Neuererbewegungen in der DDR...

Neuererbewegungen in der DDR...

Beitragvon Berliner » 27. April 2010, 04:45


Quelle: Die Firma

Dieses kurze Video erzaehlt von der "Neuererbewegung" in der DDR, in diesem Fall spaezifisch auf das MfS bezogen.

Habt Ihr in solchen "Bewegungen" mitgemacht? Wie war das und wie habt Ihr diese aufgefasst?

Ich wuerde mich ueber jede Auskunft freuen! [freu]

Danke,
Berliner [hallo]
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Re: Neuererbewegungen in der DDR...

Beitragvon Stabsfähnrich » 27. April 2010, 10:35

.........die Neuererbewegung in der DDR war Bestandteil des sozialistischen Wettbewerbes und wurde in einzelnen Betrieben und Instututionen besonders gefördert. Bereits in der Lehrzeit wurden krative Ideen angeregt, welche durch die Lehrlingskollektive umgesetzt wurden. Ich kann mich noch an eine Aufgabe erinnern: Ziel war die Einsparung von Kupfermaterial bei Schaltschützen. Nach einigem Experimentieren am heimischen Basteltisch, stand die erste Idee die Schaltschütze in einem Gabelstapler (EFG 1001) durch Thyristoren zu ersetzen. Dazu war es erforderlich, dass sowohl die Steuerspannung als auch der Schaltstrom der Verhältnissen angepasst werden mußte. Zweites Projekt war, eine Entladevorrichtung für 80 Volt Akkus zu entwickeln. Die Akkus wurden trocken geladen angeliefert, nach dem Auffüllen der Betriebssäure erfolgte die Erstladung. Nach Abschluss diese, mußte der Akku auf 20% seiner Betriebsspannung entladen werden um dann wieder mit 80% geladen zu werden. Dafür wurde ein Gerät entwickelt, welches es sogar bis zur MMM (Messe der Meister von Morgen) schaffte.
Auch andere Ideen wurden umgesetzt. So u.a. eine Warnanlage bei nicht anlegen des Sicherheitsgurtes in einem Kraftfahrzeug. Der Aufbau war relativ simpel. Ein Reedkontakt, ein Relais, zwei Kondensatoren, eine Glühlampe, noch ein paar Transistoren und Wiederstände. Das Prinzip der Funktion war auch einfach. Nach dem Starten des Motors, erfolgte über das Zündschloss die Stromzuführung zu unserem Steuerteil. Da bei nicht angelegtem Sicherheitsgurt der Reedkontakt geöffnet war, erfolgte über einen astabilen Multivibrator eine Signalisierung die im Sichtbereich des Fahrzeugführers eingebaute Glühlampe. Sobald der Sicherheitsgurt angelegt war, wurde der Reedkontakt geschlossen und durch abfall des Ruhestromrelais die Signalisierung ausgeschaltet. Der zweite Entwicklungsschritt war, dass über einen bistabilen Multivibrator nach einem Zeitraum von ca. 30 - 45 sek. wenn kein Gurt angelegt wurde, ein akkustisches Signal ertönte. Dritter - leider nicht verwirklichter Schritt - sollte sein, dass nach Ablauf der Zeit ( ca. 50 - 60 sek.) und dem nicht Anlegen des Gurtes, die Zündung ausgeschaltet werden sollte. Über einen Resetschalter, wäre die Anlage wieder in Betrieb. Mit dem Projekt sind wir bei der MMM der Deutschen Post bei den Fachbesuchern gut angekommen.
Übrigens auch das s.g. "Mäusekino" im Trabant ist eine Entwicklung des Neuerwesen. Nachdem die ersten Schaltkreise vom Typ A 277 auf dem Markt kamen, wurde dieses Projekt durch eine Jugendgruppe aus Zwickau entwickelt.
Manchmal entstanden die Ideen auch aus dem alltäglichen Leben. So u.a. nach Änderung der StVO, wo Zweiradfahrzeuge am Tag mit Abblendlicht zu fahren haben. Mal vergaß man es einzuschalten und der Genosse der VP belangte einen mit 10 Mark Verwarngeld. Also wurde in die Stromzuführung der Fahrzeugbeleuchtung ein handelübliches Kfz-Relais geklemmt, welches nach dem Anlassen des Fahrzeugmotors nur das Abblendlicht aufleuchten ließ. Erst beim betätigen des Zündlichtschalters auf die Betriebsart Beleuchtung, wurde auch die Rückleuchte eingeschaltet.
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Re: Neuererbewegungen in der DDR...

Beitragvon Berliner » 28. April 2010, 09:22

Hallo Chris, [knuddel]

zunaechst einen herzlichen Dank fuer die Schilderungen. Es freut mich sehr, dass Du die Zeit gefunden hast um auch hier etwas zu schreiben. Wir hoffen diese Plattform bietet Dir auch eine Alternative oder zumindest eine Abwechslung von Grenzerthemen. [grins]

Zur Erklaerung als Ganzes, bin ich immer von solchen Dingen was den Sozialismus angeht, beeindrueckt. Darin liegt teilweise der Reiz, dass man organiziert etwas zusammen angeht "zum Wohle des Volkes", ein Konzept was mir sehr am Herzen liegt. Uebrigens, von der Elektronik verstehst Du eindeutig viel mehr als ich, die Fachwoerter und technische Begriffe haben mich aber begeistert.... [super]

Dann bedanke ich mich erstmal dafuer und hoffen wir, dass noch jemand (zumindest versucht) diesen Beitrag zu ueberbieten! [crazy]

Gruss ueber den Teich, [hallo]
Duane
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Re: Neuererbewegungen in der DDR...

Beitragvon PKE » 28. April 2010, 10:11

Das war schon eine gute Sache, die Neuererbewegung. Ich habe dazu auch in meinem Sachbuch ""Guten Tag, Passkontrolle der DDR", GNN-Verlag 2008, ISBN 978-3-898129-9, Seite 217/218 einiges beschrieben.
Wir haben damit einiges verbessern können, was auf den normalen Dienstweg angeblich nicht ging. [super]
PKE
 

Re: Neuererbewegungen in der DDR...

Beitragvon CaptnDelta » 28. April 2010, 10:21

PKE hat geschrieben:Das war schon eine gute Sache, die Neuererbewegung. Ich habe dazu auch in meinem Sachbuch ""Guten Tag, Passkontrolle der DDR", GNN-Verlag 2008, ISBN 978-3-898129-9, Seite 217/218 einiges beschrieben.
Wir haben damit einiges verbessern können, was auf den normalen Dienstweg angeblich nicht ging. [super]
Hallo PKE, schoen das Du auch hier bist. Koenntest Du vielleicht einen entsprechenden Auszug reinstellen? Wuerde mich interessieren was man das bei den PKE gemacht hat. Man meint ja immer das die bewaffneten Organe sowieso (fast) alles hatten, von daher ueberrascht das ein bisserl das ihr da auch auf die Neuererbewegung angewiesen ward.

Danke, [hallo]

-Th
..Totalitarianism does not mean that such regimes in fact exercise total control over their people, it means rather that such control is in their aspiration.
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Re: Neuererbewegungen in der DDR...

Beitragvon Stabsfähnrich » 28. April 2010, 12:40

Berliner hat geschrieben:Hallo Chris, [knuddel]

zunaechst einen herzlichen Dank fuer die Schilderungen. Es freut mich sehr, dass Du die Zeit gefunden hast um auch hier etwas zu schreiben. Wir hoffen diese Plattform bietet Dir auch eine Alternative oder zumindest eine Abwechslung von Grenzerthemen. [grins]

Zur Erklaerung als Ganzes, bin ich immer von solchen Dingen was den Sozialismus angeht, beeindrueckt. Darin liegt teilweise der Reiz, dass man organiziert etwas zusammen angeht "zum Wohle des Volkes", ein Konzept was mir sehr am Herzen liegt. Uebrigens, von der Elektronik verstehst Du eindeutig viel mehr als ich, die Fachwoerter und technische Begriffe haben mich aber begeistert.... [super]

Dann bedanke ich mich erstmal dafuer und hoffen wir, dass noch jemand (zumindest versucht) diesen Beitrag zu ueberbieten! [crazy]

Gruss ueber den Teich, [hallo]
Duane


Hallo Duane,
ersteinmal Gruß aus dem sonnigen Brandenburg. Mein Betrag ohne die Begriffe Thyristor, Relais usw., wäre nur ein halber Beitrag gewesen. Oder vielleicht so gesagt: Suppe ohne Salz.
Das Neuererwesen hatte in den meisten Betrieben, Institutionen und Kombinaten einen hohen Stellenwert. Es gab sogar teilweise die Planstelle (Arbeitsplatz) des Leiters Neuererwesen. Neuererleistungen wurden nachdem diese eingeschätzt und für Gut befunden wurden, auch mit einer Prämie gewürdigt. Gleichzeitig war die Anzahl der umgesetzten Neuerervorschläge gut für das Arbeitskollektiv, welches sich (wenn die anderen Faktoren auch stimmten) über den Titel "Kollektiv der sozialistischen Arbeit "freuen" durfte. Dabei ging es weniger um den Titel - vielmehr um die finazielle Zuwendung, welche für einen gemütlichen Brigadetag verwendet wurde.
Bei den bewaffneten Organen waren die Neuerertätigkeiten darauf teilweise gerichtet die Ausbildung zu effektivieren bzw. die Arbeits- und Lebensbedingungen in den Garnisionen zu verbessern.
So entstand u.a. im GR 24 ein Übungsmodell der Staatsgrenze für den Bereich, wo angehende Kommandeure Grenzsicherung (KGSi), die verschiedensten Varianten zur Weg- Zeitberechnung im Rahmen der Abrieglung üben konnten. Vorgesehen war auch, dass auf den einzelnen Führungsstellen Kartenabschnitte ausgehangen werden, wo nach Auslösung des Grenzsignalzaun optisch angezeigt werden sollte 1. Wo war die Auslösung 2. Anzeigen der optimalen Postenpunkte zur Abrieglung. Selbst kleinste Sachen regte die Neuerbewegung an Ideen zu schaffen. So unter anderem die effektivste Gestaltung der B/A Kammer und Schaffung eines Kontroll- und Zählsystems. Letzteres war einfach: An den Regalstreben wurden farbige Markierungen angebracht. Zum Beispiel: erste markierung nach 10 FDA Hosen, zweite Markierung nach 20 FDA Hosen usw. usw.. Zum Unterwäschetausch wurde an den für den Transport benutzten Tragesäcken eine Lichtschranke angebracht (gab es als Elektronikbausatz). In den meisten Fällen erfolgte der Wäschtausch durch den Kompanieschreiber. Dieser warf nun, wie gewohnt die nach Hosen, Hemden und Handtüchern getrennte Wäsche in diese Säcke. Durch die Lichtschranke erfolgte nach gezieltem Wurf eine Zählung der Würfe, welche dann auf einer LED Anzeige (VQA 71) die Stückzahl der jeweiligen Wäschstücke in diesem Tragesack anzeigte. Durch diese Neuereridee, konnte der Kompanieschreiber in nur der hälfte der Zeit - da ja das mühseelige und unangenehme Zählen der Wäschestücke entfiel - sich dann besserern Aufgaben zuwenden, wie in etwa dem Ausfüllen der heißbeliebten Urlaubsscheine.
Stabsfähnrich
 

Re: Neuererbewegungen in der DDR...

Beitragvon karl143 » 28. April 2010, 14:27

Hallo Stabsfähnrich,
ich hatte mich aus diesem Thread herausgehalten, weil ich von der "Neuererbewegung" einfach zu wenig wußte.
Dein Beispiel mit den Wäschesäcken war ne gute Vorstellung und jetzt ist sogar mir klar, worum es ging. Danke
dafür.
karl143
 

Re: Neuererbewegungen in der DDR...

Beitragvon Berliner » 28. April 2010, 20:21

hier zwei Clips zum Thema, die ich gerade gefunden habe. [grins]

Duane [hallo]

Quelle: 50 Jahre Trabant ...unvergessen!


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Re: Neuererbewegungen in der DDR...

Beitragvon Berliner » 29. April 2010, 02:28

Stabsfähnrich hat geschrieben:Hallo Duane,
ersteinmal Gruß aus dem sonnigen Brandenburg. Mein Betrag ohne die Begriffe Thyristor, Relais usw., wäre nur ein halber Beitrag gewesen. Oder vielleicht so gesagt: Suppe ohne Salz.
Das Neuererwesen hatte in den meisten Betrieben, Institutionen und Kombinaten einen hohen Stellenwert. Es gab sogar teilweise die Planstelle (Arbeitsplatz) des Leiters Neuererwesen. Neuererleistungen wurden nachdem diese eingeschätzt und für Gut befunden wurden, auch mit einer Prämie gewürdigt. Gleichzeitig war die Anzahl der umgesetzten Neuerervorschläge gut für das Arbeitskollektiv, welches sich (wenn die anderen Faktoren auch stimmten) über den Titel "Kollektiv der sozialistischen Arbeit "freuen" durfte. Dabei ging es weniger um den Titel - vielmehr um die finazielle Zuwendung, welche für einen gemütlichen Brigadetag verwendet wurde.


Die Sozialisten haben es vorausgesagt, heutzutage nennen sie sich "CIP Coordinators" oder Continuous Improvement Coordinators, eine sehr logisch, nachvollziehbar und noetige Entwicklung, wie es sich gehoert.

Stabsfähnrich hat geschrieben:Bei den bewaffneten Organen waren die Neuerertätigkeiten darauf teilweise gerichtet die Ausbildung zu effektivieren bzw. die Arbeits- und Lebensbedingungen in den Garnisionen zu verbessern.
So entstand u.a. im GR 24 ein Übungsmodell der Staatsgrenze für den Bereich, wo angehende Kommandeure Grenzsicherung (KGSi), die verschiedensten Varianten zur Weg- Zeitberechnung im Rahmen der Abrieglung üben konnten. Vorgesehen war auch, dass auf den einzelnen Führungsstellen Kartenabschnitte ausgehangen werden, wo nach Auslösung des Grenzsignalzaun optisch angezeigt werden sollte 1. Wo war die Auslösung 2. Anzeigen der optimalen Postenpunkte zur Abrieglung.


hier ein kurzer Clip mit Hagen Koch zur Neuerertaetigkeit der GT in Berlin.


Quelle: Flucht aus Berlin

Stabsfähnrich hat geschrieben:Selbst kleinste Sachen regte die Neuerbewegung an Ideen zu schaffen. So unter anderem die effektivste Gestaltung der B/A Kammer und Schaffung eines Kontroll- und Zählsystems. Letzteres war einfach: An den Regalstreben wurden farbige Markierungen angebracht. Zum Beispiel: erste markierung nach 10 FDA Hosen, zweite Markierung nach 20 FDA Hosen usw. usw.. Zum Unterwäschetausch wurde an den für den Transport benutzten Tragesäcken eine Lichtschranke angebracht (gab es als Elektronikbausatz). In den meisten Fällen erfolgte der Wäschtausch durch den Kompanieschreiber. Dieser warf nun, wie gewohnt die nach Hosen, Hemden und Handtüchern getrennte Wäsche in diese Säcke. Durch die Lichtschranke erfolgte nach gezieltem Wurf eine Zählung der Würfe, welche dann auf einer LED Anzeige (VQA 71) die Stückzahl der jeweiligen Wäschstücke in diesem Tragesack anzeigte. Durch diese Neuereridee, konnte der Kompanieschreiber in nur der hälfte der Zeit - da ja das mühseelige und unangenehme Zählen der Wäschestücke entfiel - sich dann besserern Aufgaben zuwenden, wie in etwa dem Ausfüllen der heißbeliebten Urlaubsscheine.


Bei dieser Geschichte kann man leicht ins Schmuenzeln kommen, als man vorstellt wie jedes Stueck Unterwaesche die Zaehler "erklingen" laesst. Das nennt man aber wirklich ueberholen ohne einzuholen! [knuddel]

Chris, ich bedanke mich recht herzlich fuer die wertvollen, sachlichen und auch unterhaltenden Zeitzeugenberichte! Wahrscheinlich als Dank, wirst Du nur noch mehr Fragen bekommen. Hoffentlich ist das i.O..[peinlich]

Gruss, [hallo]
Duane
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Re: Neuererbewegungen in der DDR...

Beitragvon Stabsfähnrich » 29. April 2010, 06:02

Mein lieber Duane,
ich freue mich doch, wenn mein Beitrag Fragen bei Anderen Usern aufwirft. Zeigt es, dass der Beitrag auch gelsen und verstanden wurde. Geniale Erfindungen - wie zum Beispiel - das UFO sind nicht in der Neuerbewegung eingegangen, sondern leider nur zum Ärger der Dienstvorgesetzten. Warum das Teil UFO hieß??????? Das Prinzip war relativ einfach. Man nehme zwei Rasierklingen oder auch die Transport- und Aufbewahrungsschachtel für die Klarsichtscheiben der Truppenschutzmaske (TSM). Am besten ich erkläre weiter mit den Rasierklingen. Beide Rasierklingen wurden elektrisch getrennt mittels eines Spezialknopfes, welcher u.a. am Schutzanzug vorhanden war mechanisch verbunden. Dieser Knopf war verschraubbar. Was man noch benötigte war ein zweiadriges Netzkabel. Das eine Ende des Kabels kam an je eine der beiden Rasierklingen, am anderen Ende befanden sich s.g. Bannanenstecker. Letztere waren frei verkäuflich, hingegen Schukostecker nur nach Vorlage eines Berechtigungscheines - für Elektrofachkräfte - verkauft wurde. Normale Stecker ohne Schutzkontakt hätten auch funktioniert, jedoch hätte oben und unten je eine Kerbe (damit er in eine Schkosteckdose passt) eingearbeit werden müßen. Nachdem dieses Gerät fertig gestellt war, mußte als erstes die Sicherung auf dem Kompanieflur "verstärkt" werden. Dazu wurde einfach ein Pfennig in die Schraubsicherung geklemmt. Anschließend wurde den Nachbarstuben mitgeteilt, dass UFO-Time ist. Dies war notwendig um zu vermeiden, dass gleichzeitig zwei UFO`s in Betrieb waren. Sollte dies ausversehen doch mal geschehen, konnte man den Kabelverlauf auf der Wand sehen, ohne den Putz zu entfernen.
Nachdem diese wichtigen Vorbereitungen abgeschlossen waren, zog man sich einen oder auch beide Dreifinger Arbeitshandschuhe an. Eine Alukanne mit ca. einem Liter Fassungsvermögen gefüllt mit Wasser stand bereit. In diese wurde freihängend das UFO getaucht und anschließend die beiden Stecker in die Steckdose eingeführt. Nach ca. 5-8 sek, hatte man heißes Wasser. 10 Liter Wasserzubereitung dauerte in der Regel ca. 30 sek..
Thema Bratwurst. Auch dies leicht zu bewerkstelligen. Man nehem eine Bockwurst, zwei Metallstricknadeln sowie eine Kraftstromsteckdose. Durch die beiden Enden der Wurst die Nadel durch gestochen, dann in die abgeschaltete Kraftstromsteckdose - nach TGL mußte diese sein, also nicht die heute gebräuchlichen runden - dann Strom zuschalten, ca. 10 sek. warten und fertig war die Bratwurst.
So jetzt genug damit, schließlich sind wir beim Neuererwesen.
Stabsfähnrich
 

Re: Neuererbewegungen in der DDR...

Beitragvon CaptnDelta » 29. April 2010, 06:27

Aja, das Thema gefaellt mir [grins] .

Ich hatte in in der Schulzeit einen "Kurzschlussstecker" dabei. Einfach ein Schukostecker, welcher intern mit einem kurzen, gut dimensionierten Stueck Kupferdraht kurzgeschlossen war. Da kam besonders gut zur Wirkung wenn man im Musikunterricht nicht zum xten Mal das gleiche Arbeiterlied hoeren wollte. Einfach Stecker in die naechste Steckdose (ich sass zum Glueck neben einer) und gut war's. Bis jemand 'ne neue Sicherung gefunden hatte war die Stunde 'rum.
Auch die Propagandafilme (Schni..) in Stabue konnte man damit recht gut umgehen. Stecker 'rein bevor "Schni" auf dem Bildschirm erschien, und es wurde eine Diskussionsstunde gemacht. [flash]

Obwohl das mit dem Stecker fast alle in meiner Klasse gewusst haben hat mich nie einer verpfiffen... [mundzu]

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Re: Neuererbewegungen in der DDR...

Beitragvon karl143 » 29. April 2010, 07:23

@ CaptnDelta,
ich bin erschüttert. Da ist ja ein Saboteur bei uns im Forum. Wenn das jemand rausbekommen hätte, dann wäre aber bestimmt
Ärger über dich gekommen. Vor allen Dingen, wenn die Schulleitung die bisherigen Akte der Sabotage dir dann alle zugerechnet hätten.
karl143
 

Re: Neuererbewegungen in der DDR...

Beitragvon Berliner » 1. Mai 2010, 20:50

Hallo Chris, [knuddel]

nochmals vielen Dank fuer die unterhaltsamen Schilderungen. [grins]

Stabsfähnrich hat geschrieben:Beispiel - das UFO sind nicht in der Neuerbewegung eingegangen, sondern leider nur zum Ärger der Dienstvorgesetzten. Warum das Teil UFO hieß??????? Das Prinzip war relativ einfach. Man nehme zwei Rasierklingen oder auch die Transport- und Aufbewahrungsschachtel für die Klarsichtscheiben der Truppenschutzmaske (TSM). Am besten ich erkläre weiter mit den Rasierklingen. Beide Rasierklingen wurden elektrisch getrennt mittels eines Spezialknopfes, welcher u.a. am Schutzanzug vorhanden war mechanisch verbunden. Dieser Knopf war verschraubbar. Was man noch benötigte war ein zweiadriges Netzkabel. Das eine Ende des Kabels kam an je eine der beiden Rasierklingen, am anderen Ende befanden sich s.g. Bannanenstecker. Letztere waren frei verkäuflich, hingegen Schukostecker nur nach Vorlage eines Berechtigungscheines - für Elektrofachkräfte - verkauft wurde.


Hier ein Auschnitt des Films "Die Legende von Rita". Ich dachte das waere ein Einzelfall, jetzt bin ich eines besseren belehrt worden. [grins]





Schoen, dass soviel dieses Risiko im Namen der Wissenschaft und des menschlichen Fortschritts eingegangen sind.

Stabsfähnrich hat geschrieben:Nachdem dieses Gerät fertig gestellt war, mußte als erstes die Sicherung auf dem Kompanieflur "verstärkt" werden. Dazu wurde einfach ein Pfennig in die Schraubsicherung geklemmt.


Diese Verwendung eines Pfennigstuecks ist auch hier bekannt und wurde damals von meinem Wissenschaftslehrer so geschildert:

"...und wenn eine Sicherung durchgebrannt ist, einfach einen Penny reinschrauben. Wenn der Brandermittler kommt und den Kasten aus den Aschen hebt, dann wird die Ursache leicht nachzuvollziehen..."

[laugh]

Chris, nochmals Danke. Du opferst sehr viel Zeit im Namen der Technik, was ich ganz gut finde. [heart]

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Re: Neuererbewegungen in der DDR...

Beitragvon SkinnyTrucky » 1. Mai 2010, 21:10

Der Findungsreichtum der Menschen im Osten war sehr groß....klar, das man sich das auch staatlich und innerbrieblich zu Nutze machte....wir waren immer auf Weltniveau....zwei Jahre später als der Rest.... [laugh]

Spaß beiseite....man versuchte immer kompetente Lösungen zu finden....und fand sie auch....die Qualität der ostprodukte zeigte das.....unverwüstlich war das....und das zeigt sich noch heute.....der ganze Billigkram mit dem man heut zu tun hat is doch nur aus dringendem Konssum entstanden.....hat eh keine Qälität mehr....jedefalls nich die, die wir uns in der DDR zusammengeschustert haben..... [muede]

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Re: Neuererbewegungen in der DDR...

Beitragvon Stabsfähnrich » 4. Mai 2010, 10:01

bei der Recherche zu diesem Thema, bin ich auf das Elektronische Jahrbuch 1990 gestoßen. In diesem werden u.a. Neuertätigkeiten bzw. Projekte der Neuerbewegung in der NVA und den Grenztruppen der DDR beschrieben.
* Datenprüfgerät für Funkempfänger KW REV 251M: Prüfgerät zu Überprüfung der parallelen Schnittstelle des Funkempfängers, eigereicht durch Neuererkollektiv Uffz. S. - PF 63263 in 4500 Dessau
Arbeitsplatz mit Fehlersimunlation auf Leiterplatten: Durch einen Zufallsgenerator werden defekte digitale Bauelemente simuliert. Der Auszubildene hat den Fehler zu finden und auf dem Bildschirm mit dem Cursor zu markieren, eingereicht durch MMM-Kollektiv Major C. PF 35879/D in 8290 Kamenz (NVA)
* Diagnosegerät für Funkgerät: Die Schnittstellenschaltung ermöglicht eine rechnerunterstütze Simulation von Fehlern an Nachrichtengeräten im Rahmen der Diagnoseausbildung, eingereicht durch Jugendneuererkollektiv Oberstleutnant M. PF 35802/ND in 8722 Löbau (NVA)
* Lichtgriffel für KC 85/2: Durch den Lichtgriffel werden die Grafikeigenschaften des KC 85/2 ausgenutzt. Der Lichtgriffel erfüllt die Aufgaben des Kursors zum Skizzieren von Displaybildern oder Schalthandlungen. Effektivierung der Ausbildung. Eingereicht durch Neuererkollektiv Major F. PF 35802/ND in 8722 Löbau (NVA)
* Antennenarbeitsplatz mit Lehrantenne: Die lehrantenne veranschaulicht komplizierte kinematische Zusammenhänge. Durch Anschluß- und Prüfmittel werden eine vollständige Diagnose und Instandsetzung möglich. Eingereicht: Kollektiv mit MMM Auftrag Oberstleutnant R. PF 14413/6 in 1260 Strausberg (MfNV)
* Fernschreib-Funk-Trainer FFT-88: dieses Gerät gestattet gelichzeitige Ausbildung und Leistungskontrolle von 24 Schülern unter berücksichtigung des individuellen Ausbildungsstandes. Einsparung: 20% der Ausbildungszeit und exakte Leistungsüberprüfung. Eingereicht: MMM Kollektiv Leutnant D. PF 66064 in 1200 Frankfurt an der Oder (NVA)
* Komplexer Meß- und Prüfplatz auf der Basis KC 85/2 und Drucker K 6113: ermöglicht die rationelle Darstellung über die Einsatz- und Funktionsfähigkeit elektronischer Baugruppen, meldet den Ausfall von Baugruppen, die Fehlerursache, den Materialbedarf und die Instandsetzungszeit. Einsparung: Steigerung der Arbeitsproduktivität um 75% und ökonomische Einsparung von 10.000.- Mark. Eingereicht: Jugendneuererkollektiv Stabsfähnrich H. PF 16613 N in 1600 Königs Wusterhausen (GT d. DDR)
Messplatz.jpg
Lichtgriffel.jpg
Funkplatz.jpg
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Re: Neuererbewegungen in der DDR...

Beitragvon Hans-Peter » 6. Mai 2010, 10:42

VEB Energiekombinat Nord Gasverteilung... Die Gaszähler - zum Auswechseln gegen defekte bestimmt - stapelten sich in Kartons im ersten Stock über der Werkstatt. Nach unten gab es zwar eine stets offene Ladeluke. Aber die Gasuhren wurde in ihrer Verpackung stets über einen verwinkelten Treppengang herauf oder herunter geschleppt. Schon öfter hatte die Belegschaft darüber geredet, sich die Arbeit durch Anbringen eines von Hand bedienten Flaschenzuges zu erleichtern. Das könne man ja sogar zu Ehren des 25. Jahrestages der DDR als Neuerervorschlag einreichen, schlug einmal ein Vorgesetzter aus der mittleren "Chefetage" ernsthaft vor. Vielleicht gäbe es ja dafür sogar eine Prämie...
Wenn jemand auf ein Bier in die Gastwirtschaft kam, der mal einen Neuervorschlag gemacht hatte, musste er sich manchmal auch solche Sprüche anhören wie "Hast Du einen Bierkrug für Linkshänder erfunden?" Will heißen, dass die Neuererbewegung auch oft mit Schall und Rauch propagiert wurde... [laugh] [flash]
Hans-Peter
 

Re: Neuererbewegungen in der DDR...

Beitragvon SkinnyTrucky » 28. August 2013, 16:03

Ein superinteressanter Thread und ich denke bei den vielen neueren User hier im Forum gibt es sicher noch viel mehr zu erzählen zum Thema.... [wink]

Was meint ihr dazu.... [ich auch]


groetjes

Mara
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Re: Neuererbewegungen in der DDR...

Beitragvon Hausfreund » 29. August 2013, 00:17

Groetjes Mara!

Die "Neuerbewegung" in der DDR war eigentlich Blödsinn, ein kariertes Zebra gewissermaßen, weil die staatliche Planwirtschaft nicht auf Veränderung hin angelegt war, also etwa so "alternativlos" wie die Energiewende einer gewissen Diplomphysikerin.

Trotzdem bot dieser staatliche Phrasenschirm zeitweise die Möglichkeit gewisser kreativer Spielereien innerhalb des drögen sozialisten Alltags. Ich habe mich in dieser Zeit beispielsweise an interessanten Computer-Programmen versucht für gewisse chemische Analysen, die natürlich nie realisiert wurden.

Will sagen: Sowas gehört auf privatwirtschaftliche Grundlagen!

mfG
Hausfreund
 

Re: Neuererbewegungen in der DDR...

Beitragvon Volker Zottmann » 29. August 2013, 10:08

Um 1974 wurden wir genötigt, Neuerervorschläge einzureichen. Mein Bauschlosser zwinkerte mir zu und dann waren wir zwei, er etwa 50 und ich als Jungmeister Anfang 20 ein "Jugendneuererkollektiv".
Arno sagte, wir reichen wieder mal meinen alten Vorschlag ein:
Er bog dazu lediglich vier 12mm Rundstähle 2x rechtwinklig ab, und unsere "Erfindung" war fertig.
Wir haben dann eine Skizze gefertigt und jeder 25.- Ostmark bekommen. Die Eisen dienten zum Tragen von Betonhohldielen. Jeder hatte dann 2 Teile zum Tragen. Man brauchte sich nicht mehr bücken. Die Dinger in die Dielenlöcher gesteckt, und dann weggetragen... Das war echt überholen ohne einzuholen. [flash]

Gruß Volker
Volker Zottmann
 


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