der lud eine Kiste Vita Cola und eine Kiste Bier ab, auch das konnten sich meine Eltern Ende der 50er Jahre noch nicht leisten und natürlich muss ich mir heute die Kisten selber besorgen aus dem Supermarkt, also ich habe diese frühkindliche Verwöhnphase etwas verändert auf selber besorgen was auch wirklich gut für die Gesundheit ist.

Aber ich schweife ab denn jetzt kommt die Erziehung und ich sage dir FSK, da rutschte meiner Mutter schon öfters die Hand aus aus was für Gründen auch immer denn sie war jung, ich war noch jünger und so junge Frauen und ihre Männer und vielleicht gabs da Eheprobleme keine Ahnung denn ich war ja ein Kind von sechs Jahren und registrierte das noch nicht so.
Nun zu den Werten ja was wurde mir denn da vermittelt so als sechsjähriger Lausbub....ich glaube die Ordnung wars..."Stell deine Schuhe ordentlich hin, kämm deine Haare, putz deine Zähne, sitz gerade Rainer, in welche Hand gehören das Messer und die Gabel, trink nicht soviel Cola und bei der Tante musste ich immer fragen...darf ich aufstehen nach dem Mittagstisch "oh die war auch streng aber gütig.

Nun zu den Forderungen mit meinen sechs Jahren, also ich forderte schon...die Freunde heraus zu irgendwelchem Blödsinn, und wenn wir Äpfel geklaut haben beim Nachbarn der Tante und die Kirschen gleich mit wenn der eigene Kirschbaum schon leergefressen war und somit prägte sich dieses Fordern bis in meine späteren Jahre im Sozialismus, ich kanns wahrlich nicht leugnen und erfolgreich war ich wohl, ich kleiner Wicht... lass also leuchten auch ein wenig mein Licht

Genug von den schönen Geschichten mit der ...wars jetzt die frühe oder spätere Geburt?

Rainer-Maria und allen einen guten Tag, ihr irgendwann Geborenen ins Forum
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Re: Zusammenwachsen durch: einfach mal die Rollen tauschen!

Beitragvon FSK-Veteran » 6. März 2012, 15:32

Edelknabe hat geschrieben:Aber ich schweife ab denn jetzt kommt die Erziehung und ich sage dir FSK, da rutschte meiner Mutter schon öfters die Hand aus aus was für Gründen auch immer denn sie war jung, ich war noch jünger und so junge Frauen und ihre Männer und vielleicht gabs da Eheprobleme keine Ahnung denn ich war ja ein Kind von sechs Jahren und registrierte das noch nicht so.


Sehr interessant gerade im Hinblick auf das Thema, wie sehr wir durch Kindheitserfahrungen in unserem Denken und Fühlen heute beeinflußt werden.

Inzwischen sind ja Schläge als Erziehungsmittel gesetzlich verboten.

Das Land Niedersachsen hat in einer Studie festgestellt, daß 80 % der Erwachsenen, die als Kinder Schläge als Erziehungsmittel erfahren haben, ebenfalls wieder zu Gewalt als Erziehungsmittel greifen.

Interessant dabei ist aber vor allem auch,
daß Kinder, bei denen die Eltern Schläge als Erziehungsmittel abgelehnt haben, zu 80% ebenfalls überhaupt nicht erst auf den Gedanken kommen, Schläge als Erziehungsmittel in Erwägung zu ziehen!

Auch hier sieht man anschaulich, wie sich unsere Kindheitserfahrungen bis in die Gegenwart im Denken und Handeln verankern.

Was Deine fehlende Erinnerung angeht, so ist das ganz normal. Ich kenne das auch. Eheprobleme und Scheidungserfahrungen werden von Kindern als schmerzhaft empfunden. Da gibt es eine Feuerwehr im Rahmen des Selbsterhaltungstriebs: das Unterbewußtsein. Emotionen und Erinnerungen werden ins Unterbewußtsein abgedrängt. Sie sind uns bewußt nicht mehr zugänglich. Dort verfestigen sich diese Erfahrungen jedoch zu Glaubenssätzen. Eine Brille, durch die wir z.B. Menschen und Beziehungsmöglichkeiten sehen und beurteilen.

Dumm nur, daß uns ein Zugriff auf das Unterbewußtsein nicht möglich ist. Noch blöder ist, daß wir in unserem Denken und Handeln zu 88% durch das Unterbewußte beeinflußt werden. Und nur zu 12 % durch unser Bewußtsein....
FSK-Veteran
 


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