Dazu passend auch dieser Beitrag aus dem Jahre 2009.
Der böse Glanz der „kommoden Diktatur“
Viele Menschen scheinen das Leben in der DDR-Diktatur in einem verklärten Licht zu erinnern. Doch damit belügen sie nicht nur sich selbst, sondern tun auch den Regimeopfern Unrecht. Kein Tag im deutschen Fernsehen ohne Adolf Hitler auf mindestens zwei bis drei Kanälen. Kein Tag auch ohne Fahnen, Nazi-Aufmärsche, Parteitagsästhetik. Kein Tag, an dem die Bild und Filmauswahl nicht suggerierte, das Dritte Reich müsse eine bis in den letzten Alltagswinkel, bis in jede Faser durchorganisierte pausenlose Gewaltorgie gewesen sein. Das hat, über die Jahre hinweg, eine ganz absurde Vorstellung vom Alltag in der Diktatur entstehen lassen: permanenter Ausnahmezustand, keine Spur von Normalität.
Selbst die schlimmste Diktatur hat ihren AlltagSoeben hat Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering, der aus dem Westen kommt, mit der Äußerung Aufsehen erregt, man könne die DDR nicht pauschal einen Unrechtsstaat nennen. Er begründete das – wie schon so viele vor ihm – mit allerlei sozialen Einrichtungen der DDR – von der Poliklinik bis zur Kindererziehung. Und dann wartet er mit einer Platitude auf, die man einem Ministerpräsidenten kaum zutraut: „In der DDR lebten Millionen Menschen, die unter schwierigen Bedingungen viel Gutes geleistet haben.“ Wie könnte es anders sein?
Schlimm ist aber, dass Sellering offenbar der Meinung ist, damit auch etwas halbwegs Positives über den Staat DDR gesagt zu haben. Es ist und war immer so: Unter jedweden Verhältnissen versuchen Menschen, über die Runden zu kommen, arrangieren mal mehr, mal weniger, versuchen anständig zu bleiben oder nicht. Das festzustellen, ist eine pure Banalität, und wer es feststellt, der hat vom Alltag in Diktaturen keiner Ahnung. Selbst die schlimmste Diktatur besteht nicht nur aus Gewalt.Das diktatorische in der DDR wird zu schnell in den Hintergrund gedrängtDer Sinn dessen, was Sellering sagt, ist jedoch noch ein anderer: Indem er alltägliche Leistungen in Anschlag bringt, lässt er ein mildes Licht auf den Staat fallen. Wenn soviel Tapferkeit und Durchhaltekraft ihn ihm möglich war, dann kann dieser Staat so schlecht doch auch wieder nicht gewesen sein. Mit Argumenten wie diesen wird das Dikatorische an der DDR in den Hintergrund gedrängt, relativiert oder allenfalls zur etwas hässlichen Marotte gemindert. Wer sein Leben in der DDR als vor allem bedrückend erfahren hat, gilt dann schnell als Sonderling, der immer nur auf einem Thema, dem Totalitarismus, herumreitet und die wunderbare Vielfalt dieses Staates verkennt.
Das ist dann wirklich Verharmlosung. Denn es gerät der simple Umstand in Vergessenheit, dass die DDR tatsächlich durch und durch ein Unrechtsstaat war. Ein Staat, der sich skrupellos das Recht nahm, seinen Bürgern die elementarsten Rechte vorzuenthalten. Und ein Staat nicht zuletzt, der in seiner vollkommenen Vermurkstheit seine Bürger auf entwürdigende Weise gezwungen hat, sich unter Mühen um die alltäglichsten Dinge zu schlagen. Die DDR hat ihre Bürger im Käfig der Notwendigkeit eingesperrt und Millionen Menschen brachial gehindert, das Leben zu führen, das sie führen wollten. Keine Diktatur? Kein Unrechtsstaat?Der Konsens über das in der DDR geschehene Unrecht schwindetEs ist schon seltsam: Je näher das Datum rückt, an dem vor 20 Jahren mit dem Fall der Mauer das Ende der DDR besiegelt war, desto lauter werden die Stimmen derer, die der DDR ihr kleines Recht zurückgeben wollen und ihr den Charme einer „kommoden Diktatur“ anhängen. War der Konsens darüber, dass das Ende der DDR ein Glück sei, vor 15 Jahren noch vergleichsweise groß, so schwindet er nun. Obwohl noch so viele leben, die das Elend der DDR bezeugen können, fallen Strahlen milden Lichts auf sie.
Je weiter sie in die Ferne der Vergangenheit rückt, als desto harmloser gilt sie.Ohne die Konfrontation mit der Vergangenheit ist ihre Überwindung unmöglichDer Umgang mit dem Nationalsozialismus hat den umgekehrten Verlauf genommen. War es im ersten Jahrzehnt nach dem Ende des Deutschen Reiches noch üblich, dass verharmlosend, manchmal sogar verklärend über diese „große Zeit“ gesprochen wurde, begann sich seit den 60er-Jahren kontinuierlich und unumkehrbar zu ändern. Je weiter die NS-Erfahrung in die Ferne der Vergangenheit rückte, desto intensiver und nachhaltiger wurde sie vergegenwärtigt. Und es sieht ganz so aus, als sei dieser Prozess noch lange nicht abgeschlossen. Auch wenn die letzten Zeitzeugen gestorben sein werden, wird die Konfrontation mit dieser Vergangenheit kein Ende nehmen. Wie kommt das? Es liegt vermutlich daran, dass der Sozialismus seinen Charme einfach nicht verlieren will. Eine Ergebnisse mögen noch so niederschmetternd sein, er mag noch so viel Millionen Menschen den Tod oder ein enteignetes Leben gebracht haben – die Idee gilt immer noch als gut, zumindest als ehren- und eines Versuches wert.
Die Idee verdrängt mit unverminderter Kraft die Wirklichkeit.
https://www.welt.de/debatte/kommentare/ ... tatur.htmlDer Inhalt dieses Beitrages hat auch besonders heute noch gültig, wie man nach dem Lesen mancher Beiträge hier im Forum, leider feststellen muss.