Polizei - Spuren in der Mülltüte
SED-treue Kripoleute sabotieren die Arbeit des Gemeinsamen Landeskriminalamtes in den Ost-Ländern. Die Ermittlungsakten waren von Amts wegen getürkt. Um die Leser irrezuführen, wurden die Seiten teils doppelt, teils gar nicht numeriert, mal von Hand, mal mit einem mechanischen Stempel paginiert. Bei Vorgängen, die wegen ihrer Brisanz mit Schellack versiegelt worden waren, fehlten die Plomben oder waren falsche Codenummern in die Siegel gestanzt.
Zusammenhanglos hatten Ermittler Berichte in Ordnern aneinandergereiht und wahllos verstreute Kopien, unter fortlaufenden Seitenzahlen, zwischen die Originale geheftet. Was auf den Aktenrücken stand, hatte mit dem Inhalt oft nichts zu tun.
Den manipulierten Aktenschrott erhielten die Staatsschützer der West-Berliner Polizei von ihren Ost-Kollegen: Material über das bis heute ungeklärte Attentat auf die West-Berliner Diskothek "La Belle" im April 1986. Seit Monaten schon stößt die West-Kripo bei dem Versuch, Amtshilfe aus dem Osten zu bekommen, auf blanke Obstruktion.Mit "geradezu unglaublicher Überheblichkeit", erfuhr ein "La-Belle"-Ermittler, reagierten Kripo-Leute beim Gemeinsamen Landeskriminalamt (GLKA) der fünf neuen Länder in Berlin-Hohenschönhausen, wenn einer aus dem Westen wegen des Attentats nachfragte. Und Fragen gibt es viele: Umfangreiche Akten über den Fall, in den auch die Stasi verwickelt war, lagern in Ost-Berlin.
"Gezielt hintertrieben", mutmaßt Berlins Innensenator Erich Pätzold, 60, würden im GLKA "jetzt aufgenommene Ermittlungen" über "ehemalige Entscheidungsträger" im Osten. "Wir haben Zweifel", resümierte Pätzold in einem Beschwerdebrief an Bonns Innenstaatssekretär Hans Neusel, "daß das GLKA in der bestehenden Form jemals willens und in der Lage sein wird, seinen rechtsstaatlichen Auftrag zu erfüllen."
Zweifel sind berechtigt. Die oberste Polizeibehörde der ostdeutschen Bundesländer erweist sich als Mißgeburt. Denn das GLKA ist, organisatorisch und personell, nichts anderes als das ehemalige Zentrale Kriminalamt (ZKA) der DDR. Und das ZKA ist bruchlos aus der einstigen Hauptabteilung Kriminalpolizei des DDR-Innenministeriums hervorgegangen.
Zwar haben gut 200 Mitarbeiter aus der einstigen Zentrale der Volkskripo mittlerweile abgemustert. Als Handlanger des SED-Regimes hätten sie keine Chance im neuen Staat gehabt. Aber das Amt hat seine Sollstärke, 700 Mann, schon fast wieder erreicht. Und die Neuen sind auch nicht besser.
Aufgefrischt wurde die Kripo-Belegschaft ausgerechnet durch rund 120 ehemalige Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Der letzte DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel (CDU) hatte Stasi-Leute nicht nur als Berater in sein Ressort geholt, sondern auch mit Posten in der Polizeizentrale versorgt. So hat der Stasi-Geist im GLKA die Wende überlebt. Wie zum Beweis hat die neue Kripo-Behörde ihre Büros in einem berüchtigten Stasi-Quartier eingerichtet.Das GLKA residiert, hinter meterhohen Mauern mit Stacheldrahtkronen, mit Wachtürmen und Flutlicht bewehrt, innerhalb des weitläufigen Gebäudekomplexes der früheren MfS-Hauptabteilung IX. Die MfS-"Untersuchungsabteilung" führte vor allem Ermittlungen gegen Abweichler von der SED-Linie und in bedeutenden Kriminalfällen. Ausgesuchte Richter und Staatsanwälte betrieben die Strafverfahren im unmittelbaren Auftrag der Staatssicherheit.
Das Know-how der Stasi-Ermittler ist hier erhalten. Die Kriminaltechnische Abteilung des GLKA ist personell fast identisch mit der "Operativ-technischen Spurenauswertung" der alten Hauptabteilung IX.
Um so provokanter ist der Umgang der Präzisions-Kriminalisten des alten Systems mit Beweisstücken für die West-Ermittler: In Müllbeuteln, die mit Fettstift grob gekennzeichnet waren, präsentierten sie den Kollegen fürs Mikroskop bestimmtes Spurenmaterial über den nach dem "La-Belle"-Attentat erschossenen mutmaßlichen Doppelagenten Mohammed Ashur.
Für Pätzold ist das ein Beweis für Sabotage: Die ganze Unordnung im Osten widerspreche "der bekannt akribischen Arbeitsweise der vorher für die Vorgänge Verantwortlichen".
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