Historischer Kompromiss

Historischer Kompromiss

Beitragvon Werner Thal » 19. Juni 2020, 15:59

DER SPIEGEL - 26 / 1990 - Historischer Kompromiss

Bonn erwägt, Agenten und Mitarbeiter der Stasi zu amnestieren

In der Lagebesprechung im Kanzleramt hatten die Geheimdienstchefs, die sonst mit ihren Analysen
nur langweilen, Spannendes zu erzählen. Eine stattliche Anzahl von Stasi-Agenten sei in hohen und
höchsten politischen Positionen tätig, in den Zentralen und den Fraktionen der Bonner Parteien, in
den Ministerien und im Kanzleramt.
Nach Informationen des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz gehört dazu sogar ein leibhaftiger
Staatssekretär, der sich dem einstigen DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als Kundschafter
(des Friedens) verpflichtet hatte. Es waren und sind Überläufer aus der DDR, die nach der Wende in
ihrem noch real-existierenden Land solche Informationen als Gastgeschenk präsentierten und auf
mildere Strafe hoffen. "Die haben erzählt und erzählen weiter", berichtet Staatsminister Lutz
Stavenhagen, der im Kanzleramt für die Koordinierung der Geheimdienste zuständig ist. Nach deren
Angaben sind 4000 bis 6000 Stasi-Aufklärer in der Bundesrepublik weggetaucht.
Das geschilderte Ausmaß der Unterwanderung hat die Bundesregierung alarmiert. Ihre Befürchtung:
Das Heer der kleinen und großen Stasi-Späher, das seine Befehlshaber in Ostberlin verloren hat,
könnte von anderen Diensten angeworben werden. "Ich will verhindern, dass der sowjetische KGB
die übernimmt", heißt Stavenhagens Ziel, "ich will, dass die sich offenbaren."
Das Kalkül manches Agenten, im Einigungsrausch unentdeckt davonzukommen, soll aber nicht
aufgehen: "Die Hoffnung muß man denen nehmen. Von drüben wird immer mehr berichtet."
Um den einstigen MfS-Helfern das Bekenntnis zu erleichtern, haben sich Koalitionspolitiker erste Gedanken
über eine Amnestie gemacht. Nach geltendem Recht kann schon auf Strafmilderung bauen, wer
sich reuig den Behörden offenbart oder andere verpfeift. "Aber ich will mehr Straffreiheit", so
Stavenhagen, "für solche Fälle."

https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery ... f/13501551

W. T.
Wer einen Rechtschreibfehler findet, darf ihn behalten.
Russian Military out of Ukraine
русские идут домой
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Werner Thal
 
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