Das kollektive Vergessen in Ostdeutschland

Alles was in den Zeitraum nach der Wende gehört. Das Zusammenwachsen von zwei grundverschiedenen Systemen, Probleme, Erwartungen, Empfindungen usw.

Das kollektive Vergessen in Ostdeutschland

Beitragvon Interessierter » 27. April 2017, 11:51

Ein " Offener Brief " von Hubert von Brunn im Oktober 2016

Liebe Landsleute in Ostdeutschand,

der Eindruck, den Dresden mit den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober in Deutschland, in Europa und auf der ganzen Welt hinterlassen hat, ist kein guter. Vielmehr ist es außerordentlich beschämend, dass aus dieser Stadt der Kultur und er schönen Künste, der Stadt, der durch britische Bomben in den letzten Kriegstagen so unendlich viel Leid zugefügt wurde, der Stadt, die trotz Zerstörung und DDR-Diktatur nach der Wende zu neuer Blüte gelangt ist – dass ausgerechnet von dieser Stadt aus nun wieder das Bild des “hässlichen Deutschen” in die Welt gesendet wird. Warum lasst Ihr anständigen, wohlmeinenden und gutwilligen Dresdner zu, dass ein paar hundert verblödete Dumpfbacken mit ihren widerlichen Auftritten die Stadt, Sachsen und letztlich ganz Ostdeutschland in Verruf bringen?

Damals, als es darum ging, die verlogene SED-Führungskaste des Politbüros hinwegzufegen und der maroden DDR mit Euren friedlichen Montagsdemonstrationen das verdiente Ende zu bereiten – da wart Ihr alle sehr mutig in Leipzig, in Ost-Berlin, in Dresden und in all den anderen Städten, in denen die Menschen auf die Straße gegangen sind. Schließlich hattet Ihr keine Gewähr, dass Gorbatschow sich nicht einmischt, dass die Truppen der NVA und der Roten Armee in den Kasernen blieben und Ihr letztlich die Mauer nur mit Euren Füßen, friedlich und ohne Blutvergießen zum Einsturz bringen konntet. Dafür habe ich und hatte die Mehrheit der Bürger im Westen Euch aufrichtig bewundert und Euch herzlich willkommen geheißen, als Ihr mit Euren Trabis und Wartburgs aufgebrochen seid, den Westen zu erkunden und mit diesen stinkenden Zweitaktern massive Duftmarken in den Innenstädten gesetzt habt. Das war nur eine banale Begleiterscheinung. Wichtig war, dass Ihr da wart und es endlich keine todbringende Grenze mehr gab, die uns trennte.

Investitionen in Miliardenhöhe

Heute fahrt Ihr mit Euren Volkswagen, Opels, BMWs,und Mercedes über top ausgebaute Autobahnen, Bundes- und Landstraßen und nehmt es für selbstverständlich, dass dem so ist. Aber diese Segnungen sind ja nicht vom Himmel gefallen. Lasst es mich mal an einem Beispiel illustrieren. Im Zuge der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit (VDE) wurde die Thüringen-Autobahn A 71 Erfurt-Schweinfurt/A 73 Suhl-Lichtenfels realisiert. Der Umwelt zuliebe hat man im Thüringer Wald weit mehr als 100 Autobahnbrücken und sechs Tunnel mit einer Gesamtlänge von mehr als 14 km gebaut. So etwas ist ziemlich teuer heutzutage, rund 2,5 Milliarden Euro, um genau zu sein. Man hat sich entschlossen, dieses extrem anspruchsvolle und aufwendige Fernstraßenprojekt zu realisieren, um die traditionell strukturschwachen Regionen im Thüringer Wald an das deutsche/europäische Autobahnnetz anzubinden und durch diese sehr viel bessere Erreichbarkeit dort Industrie und Gewerbe anzusiedeln und Arbeitsplätze zu schaffen.

Und das ist nur eines von unzähligen Projekten, die unter dem Sammelbegriff “Aufbau Ost” umgesetzt wurden, um die Lebensverhältnisse in den neuen Bundesländern zu verbessern. Dafür wurden Hunderte von Milliaden D-Mark bzw. Euro investiert. Gewiss, die “blühenden Landschaften” haben sich nicht so schnell eingestellt, wie der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl es versprochen hatte, und mancherorts ist bis heute noch nicht allzu viel davon zu sehen. Das ist nicht zu leugnen, aber die Älteren unter Euch werden sich auch noch daran erinnern, in welch erbärmlichen Zustand Eure historischen Innenstädte waren: Görlitz, Erfurt, Bautzen, Rostock, Wismar…, um nur einige zu nennen. Wären nach der Wende nicht diese immensen Summen in den “Aufbau Ost” gesteckt worden, wäre von all diesen jahrhundertealten Bauwerken heute nichts mehr zu sehen und an ihrer Stelle würde uniformierte Platte die Innenstädte “zieren”.

Der Soli in der heutigen Form ist nicht mehr gerecht

Seid mir nicht böse, ich will nicht aufrechnen. Diese unmittelbar nach der Wende getroffenen Entscheidungen waren vollkommen richtig und wir, die westdeutschen Steuerzahler, haben das mit unserem Soli gern unterstützt. Ein Vierteljahrhundert später müssen wir uns aber schon mal fragen, ob dieser Solidaritätsbeitrag in seiner bisherigen Form noch gerecht ist. Allein bei dem Thema Verkehrsinfrastruktur haben sich die Verhältnisse inzwischen vollkommen verschoben. Wo Ihr zu DDR-Zeiten über Hubbelpisten geholpert seid, fahrt Ihr jetzt über großzügig angelegte Straßen, von denen die Leute im Westen – gerade in ländlichen Gebieten – vielerorts nur träumen können. Dort sind nämlich in den 1990er Jahren viele Projekte zugunsten des “Aufbau Ost” zurückgestellt bzw. gestoppt worden. Das finden die Wessis dort inzwischen nicht mehr witzig und fordern zurecht, dass der Soli entweder abgeschafft oder anders verteilt gehörte. Darüber seid Ihr wiederum empört, weil es Euch doch noch sooooo schlecht geht, im Vergleich zu denen im Westen. Diesbezüglich ist Eure Wahrnehmung ziemlich getrübt, wie bei anderen Themen auch, beispielsweise bei der Flüchtlingsproblematik.

Die paranoide Angst vor dem Verlust

Es ist doch schon bemerkenswert, dass ausgerechnet dort, wo die wenigsten Flüchtlinge untergebracht sind, die Ausländerfeindlichkeit am deutlichsten und brutalsten Raum greift. Nun gut: Als ehemalige DDR-Bürger seid Ihr nicht geübt im Umgang mit Ausländern. Mit den Angehörigen der sowjetischen Armee wolltet Ihr grundsätzlich nichts zu tun haben und die andere Ethnie, die in Eurem Land existent war, die Vietnamesen, war mehr oder weniger ghettoisiert und Ihr hattet mit denen auch recht wenig zu tun. Inzwischen seid Ihr aber doch selber in der Welt herumgereist – was Ihr früher nicht konntet – und habt erlebt, wie es sich anfühlt, “Ausländer” zu sein. Daraus gelernt habt Ihr offensichtlich nichts, denn sonst könntet Ihr nicht so bösartig gegen die paar Migranten geifern, die in Euren Städten und Gemeinden untergebracht werden sollen. Ihr seid nach der Wende zu einem gewissen Wohlstand gekommen – wie auch immer – und habt jetzt panische Angst, die Flüchtlinge aus Syrien und irgendwelche Asylbewerber würden Euch das wieder wegnehmen. Das ist blanke Paranoia und wer so denkt, sollte schleunigst einen Termin beim Psychiater machen.

Ich bin, weiß Gott, kein Freund von Angela Merkel und auch nicht von Joachim Gauck. Ich habe die Kanzlerin in unzähligen Artikeln heftig kritisiert für ihre verfehlte Flüchtlingspolitik, für ihre unterwürfige Haltung gegenüber den USA, für ihren Starrsinn gegenüber Russland… Aber ich reklamiere für die Kanzlerin wie für den Bundespräsidenten das Maß an Würde und Respekt, wie ich es für jeden Menschen reklamiere. Man kann gegen eine Person sein und gegen ein Politik, für die sie steht. Um seiner Ablehnung dagegen Ausdruck zu verleihen, kann man auch auf die Straße gehen und demonstrieren – aber nicht so! Wie war es denn zu Walters und Erichs Zeiten? Eine falsche Bewegung, ein falsches Wort hat genügt, wenn der “Oberindianer” und Gefolge in der Nähe waren, und die Stasi hat gnadenlos zugegriffen. Das Ergebnis waren zwei bis fünf Jahre Bautzen. Schon vergessen? – Nein, Freunde, so geht es nicht. Ich richte meinen Appell an diejenigen, die längst in der bundesrepublikanischen Welt angekommen sind und die Vorzüge dieses Lebens zu schätzen wissen: Weist diese wildgewordenen “Wutbürger” in ihre Schranken und lasst nicht zu, dass durch sie ein Bild von unserem Land in die Welt getragen wird, das so nicht stimmt.

Der politische Diskurs geht nicht über Beschimpfungen

Es ist gewiss nicht alles gut in unserem Land und es gibt hinreichend zu kritisieren – wir, die Autoren, die für AnderweltOnline schreiben, tun das jeden Tag mit der Macht des Wortes. Diese Möglichkeit, seinem Ärger oder seinem Frust, worüber auch immer, Luft zu machen, hat nicht jeder, das ist mir schon klar. Aber jedem steht es frei, einer demokratischen Partei beizutreten und mit seiner Arbeit im politischen Raum – vom Gemeinderat bis zum Bundestag – konstruktiv mitzuwirken, dass Veränderung zum Besseren geschieht. Trillerpfeifen, Pöbeleien und Beschimpfungen unter der Gürtellinie sind hierfür ebenso ungeeignet wie das Abfackeln von Flüchtlingsunterkünften. “Die Würde des Menschen ist unantastbar.” So steht es ganz vorne in unserem Grundgesetz und dieses zutiefst humanistische Prinzip gilt für ALLE – selbst für missliebige Politiker. Diejenigen, die sich über diese schlichte Feststellung hinwegsetzen, haben nicht verstanden, dass der politische Diskurs in einer Demokratie nicht über krude Beschimpfungen geht, sondern über eine sachliche Auseinandersetzung. Die Älteren unter Euch sollten sich daran erinnern, welche Möglichkeiten es für eine sachliche Auseinandersetzung Andersdenkender mit dem politischen Establishment in der ehemaligen DDR gegeben hat. Keine! – Erinnert Euch daran und sagt es auch Euren Kindern, die diese Zeiten nicht erlebt haben und den Unterschied nicht kennen können.

Es gibt sehr viel schlechtere Lebensumstände auf der Welt und ein wenig Dankbarkeit, hier leben zu dürfen, ist ohne weiteres angebracht. Oder wie wärs mit Eritrea, Süd-Sudan, Nordkorea, Mexiko…? – Halten wir fest: Auch im Westen gibt es verblödete Dumpfbacken und Neonazis, die wir nicht brauchen und nicht haben wollen. Aber auch dort gibt es Arbeitslosigkeit, Altersarmut, Wohnungsnot, auch dort haben Politiker zugelassen, das es soziale Ungerechtigkeiten gibt und auch dort ist es deren verdammte Pflicht und Schuldigkeit, dafür zu sorgen, dass die Schere von arm und Reich nicht immer weiter auseinander geht. Was das anlangt, sind wir durchaus einig Vaterland – aber darauf sollten wir es nicht beschränken.

Herzlichst

Euer

Hubert von Brunn

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Re: Das kollektive Vergessen in Ostdeutschland

Beitragvon pentium » 27. April 2017, 12:31

Eine offene Antwort auf einen offenen Brief

Berlin, den 14.10.2015

Sehr geehrter Herr von Brunn,

Ihr offener Brief über das kollektive Vergessen in Ostdeutschland hat bei mir nicht nur Verwunderung ausgelöst. Deshalb antworte ich Ihnen umgehend und ebenso offen.

Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen, dass es keine objektive, allgemeingültige Antwort auf die Frage gibt „Wie einig ist Deutschland heute?“ Ihre „kritische“ Bestandsaufnahme und Ihr offener Brief an die Bevölkerung in den neuen Bundesländern werden dabei allerdings kaum helfen, diese Frage schlüssig zu beantworten. Ich frage mich: Welche realen, ungetrübten Wahrnehmungen von der Situation in Dresden und anderswo im Osten haben Sie eigentlich?

Sie hätten die Dinge besser nüchtern betrachten sollen. Mit Verlaub: Bei allem Verständnis für Ihre Empfindungen, diese arrogante Art der Beurteilung von Menschen, die Sie nur oberflächlich kennen, kotzt mich an. Sie lassen in Ihrem Brief fast keines der Klischees aus, die im Westen unseres Landes im Laufe der 40-jährigen Teilung entstanden sind und gepflegt wurden. Die meisten davon haben mit der Realität nichts zu tun. Mein leider schon verstorbener bayerischer Freund Hermann B. wollte immer wissen, warum man im Osten anders dachte und fühlte als im Westen. Nach jedem klärenden Gespräch stellte er fest: „Wir werden euch wohl nie ganz begreifen.“ Ihr offener Brief bestätigt diese Einsicht.

Sie haben die Ereignisse im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zum 26. Jahrestag der deutschen Einheit in Dresden zum Anlass für Ihren Brief genommen. Um es gleich zu sagen: Ich lehne solche Aktionen, wie sie von einer gewissen Anzahl von Leuten im Umfeld der Frauenkirche lauthals zum Ausdruck kamen, ebenso ab wie die meisten meiner Landsleute. Aber im Unterschied zu Ihnen kann ich nachempfinden, warum es dazu kam. Es ist in der Hauptsache die wachsende soziale Unsicherheit und Ungerechtigkeit, die die Menschen mehr und mehr spüren und die sie zutiefst verunsichert. Vergessen Sie nicht, dass nach 1990 das gesamte Volkseigentum, meistens für einen Appel und ein Ei, wieder in private Hände kam. Seit dem ist die Schere zwischen arm und reich immer größer geworden. Sie schreiben von einem gewissen Wohlstand zu dem wir – wie auch immer – nach der Wende gekommen sind. Die Frage ist doch, was versteht man unter Wohlstand und wie hoch ist der Anteil derer im Osten, die wohlhabend sind? Wenn Sie erwarten, dass ein wenig Dankbarkeit dafür angebracht sei, muss ich Sie enttäuschen. Kollektive Dankbarkeit gibt es ebenso wenig, wie es kollektives Vergessen gibt.

Die von Ihnen explizit erwähnte Autobahn A 71 Erfurt-Schweinfurt, die nach meinem Empfinden zu den schönsten Autobahnen weltweit gehört, ist eben kein Geschenk des Westens, um die strukturschwachen Regionen im Thüringer Wald an das Autobahnnetz anzubinden. Sie ist vor allem ein wesentliches Element zur Entwicklung der Infrastruktur der gesamten Republik und insofern für ganz Deutschland von Bedeutung.

Nahezu uneingeschränkt zustimmen kann ich Ihren Auffassungen zum Soli – voraus gesetzt Sie wissen, dass die Ostdeutschen von Anfang an den Solidaritätsbeitrag genauso gezahlt haben wie Sie im Westen. Da meine Wahrnehmung eben nicht getrübt ist, wäre ich auch überhaupt nicht empört, wenn der Soli entweder abgeschafft oder anders verteilt würde.

Im Zusammenhang mit dem gerade gestarteten Versuch, die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit auch im Westen vorzunehmen, darf ich Sie daran erinnern, dass die DDR das konsequent getan hat. Inzwischen sind allerdings die meisten von denen, die schuldig waren und dennoch in allen Bereichen der westdeutschen Gesellschaft wieder in Amt und Würden waren, verstorben. Nach meiner Wahrnehmung sind allerdings viele ihrer Kinder und Kindeskinder politisch stark von ihnen geprägt. So hat das unselige Erbe der Wehrmacht die Bundeswehr bis in die späten 1960er Jahre maßgeblich geprägt und ist bis heute nicht völlig überwunden.

Gleichwohl empfinde ich bis zum heutigen Tage eine gewisse Dankbarkeit allein dafür, dass die deutsche Wiedervereinigung ohne Blutvergießen verlaufen ist. Dazu haben nicht zuletzt die Soldaten der Nationalen Volksarmee beigetragen, die der demokratisch gewählten Regierung von Lothar de Maiziere loyal gedient haben, die Waffen unter Verschluss hielten und nicht bereit waren, auf das eigene Volk zu schießen.

Der Sozialismus, für den ich vorher gestanden habe, war für mich vor allem mit der Schaffung einer gerechteren Gesellschaft verbunden. Dass uns das nicht gelungen ist, lag hauptsächlich an uns selbst. Wenn aber die Freiheit in der bürgerlichen Demokratie dazu führt, dass es in der Gesellschaft Menschen gibt, die einen sinnlosen Reichtum anhäufen können, während eine Mehrheit sehen muss, dass sie nicht in die Armut abrutscht, dann ist das nicht die Freiheit, die ich meine, die mein Herz erfüllt.

Gerade eben las ich im Internet einen Beitrag unter der Überschrift „Was ist denn wieder in Sachsen los?“ Warten wir mal ab, was demnächst in Köln, Hamburg und Berlin los ist, wenn die bereits bestehenden Parallelgesellschaften zum Angriff auf die bürgerliche Demokratie übergehen. Ich habe im Januar 2015 am Hamburger Steintor erlebt, wie man sich als Fremder im eigenen Land fühlt. Als mir in abendlicher Stunde auf dem Gehweg fünf dunkelhäutige Riesen in geschlossener Formation entgegen kamen, habe ich es vorgezogen, auf die Straße auszuweichen. Einer hinter mir, der es nicht tat, wurde brutal angerempelt und musste sich anhören „Pass auf, Du Penner!“

Als einer der Autoren von AnderweltOnline schreibe ich seit geraumer Zeit gegen die Medien an, die sich hauptsächlich den Interessen der Herrschenden verpflichtet fühlen. Das sind inzwischen wohl die meisten. Schauen Sie sich die Namen an, die auf der Liste der Atlantikbrücke stehen und Sie werden staunen, wen Sie da alles finden.

Üben Sie Contenance, seien Sie sachlich und gerecht, damit AnderweltOnline ein Portal für die Vernünftigen in diesem Land bleibt.

Herzlichst

Ihr

Bernd Biedermann

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Re: Das kollektive Vergessen in Ostdeutschland

Beitragvon pentium » 27. April 2017, 12:52

Noch ein offener Brief

Sehr geehrter Hubert von Brunn,

mit Interesse habe ich Ihren offenen Brief an uns „liebe Landsleute in Ostdeutschland“ anlässlich des 26. Jahrestages der so genannten Wiedervereinigung gelesen. Ich habe ihn auch meiner „besten Freundin“ und Kritikerin vorgelesen, die ebenfalls wie ich 45 Jahre DDR- und 25 Jahre gesamtdeutsches Leben hinter sich hat.
Zuerst haben wir herzlich gelacht, dann haben wir uns gründlich geärgert und dann habe ich beschlossen, an Sie ebenfalls einen offenen Brief zu schreiben.
Zunächst einmal: Hinsichtlich der Kritik an die „Wutbürger“ von Dresden geben wir Ihnen Recht. Allerdings ist die politische Kultur in Deutschland seit der Gleichschaltung der Führungsmedien und der Hybris unserer Regierenden sowieso im Keller. Die Protestierer von PEGIDA und anderen Gruppen wurden zuerst von Regierungspolitikern diffamiert und sodann mit Ausdrücken wie „Pack“, „Pöbel“, „Dumpfbacken“, „Nazis“ und so weiter belegt. Kein Grund, mit gleicher Münze zu antworten? Natürlich nicht! Und dass der „Soli“ ungerecht war und ist, unterschreiben wir ebenfalls.
Wie kommen Sie aber auf die Idee, dass Sie alle „Landsleute in Ostdeutschland“ in Haftung nehmen dürfen, nur weil ein paar Wutbürger den regierenden Rechtsbrechern vom Schlage Merkel, Maas und de Maizière ihre hilflose Wut mal direkt ins Gesicht schleudern wollten?
Denn diese Wut ist berechtigt! Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es nämlich heraus! Es geht überhaupt nicht um Ausländerfeindlichkeit! Es geht um Illegalität, Rechtsbruch, Diffamierung und Lüge. Und wenn Sie, lieber Herr von Brunn, richtig zugehört hätten, wäre Ihnen das auch aufgefallen. Ich wundere mich sowieso, wie so ein aufgeklärter, allseits gebildeter und umtriebig erfahrener Zeitgenosse wie Sie, der ja lediglich fünf Jahre jünger ist, als wir, zur sattsam unbeliebten Attitüde der Belehrung von uns „Ostdeutschen“ greift. Gerne habe ich Ihre bisherigen Kolumnen gelesen, auch wenn ich von „Mentaltrainern“ im allgemeinen nichts halte. Und das Buch „Humane Marktwirtschaft“ habe ich allen Freunden empfohlen. Aber was Sie in Ihrem „Offenen Brief“ kolportieren, verschlägt einem fast die Sprache.
Natürlich weiß ich, dass nicht einmal die „meisten Westdeutschen“ so denken, wie Sie es in Ihren Ermahnungen dargestellt haben. Deshalb schreibe ich ja auch an Sie, und nicht an „unsere Landsleute in Westdeutschland“. Diese Diskussion mit dem „Soli“ und den „Milliardeninvestitionen“, insbesondere zur „Dankbarkeitsfrage“, haben wir bereits geführt (und beendet), als wir 1992 das erste Mal „Die Wies’n“ in München besuchten! Schon damals wurde erkannt, dass wir Deutschen nur einer Person „dankbar“ sein müssen: Dem Russen Michail Gorbatschow! Als man uns im gigantischen Bierzelt als „Sachsen“ identifiziert hatte, gingen sofort „paranoide Verlustängstediskussionen“ unserer bayrischen „Landsleute“ los. Nach ein paar Stunden, in denen wir uns darauf geeinigt hatten, dass nicht nur wir „Ostdeutschen“ den WK II verloren haben und dass wir es waren, die den Russen und dem COMECON 45 lange Jahre lang Reparationen zahlen mussten, waren wir dann mithilfe einiger „Mass“ wirklich „verbrüdert.“
Was mich allerdings äußerst bedenklich stimmt, ist die Tatsache, dass Sie als Koautor der „Humanen Marktwirtschaft“ in Ihrem Brief von „Milliardeninvestitionen“ der westdeutschen Landsleute schwadronieren. Wissen Sie denn nicht, wie diese ganze Umverteilungsmaschinerie funktioniert hat? Wissen Sie nicht, dass auch wir „Ossies“ den „Soli“ von Anfang an entrichtet haben? Ist Ihnen unbekannt, wie die „ursprüngliche Akkumulation“ über die Treuhandanstalten gelaufen ist? Ist Ihnen entgangen, wer heute hier die Eigentümer der meisten Immobilien, Industriebetriebe, Handelsketten und Energieverteiler sind? Das sind keine „Ostdeutschen“! Wollen Sie wirklich ignorieren, dass mehrere Millionen „ostdeutscher“ hochqualifizierter Fachkräfte in die „alten Bundesländer gemacht“ sind und dort arbeiten, Steuern und „Soli“ zahlen?
Vielleicht leben Sie ja noch in einer Gedankenwelt der Bundesrepublik vor 1989, die wir, die „friedlichen Revolutionäre“, so erwünscht haben: Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, soziale Gerechtigkeit, Wohlstand.

Doch scheinbar haben Sie nicht bemerkt, wohin sich seitdem das vereinigte, rechtlose Deutschland auf Betreiben der internationalen Finanzindustrie bis zum heutigen „Tag der Einheit“ entwickelt hat! Sonst würden sie die Unsäglichkeit solcher Sätze wie: „Ich richte meinen Appell an diejenigen, die längst in der bundesrepublikanischen Welt angekommen sind und die Vorzüge des Lebens zu schätzen wissen“ von vornherein unterlassen. Und – welche Demokratie meinen Sie eigentlich? Die der im rechtsfreien Raum des ESM agierenden supranationalen Finanzkonzerne, oder den hehren Traum, den Sie und ich von „Demokratie“ vielleicht haben?
Und nun komme ich zu meinem wichtigsten Kritikpunkt: Die sich hier, besonders in meinem Heimatland Sachsen, artikulierende Wut auf die Berliner Regierung unter der ehemaligen FDJ-Propagandistin und jetzigen CDU-Vorsitzenden, angeführt von der PEDIDA-Bewegung, kommt nicht von ungefähr und hat wenig mit Ausländerfeindlichkeit, sondern viel mit Islam- und Regierungsfeindlichkeit zu tun. Diese Regierung merkt offensichtlich genauso wenig wie Sie, lieber Herr von Brunn, dass das Ziel dieser von den Berliner Statthaltern unterstützten imperialen Politik eine „Internationalisierung“ der Deutschen ist. Das hatten die Moskauer Stalinisten ebenfalls auf ihrer Agenda und wir wollten das nicht und wollen das auch jetzt nicht, während es offenbar eine Mehrheit unserer „Landsleute im Westen“ bereits akzeptiert hat oder es ihr egal ist. Hauptsache, sie können ungestört „die Vorzüge“ des westlichen Lebens genießen. Wir wollen nicht diese unsägliche europäische Politik eines EU-Kommissariats! Gegen Kommissariate haben wir hier unten sehr sensible Antennen, egal, ob wir früher mal „friedliche Revolutionäre“, „Wendepolitiker“ oder sonstige „DDR-Bürger“ gewesen sind.
Noch eine Bemerkung zu Ihrer Einlassung, dass die Westdeutschen den Umgang mit „Ausländern“ länger üben konnten, als wir „Ostdeutschen“. Das ist wohl wahr. Wie „Ihr Westdeutschen“ mit den aus Italien und Anatolien hereingeholten Millionen Gastarbeitern umgegangen seid, kann jedermann in Wallraffs Dokumentationen nachlesen. Zusammen mit uns im „innerdeutschen Handel“ arbeitenden Ostdeutschen haben vor allem sie zum von uns tatsächlich beneideten Wohlstand unserer Brüder und Schwestern in der BRD beigetragen. Doch die Abwerbung gut ausgebildeter Fachkräfte aus den Ländern der so genannten Dritten Welt wollen wir ebenfalls NICHT!
Und so frage ich Sie zum Schluss: Wollen Sie, lieber Hubert von Brunn, nicht mit uns gemeinsam gegen die Irrsinnspolitik einer Angela Merkel und ihrer Satrapen angehen, die drauf und dran sind, unser schönes, fleißiges und kulturvolles Deutschland zum Nutzen einer kleinen, mächtigen, superreichen, jedoch vaterlandslosen und antihumanen Clique in den Orkus der Geschichte zu lenken?
Das gäbe doch vielleicht einen akzeptablen Appell zum 26. Tag der Einheit, der doch endlich unser Nationalfeiertag werden sollte!

Mit freundlichen Grüßen
Christian Friedrich Schultze
Ehemaliger Volkskammer- und Bundestagsabgeordneter

http://cfschultze.de/2016/das-kollektive-vergessen/
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Re: Das kollektive Vergessen in Ostdeutschland

Beitragvon Interessierter » 27. April 2017, 16:37

Diese „ Rede und Gegenreden „ sind doch eine gute Diskussionsgrundlage. Zuvor möchte ich das Team bitten aus dem „ Okrober einen Oktober „ zu machen.
Was den ersten Antwortbrief angeht, stellt sich mir die Frage wie der Herr Biedermann einen Brief vom 8.10.2016 schon im Jahre 2015 beantworten kann? Ich vermute mal ein Schreibfehler.

Sie hätten die Dinge besser nüchtern betrachten sollen. Mit Verlaub: Bei allem Verständnis für Ihre Empfindungen, diese arrogante Art der Beurteilung von Menschen, die Sie nur oberflächlich kennen, kotzt mich an. Sie lassen in Ihrem Brief fast keines der Klischees aus, die im Westen unseres Landes im Laufe der 40-jährigen Teilung entstanden sind und gepflegt wurden. Die meisten davon haben mit der Realität nichts zu tun.


Realität ist, das diese Minderheit in Sachsen mit derer Handlungen nicht nur dem Ruf Sachsens sondern auch Deutschlands schadet. Europa- und weltweit nimmt man das besorgt zur Kenntnis. Diese Realität wird den Bürgern leider viel zu oft vor Augen geführt. Dazu muss man diese politischen Irrgeister gar nicht persönlich kennen.

Wenn der Herr von Brunn dieses Verhalten und Auftreten kritisiert, ist das für mich ein ganz normaler Vorgang in einer Demokratie. Zum Kotzen ist viel mehr und lediglich das Auftreten dieser Rechtspopulisten.

Wie oft hat eigentlich dort die große Mehrheit der Bürger gegen Bachmann & Co. und AFD protestiert?


Wenn der gute Herr Biedermann über sein Erlebnis im Hamburger Steintorviertel berichtet, so ist er nicht besser als F.J. Strauß, der sich damals wunderte, das ihm seine Geldbörse in einem New Yorker Rotlichtviertel gestohlen wurde.

Wenn Biedermann an das Volkseigentum erinnert, so sollte er sich besser fragen, welchen Menschen diese Genossen ihr Eigentum raubten und zu Volkseigentum erklärten.

Abschließend frage ich mich, warum der gute Herr Biedermann nicht genau so entrüstet war, wenn man über ähnliches Verhalten von Rechtspopulisten in den alten Bundesländern berichtet hat?

Daran, dass auch die Bürger in den neuen Ländern Soli zahlen muss er gar nicht hinweisen. Das aber die Bürger in den alten Ländern das Geld für den Soli für die neuen Bundesländer, sonst in ihrer eigenen Geldbörse gehabt hätten, das vergisst der Herr geflissentlich zu erwähnen.

Genau wie ich, hat wahrscheinlich die große Mehrheit der Westdeutschen den Soli vermutlich sogar gerne gezahlt.
Wenn man dann aber aus bestimmten Kreisen sehr häufig das Gejammer und Genöle hört, dass es einem ja sooo schlecht ginge, dann darf man sich nicht wundern, wenn man an das „ Kollektive Vergessen „ erinnert wird.

So weit erst einmal meine Gedanken zum Schreiben des Herrn Biedermann. Vielleicht kann man dieses Thema einmal ohne persönliche Angriffe führen?
Interessierter
 


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