Intrigen und Verhöre

Intrigen und Verhöre

Beitragvon Interessierter » 8. September 2017, 12:14

Ein Zeitzeuge berichtet:

Fall 1
Als ich 1957 im Roburwerk tätig war, wurde am 1. März zum ersten Jahrestag der NVA Gründung vom BGLer (Betriebsgewerkschaftsleiter) ein Ansteckabzeichen verkauft, welche einen Soldaten mit Gewehr darstellte. Der BGLer heftete es mir persönlich an meine blaue Arbeitsjacke. Kaum war er verschwunden, kam ein im Betrieb bekannter Revoluzzer. Mit den Worten, wir sind Arbeiter und brauchen keine Waffen, zwickte er mit dem Seitenschneider das Gewehr weg. Obwohl man schon mehrmals versucht hatte ihn auf Kurs zu trimmen, war er als renitenter Gast in Hohenschönhausen und Bautzen bekannt. Nachdem die Spezialkurse keinen Erfolg zeigten, beauftragte man ihn im Werk mit der niedrigsten Arbeit, er musste Materialientauchversuche in Säurebädern durchführen.

Nach dem Attentat auf mein Abzeichen waren ungefähr zwei Stunden vergangen, als plötzlich der Parteisekretär vor mir stand und das beschädigte Abzeichen sah. Er fragte, woher ich das habe, ich antwortete vom BGLer. Er bohrte weiter, ob ich das Gewehr heraus gezwickt habe, meine Antwort war nein. Nun sollte ich ihm den Namen des Übeltäters nennen. Zunächst stellte ich mich dumm und sagte, dass ich nicht weiß, wer dies gemacht habe.

Im Weggehen sagte er, das werden wir bald herausfinden. Nach ca. 30 Minuten erschien ein Werkschutzmann und forderte mich auf mitzukommen. Er brachte mich in den Konferenzraum, wo bereits die ganze Führungselite Werksleiter, Abteilungsleiter, Kaderleiter, Gewerkschaftsleiter, Meister, Brigadier und natürlich der Parteisekretär versammelt war und mich erwartete. Ich sollte nun den Namen des Kollegen preisgeben, welcher das Abzeichen verunstaltet habe. Da ich Böses ahnte, hatte ich mir, um den Kollegen nicht zu verraten, schon eine Antwort zurecht gelegt, Meine Arbeitsjacke habe längere Zeit unbeaufsichtigt am Haken gehangen. Die Beschädigung entziehe sich daher meiner Kenntnis.

Irgendwann wurde es ihnen zu dumm und sie riefen den Staatssicherheitsdienst an, welcher mich sofort in einem unauffälligen PKW zur Vernehmung abholte und ins Politbüro fuhr. Man führte mich in einen abgedunkelten Raum und bedeutete mir, mich zu setzen und zu warten. Im karg eingerichteten Zimmer konnte ich in der Dunkelheit vor dem Tisch nur einen Stuhl entdecken, während dahinter zwei standen. Auf dem Tisch standen links und rechts eine riesige Lampe. Ungeduldig harrte ich der Dinge die da kommen sollten. Beinahe wäre ich vor Schreck vom Stuhl gefallen, als die Lampen mit lautem klacken angingen. Ich hörte zwei Männer hereinkommen, die sich hinter den Lampen mir gegenüber setzten und gleich das Kreuzverhör eröffneten. Mit vollem Lichtschein im Gesicht, sollte ich ihre Fragen beantworten und den Namen des Kollegen nennen, welcher das Abzeichen beschädigt habe.

Nachdem ich immer die gleichen Angaben machte, wurden sie aggressiv und drohten mit Konsequenzen. Nun drehte ich den Spieß um und verlangte, dass mein Pflegeonkel zum Verhör hinzugezogen wird. Als sie fragten, wer das sei, nannte ich den Namen, kaum hatte ich ihn ausgesprochen, änderte sich die Situation. Da mein Pflegeonkel als Hauptwachtmeister die Fronfeste (Stadtgefängnis) leitete und seit 1925 der kommunistischen Partei angehörte, war er allseits sehr bekannt.

Die Herren hatten es plötzlich sehr eilig und brachen das Verhör ab. Sie schickten mich zu Fuß in meinen Betrieb zurück. Inzwischen hatte man den Kollegen auf Verdacht nach Bautzen gebracht. Da ich seinen Namen nicht preis gegeben hatte, wurde er am nächsten Tag wieder freigelassen. Hinter vorgehaltener Hand war es Stadtgespräch bei Gleichgesinnten. Irgendwie war ich stolz und freute mich, dass ich den aufputschenden Gegenspielern eins auswischen konnte.

Weitere Fälle findet man hier:
http://www.bayrischer-trabant-club.de/K ... d-verhoere

Diese Erlebnisse des Zeitzeugen widersprechen aber der hier im Forum getätigten Aussage, dass man problemlos am Arbeitsplatz Kritik äißern konnte.
Interessierter
 

Re: Intrigen und Verhöre

Beitragvon Volker Zottmann » 8. September 2017, 14:43

Zumindest war es 1957 wesentlich gefährlicher laut seine Meinung zu sagen, als 1987.
Für einen falschen Satz konnte man 1957 für mehrere Jahre in Bautzen verschwinden.
In den 1980ern hat man hingegen eher versucht Aufmüpfige zu erfinden, um sie frisch eingesperrt in den Westen verkaufen zu können.

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: Intrigen und Verhöre

Beitragvon Merkur » 8. September 2017, 16:06

Interessierter hat geschrieben:Ein Zeitzeuge berichtet
Irgendwann wurde es ihnen zu dumm und sie riefen den Staatssicherheitsdienst an, welcher mich sofort in einem unauffälligen PKW zur Vernehmung abholte und ins Politbüro fuhr.


Und die Vernehmung im Politbüro hat bestimmt Staatssicherheitsdienstminister Mielke persönlich durchgeführt. [wink]
Selbstverständlich muss jeder seine individuelle Sicht bzw. Meinung haben und schreiben. Quelle: Augenzeuge.
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Re: Intrigen und Verhöre

Beitragvon Volker Zottmann » 8. September 2017, 17:38

Selbst wenns nur ein dummer Zungenschlag war, Politbüros gab es in jedem Kreis, Bezirk und auch in jeder NVA-Einrichtung. Oder hat der Genosse Politnik nur auf dem Klo gesessen? Von Zentralkommitee der SED stand nichts geschrieben und somit auch nichts von DEM Politbüro.

Volker
Volker Zottmann
 

Re: Intrigen und Verhöre

Beitragvon Merkur » 8. September 2017, 17:44

Volker Zottmann hat geschrieben:Politbüros gab es in jedem Kreis, Bezirk und auch in jeder NVA-Einrichtung.
Volker


Ja, die hießen dann Kreis- oder Bezirksleitung der SED oder bei der NVA Politabteilung bzw. Dienstzimmer des Stellvertreters des Kommandeurs für Politische Arbeit. Es gab nur ein Politbüro und das war in Berlin.
Selbstverständlich muss jeder seine individuelle Sicht bzw. Meinung haben und schreiben. Quelle: Augenzeuge.
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Re: Intrigen und Verhöre

Beitragvon Volker Zottmann » 8. September 2017, 18:52

Korinthen....
das ist wie mit dem Kreml. Den gabs nicht nur in Moskau, die gabs in jeder größeren Stadt in Sowjetrussland, selbst in Neubrandenburg.... da hieß die SED-Bezirksleitung so, zumindest im Volksmund.

Volker
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Re: Intrigen und Verhöre

Beitragvon Merkur » 9. September 2017, 10:40

Volker Zottmann hat geschrieben:selbst in Neubrandenburg.... da hieß die SED-Bezirksleitung so, zumindest im Volksmund.
Volker


Und Johannes Chemnitzer war der Generalsekretär. [wink]
Selbstverständlich muss jeder seine individuelle Sicht bzw. Meinung haben und schreiben. Quelle: Augenzeuge.
Merkur
 
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Re: Intrigen und Verhöre

Beitragvon Volker Zottmann » 9. September 2017, 11:02

Merkur hat geschrieben:
Volker Zottmann hat geschrieben:selbst in Neubrandenburg.... da hieß die SED-Bezirksleitung so, zumindest im Volksmund.
Volker


Und Johannes Chemnitzer war der Generalsekretär. [wink]

Da erzählst Du mir nichts neues. [grins]
Volker Zottmann
 


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