Ausgereiste- und dagebliebene Bürger der DDR - Wer sind hier die Sieger? Wie Hunderttausende andere verließ Martin Ahrends einst die DDR. Hier schreibt er, wieso die Entscheidung für oder gegen das Leben im SED-Staat bis heute die Ostdeutschen teilt – und man endlich darüber reden muss In der DDR Gebliebene einerseits und aus ihr Weggegangene andererseits haben es bis heute schwer, miteinander zu reden. Zumindest über diesen Punkt, über das Gehen oder Bleiben. Musste man gehen, durfte nicht bleiben, musste man bleiben, durfte nicht gehen? Von wann an galt das, wenn es überhaupt galt? Für welche Berufsgruppen? Und war das reine Privatsache? Oder stets beides: eine private und sozusagen öffentliche Entscheidung?
Wie waren die "Seelenlagen", die soziale Psychologie des Gehens, Bleibens, des Weder-noch? Gab es so etwas wie eine innere Emigration auch in der DDR? Wie war es, sich nach dem Mauerbau wiederzufinden als Weggegangener, als Dagebliebener; wie, wenn man einander begegnete? Stand da der eine als Sieger, der andere als Verlierer, noch bevor ein Wort fiel? Fielen so wenige, so unbeholfene, so missverständliche Worte, weil das nicht mehr existierte, worüber man sich geschieden hatte? Weil diese große, oft schmerzhafte, niemals nur richtige Lebensentscheidung, zu gehen oder zu bleiben, beleidigt, ja lächerlich wurde, als die Mauer in den Staub fiel nach 28 Jahren, als ginge das so einfach, wie es an diesem Tag wirklich ging? Konnte diese Maueröffnung nicht auch als ein Hohn empfunden werden, eine Verhöhnung der Lebensentscheidungen, da doch mit dauerhaftem Bestand der Grenze gerechnet werden musste? Diejenigen, die vor dem Mauerfall blieben, und jene, die gegangen (worden) sind, stehen für zwei bislang weitgehend unvermittelte Sichten auf DDR-Geschichte. Die Sicht der Dableiber herrscht im Osten vor, nicht nur weil die Dissidenten zu DDR-Zeiten weggesperrt, abgeschoben, totgeschwiegen wurden, sondern auch aus psychologischen Gründen: Nach der Wende war es weit bequemer, mit der eigenen Biografie auch die vergangene DDR zu verteidigen, als das eigene Verhältnis zu den damaligen Verhältnissen zu klären. Die Sicht der Weggeher herrscht im Westen, nicht nur weil sie ihre Sicht hier – und nur hier – publizieren konnten, sondern ebenfalls aus psychologischen Gründen: Sie erleichtert Desinteresse. Es sind zwei Zerrbilder von DDR-Geschichte, die sich weitgehend unversöhnt gegenüberstehen, solange Weggeher und Dableiber sich nicht miteinander verständigen. Die einen wie die anderen hätten es nötig: Die Weggeher, weil niemand sie mehr hören will, weder im Osten noch im Westen. Die Dableiber, weil sie es so leicht haben, als "Verlierer der Geschichte" nicht mit sich ins Gericht gehen zu müssen.
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