„Wir waren gut behütet“ Die DDR in Sozialen Medien

Alles was in den Zeitraum nach der Wende gehört. Das Zusammenwachsen von zwei grundverschiedenen Systemen, Probleme, Erwartungen, Empfindungen usw.

„Wir waren gut behütet“ Die DDR in Sozialen Medien

Beitragvon Interessierter » 15. Juli 2020, 09:23

Nostalgische Alltagserinnerungen an die DDR standen seit den frühen1990er Jahren unter dem Verdacht der Verharmlosung der SED-Diktatur. Obwohl diese sehr einseitige Sichtweise durch die Forschung mittlerweile weitgehend entkräftet ist und ein differenzierteres Bild von Erinnerung Einzug gehalten hat, fällt noch immer eine gewisse Exotisierung ostdeutscher Erinnerungspraktiken auf. Weitet man den Blick jedoch auf nostalgische Erinnerungen in westlichen Ländern, werden trotz einiger Unterschiede Parallelen sichtbar, die auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse in Ost und West verweisen und Erklärungsmuster für ostdeutsche Alltagserinnerungen in einem anderen Licht erscheinen lassen.

Ostalgie 2.0


Soziale Medien sind kein Spiegelbild der Gesellschaft oder einer Erinnerungsgemeinschaft, können aber mitunter interessante Einblicke erlauben. Sie können als digitale Erinnerungsräume konzeptualisiert werden, so der Kommunikationswissenschaftler Manuel Menke. Erinnerungsräume, in denen Menschen kommunikative Erinnerungsgemeinschaften auf der Basis von gemeinsam geteilten lebensweltlichen Erfahrungen und gleicher emotionaler Bewertungen einer Vergangenheit bilden.

Indem sich Menschen gemeinsam nostalgisch erinnern, konstruieren sie ihre kollektive Identität.[1] Scrollt man durch die Beiträge einiger der vielen Facebookseiten mit DDR-Bezug, fällt vor allem ihre große Ähnlichkeit auf. Überall finden sich nahezu identische Bilder vom Sandmännchen, dem Trabi und einschlägigen, typisch ostdeutschen Konsumgütern.

Facebookseiten wie „Unsere DDR [sic]“ oder „Erich Honecker“ setzen sarkastisch die „Altparteien“, die „Lügenpresse“, oder auch die „Klimahysterie“ mit der Gleichschaltung und Bevormundung in der DDR gleich und erzeugen damit teils heftige Diskussionen mit viel Zustimmung und Widerspruch. Hier zeigt sich nicht nur die gegenwartsbezogene „selektive[...] Inanspruchnahme von DDR bezogenen Wissensbeständen für individuelle wie kollektive Sinnbildung.“

Ebenso wird deutlich, dass Ostalgie und Anerkennung des Diktaturgedächtnisses gut zusammen funktionieren. Die politische Unfreiheit im DDR-System wird anerkannt und sodann als Spiegel benutzt. Was sich in manchen Beiträgen auf diesen Seiten offenbart, ist eine Symbiose aus Arrangement- und Diktaturgedächtnis. Es findet eine Trennung zwischen dem Herrschaftssystem und einem positiv bewerteten, ethnisch homogenen, paternalistischen Sozialstaat in der DDR statt.


Zudem materialisiert sich dort eine Wut darüber, nicht das bekommen zu haben, was mit der Wiedervereinigung versprochen wurde: Eine quasi-idealisierte Bundesrepublik des Jahres 1989, ohne Sozialabbau, Klimawandel, sich wandelnden Geschlechterrollen oder Globalisierung. So schreiben zwei Kommentator*innen in einem vieldiskutierten Post zum Mauerfall sarkastisch: „Aber für Reisen und Bananen wurde die Sicherheit verkauft“ und „Nur wenn wir damals gewusst hätten wie es kommt wäre die Mauer besser stehen geblieben [sic].“

Angesichts der Verschmelzung der Kritik an (empfundenen) Einzel-Problemen mit einer Kritik am ganzen politischen System der Bundesrepublik könnte man in den zitierten Seiten die Reste der in DDR verbreiteten „Mecker-Kultur“ (Mary Fulbrook) sehen. Einer Kultur, in der vom Staat die Befriedigung aller Bedürfnisse erwartete wurde, weil der Staat mit dem Anspruch auftrat, alles zu regeln.[7] Diese Erwartung kollidiert mit den veränderten Spielregeln der repräsentativen Demokratie und führt zu Frustrationen. Zugleich wird daran eine noch aus DDR Zeiten tradierte Staatsskepsis gegen „die da oben“ sichtbar, die sich nun gegen die Bundesrepublik richtet.

Zudem wirken die Abgrenzungen gegenüber allem als fremd Wahrgenommenen, sei es nun „Fridays for Future“, Geflüchtete oder andere vermeintliche „Randgruppen“, noch aus einem weiteren Grund wie ein Überbleibsel der DDR-Sozialisation. Es offenbart sich hier das staatlich propagierte Streben nach maximaler Homogenität einer konstruierten Klassengemeinschaft. Gleichzeitig waren nationalistische Einstellungen verpönt und die Bevölkerung wurde von allem, was „fremd“ schien, abgeschirmt. „Dieses gesellschaftliche Klima, das ein Höchstmaß an Konformität und Konfliktfreiheit zum Normalzustand erklärte, schuf schlechte Voraussetzungen für einen toleranten Umgang mit den „Anderen“.

Weiter geht es hier:
https://zeitgeschichte-online.de/node/58117

So oder ähnlich äußern sich auch Teile der Ex - DDR - Bewohner gerne in Foren.
Interessierter
 

Re: „Wir waren gut behütet“ Die DDR in Sozialen Medien

Beitragvon OaZ » 15. Juli 2020, 10:24

Es ist ja sehr oft so, dass subjektive Erinnerungen von Zeitzeugen und objektive Zustände (wobei man fragen muss: was ist objektiv?) nicht immer konform gehen. Nicht ganz grundlos heißt es, dass der Zeitzeuge oft der größte Feind des Historikers ist.
OaZ
 
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Re: „Wir waren gut behütet“ Die DDR in Sozialen Medien

Beitragvon Interessierter » 15. Juli 2020, 13:04

Ich lese deine Zeitzeugenberichte sehr gerne. Du hast es so erlebt und es ist deine Sichtweise. Ein Feind der Historiker bist du für mich deswegen jedoch nicht.
Diese Aussage mit Bezug auf Historiker habe ich größtenteils von Menschen gelesen, die ihre eigene " Pro DDR - Sichtweise " auch heute noch nicht abgelegt haben und ihre eigene ebenfalls subjektive Sichtweise gerne als die Richtige anpreisen.

Außerdem bezweifel ich, dass alle Historiker auch tatsächlich und vollständig objektiv berichten.

[hallo]
Interessierter
 

Re: „Wir waren gut behütet“ Die DDR in Sozialen Medien

Beitragvon Volker Zottmann » 15. Juli 2020, 20:32

OaZ hat geschrieben:Es ist ja sehr oft so, dass subjektive Erinnerungen von Zeitzeugen und objektive Zustände (wobei man fragen muss: was ist objektiv?) nicht immer konform gehen. Nicht ganz grundlos heißt es, dass der Zeitzeuge oft der größte Feind des Historikers ist.


Der Zeitzeuge war aber trotz möglicher Irrtümer immer dichter dran und ist für mich daher der interessantere Part. Wobei sich beide auch prächtig ergänzen können.

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: „Wir waren gut behütet“ Die DDR in Sozialen Medien

Beitragvon OaZ » 15. Juli 2020, 20:38

"Interessant" und "historisch" sind unterschiedliche Kategorien.
OaZ
 
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Re: „Wir waren gut behütet“ Die DDR in Sozialen Medien

Beitragvon Volker Zottmann » 15. Juli 2020, 20:42

OaZ hat geschrieben:"Interessant" und "historisch" sind unterschiedliche Kategorien.

Interessanter, weil er von Selbsterlebtem spricht und nicht von Gehörtem oder Erlesenem. So meine ich das.
Erst beim Nachplappern schleichen sich massive Fehler in Betrachtungen, so meine Erfahrung.

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: „Wir waren gut behütet“ Die DDR in Sozialen Medien

Beitragvon Beethoven » 20. Juli 2020, 06:35

Volker Zottmann hat geschrieben:Erst beim Nachplappern schleichen sich massive Fehler in Betrachtungen, so meine Erfahrung.
Gruß Volker


Ha. Wie wahr, wie wahr, lieber Volker.
Wenn ich da an Deine vielen Bekannten denke, die da sonst was erlebt haben und Du uns deren Erlebnisse hier berichtest, bin ich von Deiner Aussage, regelrecht berührt.
Weiter so.

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