Pervertierung der AufklärungDie Wahrheit derer, die „Lügenpresse“ und „Fake News“ rufen, folgt einer anderen Definition. Es ist die einer autoritär gesetzten Wahrheit.Worum geht es eigentlich bei Fake News? Worum geht es bei den „Lügenpresse“-Rufen? Man sollte da etwas ganz Simples festhalten: Bei Fake News geht es nicht einfach um Inhalte, die nachweislich falsch sind. Die Leute, die an Fake News glauben, meinen ja nicht, sie würden an Fake News glauben. Sie meinen nicht, dass sie von Lügen oder von gezielter Desinformation überzeugt seien.
In ihrer Innenperspektive glauben sie an Wahrheiten. An alternative Wahrheiten. An andere Wahrheiten also als jene des sogenannten „Mainstreams“. Das aber heißt: Wahrheiten, die aus anderen Quellen stammen. Anders gesagt: Leute, die an Fake News glauben, glauben nicht einfach an andere Inhalte – sondern sie vertrauen andere Quellen, sie glauben an andere Sprecher. Dasselbe gilt für die „Lügenpresse“-Überzeugten.
Zentral für beide Phänomen sind also die Sprecher, denen man Glauben schenkt – und im Umkehrschluss jene Sprecher, denen man nicht oder nicht mehr glaubt. Fake News und „Lügenpresse“ bedeuten also vor allem eine Verschiebung der Instanzen, denen man und an die man glaubt.Ja, es gibt eine demokratische WahrheitNehmen wir etwa die Öffentlich-Rechtlichen, die eine herausragend autorisierte Sprecherposition einnehmen, soll sich doch hier die Allgemeinheit über sich selbst verständigen. Deren Objektivitätskriterien sollen Inhalte überprüfen und Aussagen rational halten. Sie sollen also das Glaubensmoment so gering wie möglich halten – oder anders gesagt: Sie sollen den Glauben an ihre Rechtmäßigkeit genau dadurch befestigen. Durchstreichen aber lässt sich die Notwendigkeit des Glaubens auch hier nicht.
Fake News und mehr noch der „Lügenpresse“-Ruf stören dieses heikle Gleichgewicht. Sie rütteln an den Grundlagen der demokratischen Öffentlichkeit. Sie untergraben die Sprecherpositionen. Und zugleich untergraben sie den demokratischen Wahrheitsbegriff. Ja, es gibt eine demokratische Wahrheit. Diese ist nicht inhaltlich bestimmt, sondern durch eine ganze Reihe von Maßnahmen – etwa das Unterscheiden zwischen Meinungen und Fakten oder die Möglichkeit von Rede und Gegenrede. Ein ganzes Set an Vorkehrungen, um das Verabsolutieren der je eigenen Meinung zu verhindern.
Die Wahrheit der „Lügenpresse“-Rufer folgt jedoch einem anderen Wahrheitsbegriff – einer autoritär gesetzten Wahrheit. Diese behauptet sich als Tabubruch, ermächtigt sich aus dem Einspruch gegen den öffentlichen Diskurs, dessen Autorisierung sie als autoritär diffamiert. Eine unglaubliche Verkehrung. Und eine Verkehrung in der das Pendant, die sogenannte „Wahrheitspresse“ auf die sie sich berufen, nicht das Andere der Aufklärung ist – sondern zur Pervertierung der Aufklärung wird.http://www.taz.de/Kolumne-Knapp-ueberm- ... /!5534747/