von Spartacus » 6. April 2013, 13:46
Na, Edelknabe dann verklickere ich dir mal die Sichtweise eines damals jungen Mannes. ( Bin Bj.1960 und hab mir heute mal die Zeit genommen, etwas mehr zu schreiben)
Natürlich war ich auch immer an Geld interessiert, vor allem als 1975 das Simson S 50 raus kam. Ich hatte damals Gott sei Dank mein Jugendweihegeld gespart, das ich traditionell von der Verwandtschaft geschenkt bekam und arbeitet auch immer in den Ferien, um noch was auf die Seite zu bekommen. Ich glaube das S 50 kostete damals 1.200 Mark und ich arbeitete eisern darauf hin und konnte es mir dann im Frühjahr 76 endlich kaufen. Natürlich mußte dann noch so ein breiter Lenker, mit eingeschweißter Mittelstange her und auch das war dann bald erledigt. Ich war nun mobil und das war schon eine feine Sache, denn das S50 ging richtig gut ab. Ich hatte damals viele Kumpels und wir hatten richtig viel Spaß. So gingen die Jahre ins Land, ich lernte, lernte aus und dann war natürlich für uns alle, eine eigene Wohnung ein Thema. Und bald hatten wir auch alle was. Meine „Bude“ war natürlich in einem Altbau und mit den Überresten meines Kinderzimmers „komfortabel“ ausgestattet. Bei meinen Kumpels sah es ähnlich aus, denn wir hatten alle kein Geld. Das was wir verdienten reichte natürlich zu Leben aus, aber für mehr eben auch nicht. Wir waren ja ständig auf Achse, fuhren im Sommer immer an die Talsperre zum baden, waren unter der Woche praktisch jeden Abend in der Disco, am Wochenende sowieso. Wir waren ja jung, wollten was erleben und vor allem Spaß haben.
Wir verdienten alle ungefähr das selbe Geld, also so um die 600 – 650 Mark. Wie sollten wir also da was sparen und davon unsre Wohnung einrichten? Bei den Preisen?
Du weißt doch selber, was einen Anbauwand, ein Fernseher, ein Kühlschrank oder eine Waschmaschine gekostet haben. Für uns alle unerschwinglich und so improvisierten wir alle irgendwie gleich. Wäsche waschen und Bügeln am Wochenende bei Muttern, Fernseher brauchten wir ja sowieso nicht, und Kühlschrank? Na ja es ging halt irgendwie auch so.
Und Heiraten nur um des persönlichen Vorteils willen. Nee, ich wollte Spaß haben mit den Mädels und den hatte ich dank meiner Bude auch reichlich. Ich habe erst mit 36 geheiratet.
Auto? Das war ein feuchter Traum, mehr aber auch nicht. Keiner meiner Kumpels hatte ein Auto, bis auf einen, aber der war damals schon 29 Jahre alt. ( wir 18 – 19) und war Disjockey. ( hoffentlich habe ich das jetzt richtig geschrieben, na auch egal)
Er hatte nen Wartburg 353 und einen Anhänger für seine Anlage. Dank der Westverwandtschaft hatte er 2 JVC – Kassettendecks, vier riesige Lautsprecher-boxen von Bose und dann noch ein Mischpult plus Verstärker. Er war damit ein gemachter Mann. So viel ich weiß verdiente er pro Abend 160 Mark und er spielte fast jeden Abend. Aber die Disjockeys in der DDR waren ja sowieso etwas ganz besonderes. Ich kannte ihn von Kindheit an und durch ihn erfuhr ich auch wenigstens teilweise ein anderes Leben. Zum Beispiel war es damals in diesen Kreisen „In“ zu surfen und so surften wir mit seinem eigenem Brett auf der Talsperre, oder wir spielten Tennis. Er lebte irgendwie in einer ganz anderen Welt, hatte Geld ohne Ende, kaufte nur im Exquisit ein und musste ja auch nicht arbeiten.
Na, wie auch immer, ich konnte mir zwar nix großartig leisten, war aber eigentlich ganz zufrieden mit meinem Leben, denn meiner Clique ging es ja genauso wie mir. Ich war also sogar irgendwie angepasst und kam gar nicht auf die Idee zu opponieren, wäre da nicht mein Großonkel Willi gewesen.
Onkel Willi war ein „echter“ Kommunist. Er besaß ein eigenes Haus und hatte sehr viel Geld, da er als Opfer des Faschismus – völlig zu Recht – eine sehr hohe Rente bekam. Er hatte außerdem ein Parteibuch der KPD mit einer dreistelligen Mitgliedsnummer, also war er einer der ersten Stunde. Er hatte Ernst Tählmann persönlich gekannt und auch in Buchenwald gesessen. Ich habe ihn oft besucht und hatte lange Gespräche mit ihm. Ich sehe in noch so sitzen, in seinem Wohnzimmer, mit dem Thälmannbild an der Wand, hinter einem riesigen Schreibtisch, umgeben von hundertern von Büchern.
Er war hochgebildet, immer sehr freundlich und sehr auf die Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung fixiert. Er war in unsrer Gegend bekannt wie ein bunter Hund und viele Menschen kamen zu ihm und klagten ihm ihr Leid, da sie Vertrauen zu ihm hatten. Und er half den Menschen wo er nur konnte. Ich habe selbst miterlebt, wie eine Mutter mit vier Kindern bei ihm vor sprach und schüchtern fragte, ob er nicht was machen könnte, da sie alleinerziehend in einer Zweizimmer - Bruchbude lebe und alle Eingaben nichts bringen. Er schnaubte vor Wut – typisch für ihn – und griff zum Telefon. ( er hatte ja eins) Am Anfang sprach er noch ruhig, begann dann zu brüllen, drehte sich schließlich zu der Frau um und sagte: „Erledigt, nächste Woche haben sie eine 5 Zimmerwohnung“. Und so war es tatsächlich. Er war eben sehr einflussreich und daher verwundert es nun wohl niemand mehr, das die Leute ständig zu ihm kamen.
Das war also mein Großonkel Willi, den ich sehr verehrte und noch mehr respektierte.
Als ich 14 war mußte ich natürlich zum obligatorischen Besuch ins KZ Buchenwald. Wieder zurück und sichtlich beeindruckt, fragte ich Willi danach. Er sagte ich sei für so was eigentlich noch zu jung und er findet es nicht gut, das junge Menschen mit so etwas konfrontiert werden. Aber später werde er mit mir darüber reden.
Das war mal wieder typisch er.
Als ich 17 war, war es soweit und er erzählte mir fast zwei Stunden über Buchenwald. Am Ende haute es mich fast vom Hocker, als er mir sagte, das Buchenwald nicht von den KZ Häftlingen „selbst befreit“ wurde, sondern von der amerikanischen Armee. Ich verstand einen Moment die Welt nicht mehr, aber er klärte mich auch darüber auf, wie es kam, das die Amis vor den Russen da waren. Er wußte halt sehr viel und war ein echter Zeitzeuge, der die Wahrheit sprach.
Ich behielt das so gehörte erst einmal für mich und dachte viel darüber nach. Vor allem über eins:
Warum belügen sie uns so?
Was stimmt denn hier überhaupt noch?
Zu meinen Onkel ging ich immer noch gerne. Wir konnten stundenlang Schach spielen, ohne ein Wort zu sagen, während er an seiner Zigarre nuckelte und ich eine „Karo“ nach der anderen wegballerte. So wie er vorher nie über Buchenwald gesprochen hatte, so sprach er eigentlich auch fast nie über Politik. Da er im Alter aber immer gebrechlicher wurde, brauchte er mich jetzt öfter, wenn er mal in die Stadt wollte zum Beispiel. Er war sehr schlecht zu Fuß und ging an einem Stock.
Eines Tages, es war ein Samstag – den vergesse ich nie in meinem Leben – kam ein Junge zu mir und richtete mir aus, daß Willi mich um 14 Uhr braucht. Ich sagte alles klar und war um 14 Uhr bei meinem Onkel. Ich fragte, was los ist und er sagte: „Wir müssen in die Stadt, Gung.“
Ein Taxi ( Wolga) fuhr vor und wir fuhren in die Stadt, direkt vor die Parteizentrale – oder wie das Ding auch immer hieß. Willi fest an meinen Arm geklammert, stürmte in den Saal rein, an der Sekretärin vorbei als sei sie Luft, in dem die Genossen tagten.
Und dann ging es los.
Er stellte sich schön hin, holte einmal tief Luft und legte dann los:
Ihr Verbrecher, ihr elenden, was ist nur mit euch los. Was tut ihr eigentlich für unser Volk, unsere Arbeiter, unsere Frauen und unsere Kinder? Ja verdammt, haben wir etwa dafür gelitten und gedarbt, im KZ?
Ist es das, was ihr Euch unter Sozialismus vorstellt?
Und dann nestelte er zitternd, sein berühmtes Parteibuch aus der Tasche, zerfetzte es und warf die Überreste dem Vorsitzenden an den Kopf!
Der Vorsitzende sagte klein laut: Aber Willi?
Weiter kam er nicht, denn während Willi ihnen weiter die Leviten las, begann er nun auch noch mit seinem Gehstock auf den Tisch zu dreschen, dass es nur so krachte. Zu jedem Wort ein Hieb. Und jeder Hieb, jedes Wort drang tief in mein Herz ein.
Die Herren und es waren glaube ich zwei Damen, waren kreideweiß geworden und blickten betreten zu Boden. Will kam nun richtig in Fahrt und brüllte hochrot im Gesicht:
Ihr sitzt hier und fresst, sauft und hurt anschließend wahrscheinlich noch rum. Wann wollt ihr eigentlich mal die Probleme in dieser Stadt, in unserem Land lösen? Wo lebt ihr eigentlich?
Bekommt ihr eigentlich noch mit, was da draußen, im wirklichen Leben, los ist?
Von seinem Gehstock war mittlerweile nix mehr übrig und er warf wutschnaubend den Griff in eine Ecke. Er rang nach Luft, vor Wut fehlten ihm wohl die weiteren Worte und er sagte einfach, zu mir gewandt:
Komm Gung, wir gehen. Ich kann dieses Gesindel nicht mehr sehen.
An diesem Tag machte ich eine 180 Grad Kehrtwende und wurde zum Widerständler.
Ich war gerade mal 20 Jahre alt.
Willi passierte natürlich nichts und kurze Zeit später starb er im Alter von 94 Jahren. ( Und ich glaube er hat gewusst, dass er sterben wird und daher kurz zuvor noch reinen Tisch gemacht.)
An seinem Grab waren einige seiner alten Weggefährten, viele rote Fahnen und eine Blaskapelle spielte die ganze Zeit. Die SED Genossen glänzten mit Abwesenheit! Und dennoch, oder gerade deshalb, war es das eindrucksvollste Begräbnis, dass ich je erlebt habe. Hunderte, vielleicht waren es sogar tausend, Menschen kamen zu seinem Abschied. Viele weinten und das war nicht einfach so, sondern man merkte, dass diese Menschen einen Freund beweinen.
Einen wahren Menschenfreund, einen wahren Kommunisten!
Der Trauerzug dauerte stundenlang und wollte schier kein Ende nehmen. Von seinem Grab sah man nichts mehr, da es von einem Blumenmeer bedeckt war. Wie gesagt, so etwas werde ich wohl nicht mehr erleben.
So Edelknabe wie findest Du nun meine Geschichte aus der Sicht eines jungen Mannes?
Glaubst Du immer noch, ich kann Dir nicht erklären, wie die DDR wirklich war?
Schönes Wochenende
Spartacus
Ich bin stolz darauf, kein Smartdingsbums zu besitzen.
Nicht Deutschland schafft sich ab, sondern Deutschland schaltet sich ab.
Habeck und Baerbock in die Produktion. Die Grünen sind eine fortschrittsfeindliche Sekte.