Opfer oder Taeter ?

Alles was in den Zeitraum nach der Wende gehört. Das Zusammenwachsen von zwei grundverschiedenen Systemen, Probleme, Erwartungen, Empfindungen usw.

Opfer oder Taeter ?

Beitragvon Berliner » 27. September 2010, 04:26

Hallo Merkur,

Merkur hat geschrieben:Eine "Verjährung" der IM-Tätigkeit wird es unter den derzeitigen politischen Verhältnissen nicht geben, da dann ein wichtiges Instrument zur Paralysierung politisch Missliebiger oder anderer Konkurrenten verloren gehen würde. Man würde eine bewährte "Waffe" ohne Not aus der Hand geben, die man in den letzten Jahren gern und erfolgreich einsetzte, wenn es irgendwo Ansätze in Richtung Tätigkeit für das MfS oder das AG I der K gab.


wuerde es Dir etwas ausmachen, ein paar konkrete Faelle zu nennen, wo DMn Personen wegen einer fruehren IM-Taetigkeit ungerechterweise behandelt wurden ?

Ich befasse mich erst jetzt mit diesem Thema. Turtle, falls sich das Thema entwickelt, mache ich daraus einen neuen Thread.

Danke, [hallo]
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Re: Opfer die auch Täter waren

Beitragvon Merkur » 27. September 2010, 16:37

Berliner,

solche Beispiele gibt es doch eine ganze Menge. Ich nenne mal ein paar
1. Eine Lehrerin durfte nicht mehr Lehrerin sein, weil sie dem MfS ihre Anschrift als Deckadresse zur Verfügung stellte und folglich IMK/DA war.
2. Ein Polizist durfte nicht mehr Polizist sein, weil er sein ABV-Dienstzimmer dem MfS für Treffs mit IM zur Verfügung stellte und damit IMK/KW war.
3. Ein Hochschuldozent durfte nicht mehr an der Universität lehren, weil er eine Quelle der HV A im Operationsgebiet betreute und als Instrukteur für diese Quelle tätig war.
4. Ein Angestellter durfte beim Wasserstraßenamt nicht mehr tätig sein, weil er als IM der HA I bei der Volksmarine tätig war und über eventuell geplante Fahnenfluchten auf See berichten sollte und zur Stimmung innerhalb der Besatzung berichtet hat.
5. Ein ehemaliger Angehöriger der Grenztruppen (Berufssoldat) durfte nach 1990 nicht im öffentlichen Dienst tätig sein, weil er als IM Personeneinschätzungen von Grenzern lieferte und mit dem Abwehroffizier die Zusammensetzung bestimmter Postenpaare abstimmte.
6. Ein Angestellter der Justiz durfte als solcher nicht mehr tätig sein, weil er als IM im Anwohnerbereich zur Sicherung eines militärischen Objektes eingesetzt war (Militärspionageabwehr).
7. Ein ehemaliger Angehöriger der NVA wurde aus der Bundeswehr entlassen, weil er als IMS für die Sicherheit in einem Munitionslager verantwortlich war und über Missstände bei der Bewachung und im Sicherungssystem seinem Führungsoffizier von der HA I berichtete.
8. Im Rahmen des IREX-Programmes weilte ein Wissenschaftler einer DDR Universität in den USA und wurde nachrichtendienstlich angesprochen. Er meldete dies bei Rückkehr dem MfS und wurde IM. Später durfte er aufgrund der IM-Tätigkeit nicht mehr an der Uni tätig sein.
Selbstverständlich muss jeder seine individuelle Sicht bzw. Meinung haben und schreiben. Quelle: Augenzeuge.
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Re: Opfer die auch Täter waren

Beitragvon SkinnyTrucky » 27. September 2010, 21:03

Vielleicht ist auswandern eine Option für so geschasste Menschen..... [denken]

....ich mein ja nur....

Mara, 'ne Ausgewanderte, die sich jetzt auch denkt, das se selbst mir an's Bein hätten pinkeln können wegen der blöden Aktion der Stasi damals, wenn ich das alles so höre....
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Re: Opfer oder Taeter ?

Beitragvon Berliner » 28. September 2010, 04:24

diese Beitraege wurden von turtles Thema abgetrennt.

Waren die IMs Opfer der "Siegerjustiz", oder stellen die von Merkur genannten Faellen eine Ungerechtigkeit dar ? Wer ist Taeter und wer ist Opfer ?

Berliner [hallo]
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Re: Opfer oder Taeter ?

Beitragvon Luchs » 28. September 2010, 11:54

Der Begriff "Siegerjustiz" im Zusammenhang mit der deutschen Einheit nicht angebracht. Zu einem Sieg gehört in jedem Fall ein (Wett-) Kampf. Die DDR wurde von ihrer unfähigen, veralteten und dogmatischen Regierung zerstört. Das eigene Volk hat diese Regierung abgestraft. Was mit der DDR passiert wäre, wenn es nicht zu einer Wiedervereinigung beider deutscher Staaten gekommen wäre, wäre mir zu spekulativ. Die deutsche Einheit jedoch ist eine gute Lösung gewesen. Kein Sieg.

Wer wegen seines Tuns verurteilt wurde, ist also kein Opfer von Siegerjustiz. Jeder hat seine Fehler zu selbst verantworten. Ich meine, dass derjenige, der das als Siegerjustiz ansieht, die Ungerechtigkeiten, die in der DDR passierten, nicht erkennen will. Er (oder sie) geht in seiner Selbstbedauerung auf.
Viele Grüße [hallo]
Micha
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Re: Opfer oder Taeter ?

Beitragvon augenzeuge » 28. September 2010, 15:17

Micha, hast du super beschrieben. Genauso ist es!

Jörg [hallo]
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Re: Opfer oder Taeter ?

Beitragvon karl143 » 28. September 2010, 16:59

Der Begriff "Siegerjustiz" ist negativ behaftet. Er trat zum ersten Mal nach dem zweiten Weltkrieg in Erscheinung. Und zwar bei den Nürnberger Prozessen.
Dort ging es meiner Meinung nach aber auch fair zu. Der russische Anklagevertreter wollte diese Art des Proszesse nicht haben. Es setzten sich aber die Anklagevertreter der USA und Großbritanniens durch und der Prozess wurde nach Normen der angelsächsischen Gerichtsbarkeit abgehalten. Und in allen Prozessen welche nach dem Beitritt stattfanden, kann nun wirklich keiner behaupten, dort wären Urteile wie bei einer Siegerjustiz gesprochen worden. Dann hätten die Mauerschützenprozesse oder die Verhandlung über die Tötung von M. Gartenschläger anders ausgehen müssen. Wer also diesen Begriff verwendet, entlarvt sich selber.
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Re: Opfer die auch Täter waren

Beitragvon S51 » 29. September 2010, 04:12

SkinnyTrucky hat geschrieben:Vielleicht ist auswandern eine Option für so geschasste Menschen..... [denken]

....ich mein ja nur....

Mara, 'ne Ausgewanderte, die sich jetzt auch denkt, das se selbst mir an's Bein hätten pinkeln können wegen der blöden Aktion der Stasi damals, wenn ich das alles so höre....


Noch während ich bei der Berliner Polizei grundfriedliche und lediglich einkommensbewußte Mitbürger unserer Gesellschaft jagte kam kurz nach dem Hinweis auf die baldige Endlichkeit dieser Tätigkeit ein Angebot. Die "Legion" schlug mir vor, doch ein bischen mehr als nur den Arbeitgeber zu wechseln. Ich hätte nach der Ausbildung gleich die Sergentenlaufbahn einschlagen können. Doch waren mir die angebotenen 2100 DM Anfangssold damals zu wenig.
Dann kam meine Tochter und damit hatte sich diese Option erledigt. Obwohl ich zugebe, mich in den Jahren danach so manches Mal gefragt zu haben, ob eine andere Entscheidung und damit ein kompletter Neuanfang nicht sinnvoller gewesen wäre.
Inzwischen habe ich aber auch gemerkt, dass zwar für mich im Prinzip der Zug abgefahren ist aber die Generation nach mir von der Geschichte zu provitieren scheint. Indem sich Türen auftun, die Menschen ohne Hintergrund wie Mauern vorkommen.
S51
 

Re: Opfer oder Taeter ?

Beitragvon SkinnyTrucky » 29. September 2010, 07:37

S51....gut das du es nicht getan hast....die Leute, die ich kennengelernt habe, die mal bei der Legion waren, haben alle ein an der Klatsche.....

.....aber ich bin mir sicher, das es für wenige vielleicht sinnvoll sein kann, irgendwo ausserhalb Deutschlands einen Neustart zu versuchen....muß ja nich gleich die Legion sein....

.....aber naja, jetzt ist es schon alles solange her....der Tipp kommt sicher jetzt auch viel zu spät.....

groetjes uit Heerlen

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Re: Opfer oder Taeter ?

Beitragvon Merkur » 29. September 2010, 17:19

Berliner hat geschrieben: Ich befasse mich erst jetzt mit diesem Thema.
Berliner


Und hast Du nun eine klarere Vorstellung von der IM-Tätigkeit ?
Ich möchte nicht wissen, wie viele der aufrechten Demokraten, die heute klug reden und nicht in der DDR gelebt haben, sich bei einer Ansprache durch das MfS zur Zusammenarbeit verpflichtet hätten.
Ach Quatsch, wie komme ich darauf ? Nätürlich hätten alle aufrechten Demokraten eine Werbung kategorisch abgelehnt und dem operativen Mitarbeiter erklärt: Also nein für ihre demokratisch nicht legitimierte Unterdrückungsbehörde in diesem Unrechtsstaat, die hunderttausende freiheitsliebende Menschen auf perfide Weise unterdrückt und bespitzelt, die tausende Unschuldige in Kerkern und Wasserzellen inhaftiert und für ein System, dass an der Grenze auf Menschen wie auf Hasen schießt, kommt eine Zusammenarbeit nicht infrage. Also nein, so etwas verstößt ja gegen jegliche ethisch-moralischen Grundsätze.
Also nein Genosse ich sehe mich nicht in der Lage, ihnen über die Missstände im Kombinat XY, die zu einer folgenschweren Havarie führten zu berichten....
Selbstverständlich muss jeder seine individuelle Sicht bzw. Meinung haben und schreiben. Quelle: Augenzeuge.
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Re: Opfer oder Taeter ?

Beitragvon Berliner » 30. September 2010, 04:43

Hallo Merkur, vielen Dank. [rose]

wenn Du es mir erlaubst, versuche ich die Faelle einzuordnen.

Merkur hat geschrieben:1. Eine Lehrerin durfte nicht mehr Lehrerin sein, weil sie dem MfS ihre Anschrift als Deckadresse zur Verfügung stellte und folglich IMK/DA war.
2. Ein Polizist durfte nicht mehr Polizist sein, weil er sein ABV-Dienstzimmer dem MfS für Treffs mit IM zur Verfügung stellte und damit IMK/KW war.


die beiden scheinen mir nur "pflichtbewusste DDR-Buerger" zu sein, die fuer eine kleine Taetigkeit vom MfS ausgewaehlt wurden. "Nein" zu sagen waere nicht normal bzw. einfach gewesen, oder ?

Merkur hat geschrieben:3. Ein Hochschuldozent durfte nicht mehr an der Universität lehren, weil er eine Quelle der HV A im Operationsgebiet betreute und als Instrukteur für diese Quelle tätig war.
6. Ein Angestellter der Justiz durfte als solcher nicht mehr tätig sein, weil er als IM im Anwohnerbereich zur Sicherung eines militärischen Objektes eingesetzt war (Militärspionageabwehr).
7. Ein ehemaliger Angehöriger der NVA wurde aus der Bundeswehr entlassen, weil er als IMS für die Sicherheit in einem Munitionslager verantwortlich war und über Missstände bei der Bewachung und im Sicherungssystem seinem Führungsoffizier von der HA I berichtete.
8. Im Rahmen des IREX-Programmes weilte ein Wissenschaftler einer DDR Universität in den USA und wurde nachrichtendienstlich angesprochen. Er meldete dies bei Rückkehr dem MfS und wurde IM. Später durfte er aufgrund der IM-Tätigkeit nicht mehr an der Uni tätig sein.


die Faelle haben mMn mit Spionage zu tun, was mit einer IM-Taetigkeit weniger zu tun hat, oder ?

Merkur hat geschrieben:4. Ein Angestellter durfte beim Wasserstraßenamt nicht mehr tätig sein, weil er als IM der HA I bei der Volksmarine tätig war und über eventuell geplante Fahnenfluchten auf See berichten sollte und zur Stimmung innerhalb der Besatzung berichtet hat.
5. Ein ehemaliger Angehöriger der Grenztruppen (Berufssoldat) durfte nach 1990 nicht im öffentlichen Dienst tätig sein, weil er als IM Personeneinschätzungen von Grenzern lieferte und mit dem Abwehroffizier die Zusammensetzung bestimmter Postenpaare abstimmte.


hier wird es schon schwer. Im Grunde geht es darum ein Vertrauensverhaeltnis auszunuetzen, um moegliche "staatsfeindliche" Handlungen zu unterdruecken. Finde ich nicht i.O..

ABV hat geschrieben:Die gesamte Persönlichkeit wird einzig und allein auf den "IM" reduziert.


wenn das so ist, wird es sein wir Merkur und Karl sagen, ein politisches Instrument.

ABV hat geschrieben:Ich meine wenn jemand noch immer nichts aus seiner Vergangenheit gelernt hat, wird ihn ohnehin kein vernünftiger Mensch in ein verantwortungsvolles Amt wählen. [wink] [wink]


stimmt... [grins]

Merkur hat geschrieben:Ich möchte nicht wissen, wie viele der aufrechten Demokraten, die heute klug reden und nicht in der DDR gelebt haben, sich bei einer Ansprache durch das MfS zur Zusammenarbeit verpflichtet hätten.
Ach Quatsch, wie komme ich darauf ? Nätürlich hätten alle aufrechten Demokraten eine Werbung kategorisch abgelehnt und dem operativen Mitarbeiter erklärt: Also nein für ihre demokratisch nicht legitimierte Unterdrückungsbehörde in diesem Unrechtsstaat, die hunderttausende freiheitsliebende Menschen auf perfide Weise unterdrückt und bespitzelt, die tausende Unschuldige in Kerkern und Wasserzellen inhaftiert und für ein System, dass an der Grenze auf Menschen wie auf Hasen schießt, kommt eine Zusammenarbeit nicht infrage. Also nein, so etwas verstößt ja gegen jegliche ethisch-moralischen Grundsätze.


ich kann Deine Frustration verstehen. Die heutigen Demokraten haetten bestimmt genauso wie die damaligen DDR-Buerger gehandelt. "People are people..."

In meiner Jugend hoerte ich am Samstagabend immer Garrison Keillor im National Public Radio, der immer gute Geschichten ueber den einfachen Mann erzaehlte. Eine dieser Geschichten endete in dem Spruch, "wenn Du nicht nach Minneapolis wolltest, wieso bist Du in den Zug gestiegen ?"

Meiner Meinung nach gibt es nur diese eine Moeglichkeit. Wenn wir die Fehler dieses Systems nicht wiederholen wollen, muessen wir schauen, dass es gar nicht erst dazukommt.

Berliner [hallo]
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Re: Opfer oder Taeter ?

Beitragvon turtle » 30. September 2010, 08:57

Es ist nicht immer einfach mit dem was wir als Schuld bezeichnen umzugehen.
Besonders was uns alles nach der Wende über die Stasi berichtet wurde. Wenn wir IM hören verbinden wir das sofort mit Denunziation und Verrat. Da diese beiden Eigenschaften bereits einen sehr negativen Ruf haben hat der IM logisch überwiegend keine Lobby. Der Beitrag von ABV dazu hat mir gefallen. Wer klar gegen Menschlichkeit oder Rechtstaatlichkeit verstoßen hat darf keine Vorteile daraus beziehen. Allein das er einmal eventuell unter großem Druck seine Unterschrift gab aber nachweislich niemand persönlich geschadet hat sollte nicht ausreichen ihm auf ewig zu bestrafen. Wie Uwe schon schrieb wir lernen auch aus Fehlern und ändern unsere Einstellung oder Ansichten. . Wie viele hatten vor 45 Schuld auf sich geladen und waren nach 45 in Amt und würden? Garantiert war bei vielen die Schuld höher als bei manchem IM. Ich habe keinen Groll mehr zu dem IM der Helfer der Grenztruppen war und mich verraten hat. Vielleicht dachte er wirklich er handelt richtig.
Damals hätte ich ihm am liebsten…………………! Ich versuche heute einiges positiver zu sehen immerhin wurde ich damals nur verhaftet und wurde nicht erschossen. Es war halt nicht der richtige Ort und Zeitpunkt zur Flucht. Das kam später !!
Gruß Peter(turtle)
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Re: Opfer oder Taeter ?

Beitragvon SkinnyTrucky » 30. September 2010, 09:18

Die Zeit zwischen dem mündlichen Ja zu dem Stasimitarbeiter, der mich in der Zelle besuchte in Rostock als ich dort im Arrest saß und dem letzten Tag bei der NVA in Rövershagen plagten mich gewaltige Gewissensbisse....an just diesem letzten Tag saß ich mit zwei meiner vertrautesten Kameraden bei einer Flasche Goldbrand zusammen und beichtete ihnen die gesammte Geschichte, wie sich das MfS halt eingeschaltet hat und wie se mich *geworben* haben....

....ich hätt's niemals gekonnt, andere anzuschwärzen und habe in diesem Moment halt nur an mich gedacht in der Hoffnung, das der Spuk sowieso nich mehr lang dauert.....was ja dann auch prima aufgegangen ist....zum Glück hab ich meine Akte, in der wirklich gut hervorgeht, das ich unter Druck gesetzt wurde....auch geht sehr gut daraus hervor, das man bei mir garnichmal so sicher war, mich wirklich als IM verwenden zu können....

....im Übrigen, IM war ich noch lange nicht, es wurde jegendlich ein IM-Vorlauf angelegt....ich bin heilfroh, das ich dem Ganzen noch von der Schippe springen konnte bevor es richtig los gehen sollte....

groetjes uit Heerlen

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Re: Opfer oder Taeter ?

Beitragvon Merkur » 30. September 2010, 16:35

Berliner hat geschrieben: die Faelle haben mMn mit Spionage zu tun, was mit einer IM-Taetigkeit weniger zu tun hat, oder ?


Das siehst Du falsch. Es gab eine ganze Reihe verschiedener Kategorien von IM.
Selbstverständlich muss jeder seine individuelle Sicht bzw. Meinung haben und schreiben. Quelle: Augenzeuge.
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Re: Opfer oder Taeter ?

Beitragvon Merkur » 30. September 2010, 16:37

Berliner hat geschrieben: hier wird es schon schwer. Im Grunde geht es darum ein Vertrauensverhaeltnis auszunuetzen, um moegliche "staatsfeindliche" Handlungen zu unterdruecken. Finde ich nicht i.O..


Das würde bedeuten, dass die DDR kein Recht hatte, sich vorbeugend gegen mögliche Staatsverbrechen zu sichern ?
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Re: Opfer oder Taeter ?

Beitragvon manudave » 30. September 2010, 19:13

Das Problem war eher die Einordnung, was ein solches Verbrechen war. [hallo]
Wer für alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein!
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Re: Opfer oder Taeter ?

Beitragvon turtle » 30. September 2010, 22:40

Von Uwe,
Wir haben jetzt die Chance aus all den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, damit so etwas nicht mehr vorkommt.

Schön wäre es Uwe. Wie schrieb unser Dichterfürst: Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube;

Noch kurz zum Thema. Unter was wollen wir eigentlich sogenannte Polizeispitzel,eingeschleuste Undercover Mitarbeiter ,Informanten ,etc.einstufen? Was unterscheidet die vom IM?
Mara hat es so schön geschrieben wie schnell jemand auf die Liste der IM,s kommen konnte. Da sollte man doch lieber jeden Fall einzeln überprüfen.Nach den Umständen wie es dazu kam,oder wie hoch die Schuld des Einzelnen war müsste einer genaueren Überprüfung wert sein. Eine Pauschale Verurteilung ist nicht der richtige Weg. Nicht jeder war stark genug nein zu sagen.
Gruß Peter(turtle)
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Re: Opfer oder Taeter ?

Beitragvon Bushmaster » 1. Oktober 2010, 07:18

turtle hat geschrieben:Unter was wollen wir eigentlich sogenannte Polizeispitzel,eingeschleuste Undercover Mitarbeiter ,Informanten ,etc.einstufen? Was unterscheidet die vom IM?


Der Unterschied ist, dass Undercover Mitarbeiter üblicherweise dort eingesetzt werden, wo zumindest bereits ein begründeter Anfangsverdacht einer konkreten Straftat besteht.
IM's wurden jedoch auch ganz unbegründet in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens installiert, ohne dass auch nur ansatzweise strafbare Handlungen oder Vorbereitungen dazu zu erkennen waren. Ich spreche nicht von oppositionellen Gruppen oder sonst wie politisch Verfolgten. Ich spreche von Betrieben, Schulen, Vereinen, Grenz- und NVA-Kompanien - Gruppen die nie und nimmer Anlass zu einer Überwachung boten.

Die hier gebrachten Argumente bezüglich des Anwerbenlassens und des gegebenenfalls toleranten Umgangs mit IM's kann ich überwiegend nachvollziehen.
Aber ich halte es für genauso legitim, dass ein Arbeitgeber sich gegen einen ehemaligen IM entscheidet, wenn er kein Vertrauensverhältnis zu diesem Menschen herstellen kann. Und ich würde es für sehr charakterstark und ganz nebenbei normal halten, wenn ehemalige IM's, die solche Jobs, wie von mir beschrieben (Bespitzelung gänzlich Unverdächtiger), wahr genommen haben, erkennen würden, dass sie mit diesem Fehler im Lebenslauf nach der historischen Entwicklung, die das Land genommen hat, nicht mehr wirklich geeignet sind ein öffentliches oder gar gewähltes Amt wahrzunehmen. Ich habe ganz einfach Bauchschmerzen damit, dass so einem Menschen eine so große Verantwortung übertragen wird, selbst wenn er vielleicht besser geeignet wäre...
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Re: Opfer oder Taeter ?

Beitragvon augenzeuge » 1. Oktober 2010, 07:30

Bushmaster hat geschrieben:
turtle hat geschrieben:Unter was wollen wir eigentlich sogenannte Polizeispitzel,eingeschleuste Undercover Mitarbeiter ,Informanten ,etc.einstufen? Was unterscheidet die vom IM?


Der Unterschied ist, dass Undercover Mitarbeiter üblicherweise dort eingesetzt werden, wo zumindest bereits ein begründeter Anfangsverdacht einer konkreten Straftat besteht.
IM's wurden jedoch auch ganz unbegründet in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens installiert, ohne dass auch nur ansatzweise strafbare Handlungen oder Vorbereitungen dazu zu erkennen waren. Ich spreche nicht von oppositionellen Gruppen oder sonst wie politisch Verfolgten. Ich spreche von Betrieben, Schulen, Vereinen, Grenz- und NVA-Kompanien - Gruppen die nie und nimmer Anlass zu einer Überwachung boten.

Die hier gebrachten Argumente bezüglich des Anwerbenlassens und des gegebenenfalls toleranten Umgangs mit IM's kann ich überwiegend nachvollziehen.
Aber ich halte es für genauso legitim, dass ein Arbeitgeber sich gegen einen ehemaligen IM entscheidet, wenn er kein Vertrauensverhältnis zu diesem Menschen herstellen kann. Und ich würde es für sehr charakterstark und ganz nebenbei normal halten, wenn ehemalige IM's, die solche Jobs, wie von mir beschrieben (Bespitzelung gänzlich Unverdächtiger), wahr genommen haben, erkennen würden, dass sie mit diesem Fehler im Lebenslauf nach der historischen Entwicklung, die das Land genommen hat, nicht mehr wirklich geeignet sind ein öffentliches oder gar gewähltes Amt wahrzunehmen. Ich habe ganz einfach Bauchschmerzen damit, dass so einem Menschen eine so große Verantwortung übertragen wird, selbst wenn er vielleicht besser geeignet wäre...


Bushmaster- da geh ich voll mit! Gut erklärt. [super]
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Re: Opfer oder Taeter ?

Beitragvon Merkur » 1. Oktober 2010, 10:04

Bushmaster hat geschrieben:Der Unterschied ist, dass Undercover Mitarbeiter üblicherweise dort eingesetzt werden, wo zumindest bereits ein begründeter Anfangsverdacht einer konkreten Straftat besteht.


Der begründete Anfangsverdacht ist ein schmaler Pfad. Dahinter kann vieles verborgen werden und es ist sicher kein Problem für eine entsprechende Institution, egal ob ehemals Ost oder West, diesen begründeten Anfangsverdacht zu Papier zu bringen.
Ein ganz wichtiger Aspekt, der gegen Deine Argumentation spricht ist folgender: Verdeckte Strukturen, egal ob Ost oder West, hatten/haben immer auch den Auftrag, allererste Verdachtshinweise auf Straftaten präventiv zu erarbeiten bzw. Straftaten im Ansatz zu erkennen. Der nächste Schritt ist dann, Informationen zur Erhärtung des Verdachts oder zur Entlastung bzw. zur Aufklärung beizutragen.
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Re: Opfer oder Taeter ?

Beitragvon Bushmaster » 1. Oktober 2010, 12:25

Merkur hat geschrieben: Ein ganz wichtiger Aspekt, der gegen Deine Argumentation spricht ist folgender: Verdeckte Strukturen, egal ob Ost oder West, hatten/haben immer auch den Auftrag, allererste Verdachtshinweise auf Straftaten präventiv zu erarbeiten bzw. Straftaten im Ansatz zu erkennen.


Ich bin kein Ermittlungs- oder gar Geheimdienstspezialist, also behaupte ich, dass das für die meisten westlichen Ermittlungsbehörden nicht stimmt.
Ich weiß, dass oben gemachte Aussage ein gängiges Argument beim Vergleich des MfS mit anderen Geheimdiensten ist. Ich bin mir der Ähnlichkeiten durchaus bewusst. Aber ich rede auch nicht von Geheimdiensttätigkeit im Allgemeinen sondern ganz speziell und abgegrenzt von dem Einsatz von IM's in völlig unkriminellen Umfeldern. In ganz vielen Fällen ging es eben genau nicht darum einen Anfangsverdacht zu erhärten, sondern einfach nur darum, rechtzeitig dabei zu sein, wenn irgend ein Delikt im Wachsen sein könnte. Das ist nicht nur eine völlig ergebnisoffene Ermittlung. Man kennt bei Einleitung der Ermittlung weder das Delikt noch den Täter. Dieses dann auch noch mit praktisch unausgebildeten Amateuren zu tun, deren Mitarbeit die verschiedensten Motive hatte und deren Berichtswesen in der Folge ebenfalls verschiedenste Motive hatte, halte ich für besonders pervers. Das ist Spitzeltätigkeit wie sie im Buche steht und für mich ein Verrat an dem Volk, dem die doch alle vorgegeben haben zu dienen.
Ich kenne keinen Beleg und kein Beispiel in der jüngeren oder sogar aktuellen Bundesrepublik, dass mit so einem "IM-System" vergleichbar wäre, also dem Infiltrieren per se völlig unverdächtiger Personengruppen. Das ist schon deshalb völlig abwegig, weil die meisten Motive und potenziellen Delikte, die das MfS im Auge hatten, in der Bundesrepublik gar nicht existieren bzw. nicht in das Geschäftsfeld eines Geheimdienstes fallen.
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Re: Opfer oder Taeter ?

Beitragvon Merkur » 1. Oktober 2010, 14:06

Bushmaster hat geschrieben:
Merkur hat geschrieben: Ein ganz wichtiger Aspekt, der gegen Deine Argumentation spricht ist folgender: Verdeckte Strukturen, egal ob Ost oder West, hatten/haben immer auch den Auftrag, allererste Verdachtshinweise auf Straftaten präventiv zu erarbeiten bzw. Straftaten im Ansatz zu erkennen.


Ich bin kein Ermittlungs- oder gar Geheimdienstspezialist, also behaupte ich, dass das für die meisten westlichen Ermittlungsbehörden nicht stimmt.
Ich weiß, dass oben gemachte Aussage ein gängiges Argument beim Vergleich des MfS mit anderen Geheimdiensten ist. Ich bin mir der Ähnlichkeiten durchaus bewusst. Aber ich rede auch nicht von Geheimdiensttätigkeit im Allgemeinen sondern ganz speziell und abgegrenzt von dem Einsatz von IM's in völlig unkriminellen Umfeldern. In ganz vielen Fällen ging es eben genau nicht darum einen Anfangsverdacht zu erhärten, sondern einfach nur darum, rechtzeitig dabei zu sein, wenn irgend ein Delikt im Wachsen sein könnte.


Wenn das nicht stimmt, würde es im Umkehrschluss bedeuten, dass die westlichen Ermittlungshehörden gegen latente Kriminalität/latente Straftaten nicht vorgehen konnten, weil es keinen Ansatz gab, solche Straftaten zu erkennen und zu bekämpfen. Das wäre schwach. Wie allgemein bekannt sein dürfte, gibt es in jeder Gesellschaft neben der bekannt gewordenen Kriminalität auch einen hohen Prozentsatz latent gebliebener Straftaten. Und für die sollte sich niemand interessieren ? Es fällt mir schwer, daran zu glauben.
Das mit dem "unkriminellen Umfeldern" ist ein Ansatz, über dessen Inhalt man sich mal im Detail unterhalten müsste. Was ist ein "völlig unkriminelles Umfeld", wenn ich vom Begriff kriminell im Sinne von verbrecherischer Handlung oder straffälligen Personen unter Berücksichtigung der damals geltenden Gesetzlichkeiten, insbesondere der Straftatbestände des StGB der DDR, Besonderer Teil 1 und 2 ausgehe ?
Man sollte sich auch von dem Gedanken lösen, dass das MfS ausschließlich Personen bearbeitet hat. Oft berichteten IM über Mängel und Missstände in den Kombinaten, Betrieben usw. Die Sicherung der Volkswirtschaft setzte beispielsweise auch sehr stark auf den vorbeugenden Aspekt der Verhinderung von Havarien, Betriebsstörungen und dergleichen. Viele IM setzten in dieser Frage auf das MfS, weil die Verantwortlichen in der Volkswirtschaft auf entsprechende Hinweise nicht reagierten. M. E. war es gerade dort (in diesem "unkriminellen Umfeld" ?) wichtig, "rechtzeitig dabei zu sein", um schlimmeres zu verhindern.
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