„Blind für rassistische Motive“

„Blind für rassistische Motive“

Beitragvon Interessierter » 21. Juli 2019, 09:54

Patrice Poutrus kritisiert die Tendenz zu einer großen ostdeutschen Opfererzählung. Der Vergleich mit migrantischen Erfahrungen führe leicht dahin.

Wie ist es aber jenseits des Essenzialismus um diese Erfahrungen bestellt? Was halten Sie z.B. von Naika Foroutans Idee, die Erfahrungen von Ostdeutschen und Migrant*innen zu vergleichen?

Am Migrationsargument von Foroutan ist schon was dran, aber nicht im Sinne einer diskriminierten Minderheit, sondern insofern, als die Leute aus Ostdeutschland mehrheitlich aus ihren Verhältnissen ausgewandert sind. Das kann durchaus ähnliche Gefühle wecken wie bei Leuten, die in Folge ihrer Migration Diskriminierung ausgesetzt sind. Und natürlich lassen sich solche Erfahrungen auch zu einer gezielten ostdeutschen Identität kultivieren. Bei einer oberflächlichen Parallelisierung dieser Erfahrungen mit jenen von Migrant*innen besteht aber die Gefahr, das Spezifische der jeweiligen Erfahrungen zugunsten einer großen Opfererzählung zu verdecken. Als Migrant*innen Opfer von Rassismus oder Ausländerfeindlichkeit zu werden ist schließlich eine andere Erfahrung als die eines politischen und sozialen Umbruchs, der gern auch friedliche Revolution genannt wird. Besonders absurd wird diese Parallelisierung für mich dann, wenn aus einer vermeintlichen allgemeinen Diskriminierungserfahrung „der Ostdeutschen“ rassistische Übergriffe von „Ostdeutschen“ auf Mig­rant*innen erklärt werden sollen.

Gegenwärtig ist diese Erklärung rassistischer Gewalt, durch vermeintliche eigene Diskriminierungserfahrungen, stark im Kommen. Jana Hensel denkt in ihrer Zeit-Kolumne darüber nach, dass sich die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda aus der Erniedrigung der Ostdeutschen erklären lassen könnten.

Das Problem ist für mich an diesem Punkt, dass so die rassistischen Motive der Täter*innen völlig aus dem Blick geraten. Dabei wird so getan, als sei der demonstrierte Rassismus eine Art Reflex auf Konflikte, die durch die „Wende“ und die deutsche Einheit entstanden seien. So enthebt man die Täter*innen aus jeglicher individueller Verantwortung für ihre Handlungen. In diesem Zusammenhang verwundert es im Übrigen nicht, dass Untersuchungsergebnisse über rassistische Gewalttaten und entsprechende Vorurteilsstrukturen in der DDR von vielen Ostdeutschen brüsk abgelehnt bzw. als unwahr zurückgewiesen werden, da diese den angenommenen Opferstatus letztlich in Frage stellen. Diese Untersuchungen zeigen, dass die einfachen DDR-Bürger*innen lange vor 1989 rassistische Täter*innen sein konnten. Wie 1975 in Erfurt konnte es zu pogromartigen Ausschreitungen unter der Aufsicht des SED-Staates kommen.


Wie schätzen Sie die Forderung nach einer postkolonialen Perspektive auf die „Wende“ ein?

Die Verkürzung dieser Perspektive auf einen vermeintlichen westdeutschen Kolonialismus in Ostdeutschland schlägt meiner Meinung nach in dieselbe Kerbe. Dabei wird der Begriff Kolonialismus völlig dekontextualisiert. Es wird behauptet, „die Ostdeutschen“ wären quasi von den westdeutschen Kolonisatoren unterworfen worden. Solche Behauptungen ließen sich in den meisten Fällen widerlegen, doch um einen systematischen Vergleich geht es dabei gar nicht. Es wird ausgelassen, dass die deutsche Einheit ganz wesentlich von ostdeutscher Seite herbeigeführt und forciert wurde. Vor allem werden die tatsächlichen Härten der dann folgenden Transformation gleichgesetzt mit Unterdrückungspraktiken, wie beispielsweise Sklaverei und Völkermorde, was schlicht grotesk ist. Aber es wird der aus diesen Menschheitsverbrechen abgeleitete pathetische Vorwurf eins zu eins übernommen, um eigene Geltungsansprüche zu legitimieren. Das eigene Profitieren von postkolonialen Strukturen wird schlicht verschwiegen und ins Gegenteil verkehrt.

Das vollständige Interview findet man hier:
https://taz.de/Historiker-zu-Ostdeutsch ... /!5606829/

Ein lesenswertes Interview, dessen Inhalt ich nicht so pauschal sehe, aber für Gruppen Ostdeutscher die politisch links- bzw. rechtsaußen anzusiedeln sind, ist es sicherlich zutreffend.
Interessierter
 

Zurück zu Fazit und Vorschau

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast