Als Amerika die DDR mit Kartoffelkäfern überfiel

Als Amerika die DDR mit Kartoffelkäfern überfiel

Beitragvon Interessierter » 10. Juli 2017, 14:27

Da drei Threads in denen der " Kartoffelkäfer thematisiert wurde, gesperrt sind, dazu auch noch dieses:

Im Mai 1950 litt Ostdeutschland unter einer Schädlingsplage. Die SED machte die USA verantwortlich. Dabei wusste das Politbüro es besser

Es ist der 23. Mai 1950, ein Dienstag. Bauer Max Tröger aus Schönfels in Sachsen bemerkt gegen 14 Uhr zwei Flugzeuge, die aus Westen in Richtung Werdau fliegen. Tröger denkt sich zunächst nichts dabei; doch wenig später wimmelt es auf seinem Feld von Kartoffelkäfern. Während er in den Tagen zuvor keinen einzigen Schädling entdeckt hat, sammelt Tröger bis Ende des folgenden Tages etwa 500 Stück ein. Auch zwei Nachbarn finden die etwa einen Zentimeter großen Schädlinge mit der typisch gelben Farbe und den fünf schwarzen Längsstreifen auf jedem Flügel. So früh und so schlagartig, wie sie es noch nicht erlebt haben.

Zwei Wochen später beobachtet der Straßenwärter Heinrich Weber aus Horsmar im Kreis Mühlhausen (Thüringen) bei Routinearbeiten am Grünstreifen ein sehr niedrig fliegendes Flugzeug; auch zwei Kollegen aus dem benachbarten Ammern registrieren die Maschine. Unmittelbar danach entdecken sie massenhaft Kartoffelkäfer; in einer schnell organisierten Suchaktion werden 9297 Insekten aufgesammelt.

Längst hat sich herumgesprochen, wem die DDR-Bürger die plötzliche Plage zu verdanken hätten. Denn seit Ende Mai berichten die Zeitungen über einen „ungeheuerlichen verbrecherischen Anschlag“, dem man auf die Spur gekommen sei. Amerikanische Flugzeuge, die sich außerhalb der üblichen Flugkorridore bewegten, würden Kartoffelkäfer abwerfen. Am 16. Juni wird das sozusagen amtlich bestätigt. Das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ erscheint mit der Schlagzeile: „Außerordentliche Kommission stellt fest: USA-Flugzeuge warfen große Mengen Kartoffelkäfer ab.“ Die Zeitung veröffentlicht den Bericht einer Regierungskommission von Agrarstaatssekretär Paul Merker. [laugh]

Einen Tag später bringt das „Neue Deutschland“ eine Sprachregelung unters Volk: „Viele Hände greifen zu und nehmen aktiv am Kampf gegen den Amikäfer teil, wie ihn die Bevölkerung zu nennen beginnt.“ Damit hat der Feind einen griffigen Namen; das Schlagwort „Amikäfer“ stammt von Agrarstaatssekretär Merker. Bertolt Brecht greift die Wortschöpfung gleich in seinem Gedicht „Die Ammiflieger“ auf, in dem es am Schluss heißt: „Die Ammikäfer fliegen/ silbrig im Himmelszelt/ Kartoffelkäfer liegen/ in deutschem Feld.“

Die Berichte über die Kartoffelkäferplage und seine Verursacher verstärken in der DDR das Misstrauen gegenüber den USA. Der parallel einsetzende Korea-Krieg scheint den Eindruck der skrupellosen Amerikaner zu bestätigen. Bei mangelnder Wachsamkeit, so die DDR-Regierungskommission, kämen nach dem Kartoffelkäfer die Pest und die Atombombe.

Die sowjetische „Tägliche Rundschau“ liefert eine Begründung für das Vorgehen der USA: „Die ständig steigende Verbesserung der Versorgungslage in der Republik sowie das im Volkswirtschaftsplan 1950 festgelegte Ziel, die Lebensmittelrationierung (mit Ausnahme von Fleisch und Fett) noch in diesem Jahre aufzuheben, ist den amerikanischen Imperialisten gehörig auf die Nerven gegangen. Immer mehr müssen sie erkennen, dass ihr Gefasel von dem ,Niedergang der Wirtschaft in der Ostzone‘ auch in Westdeutschland keinen Glauben mehr findet.“ Die USA versuchten deshalb, die Landwirtschaft der DDR zu schädigen, und da dies „naturgemäß auf legalem Wege niemals möglich ist, scheuen sie auch vor abscheulichsten Verbrechen nicht zurück“.

Es soll noch bedrohlicher werden. Während bislang nur von vereinzelten Flugzeugen die Rede war, meldet die DDR-Nachrichtenagentur ADN, amerikanische „Kartoffelkäfer-Geschwader in Stärke von 45 Flugzeugen“ seien mit unkenntlich gemachten Hoheitsabzeichen in das Kreisgebiet von Worbis in Thüringen eingeflogen. Bei der sofort in ganz Thüringen eingeleiteten Suche nach „feindlichen Kartoffelkäfern“ habe man 54.000 Käfer und 925 Eigelege am Boden zerstört. Die Plage bedroht das Hauptnahrungsmittel in der DDR – und das in einer Phase, in der die Versorgungslage entgegen der Jubelberichte schon denkbar schlecht ist. Staatssekretär Merker hat Anfang 1950 in einem Beitrag für die SED-Funktionärszeitschrift „Neuer Weg“ offen zugegeben, dass die Regierung über keine Kartoffelreserve verfüge und Schwierigkeiten habe, der Bevölkerung die festgelegten Rationen zu liefern. [flash]

Doch auch ohne Kriegseinsatz breitete sich die Plage Richtung Osten aus. Das NS-Regime gründete einen „Abwehrdienst“, der 1941 rund 650 Mitarbeiter beschäftigte und über 20.000 Gemeinden überwachte. Um eine Ausbreitung des Käfers zu verhindern, setzte man auf Propaganda – und schickte die Bevölkerung in Suchkolonnen auf die Felder. An öffentlichen Gebäuden hing nicht selten die Parole: „Sei ein Kämpfer, sei kein Schläfer, acht’ auf den Kartoffelkäfer.“

Angesichts dieser „Vorgeschichte“ ist es nicht schwer, das Tierchen in den Kalten Krieg hineinzuziehen. Zumal das Gerücht 1948 unverhofft Nahrung erhalten hat: Westdeutsche Zeitungen melden aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen mysteriöse Funde von Käferlarven in Gummibeuteln. 1949 veröffentlicht der „Anzeiger für Schädlingskunde“ einen Artikel über Funde, die durch Abwürfe von Flugzeugen „unbekannter“ Nationalität erfolgt seien. Wahrscheinlich stammen diese Schädlinge aus Wehrmachtsbeständen.

Tatsächlich nimmt die Verbreitung der Kartoffelkäfer 1950 in der DDR drastisch zu. Sind 1949 von der Gesamtkartoffelanbaufläche nur 5,9 Prozent befallen, zählt man nun mehr als dreimal so viel, nämlich 18,9 Prozent. Doch damit steht die DDR nicht allein, wie eine internationale Konferenz Ende Februar 1950 in Florenz zeigt: Der Kampf gegen den Kartoffelkäfer ist seit dem Ende des Krieges von vielen Staaten vernachlässigt worden.

Davon können sich die DDR-Verantwortlichen bei Inspektionen überzeugen. Von der Abteilung Pflanzenschutz des Agrarministeriums werden bis zum Juni intern drei Faktoren als Ursachen für die starke Ausbreitung nach 1945 in der sowjetischen Zone genannt: Zusammenbruch der Organisation des Abwehrdienstes, Mangel an geeigneten chemischen Mitteln und Desinteresse an Pflanzenschutzarbeiten als allgemeine Folgen der chaotischen Nachkriegsverhältnisse – also „hausgemachte“ Versäumnisse. Das Urteil: „Die Gefahr für die nächsten Jahre ist zu groß, um achtlos darüber hinwegzugehen.“

Zu diesen Versäumnissen – übrigens auch in der Bundesrepublik – kommt noch das Wetter hinzu. Der DDR-Pflanzenschutzdienst stellt fest, dass die für die Käfer günstige Witterung zur „vollen Entwicklung einer zweiten Generation im Jahre 1949“ geführt habe. Die Folge sei im Frühjahr 1950 eine massive Zunahme von „Altkäfern“. So erklärt sich die als rätselhaft dargestellte Häufung erwachsener Tiere. Anders als die Regierungskommission findet der Pflanzenschutzdienst also für die Verbreitung natürliche Ursachen. Schon vor der angeblichen US-Attacke gibt es auf auf die DDR-Feldern sogenannte Suchtage. Eine „Anordnung“ vom 2. März 1950 verpflichtet die ostdeutschen Länder, 550 bewegliche Kolonnen zur Kartoffelkäferbekämpfung aufzustellen. Alle Kreise der DDR werden in drei Bekämpfungsgruppen eingeteilt – viele der späteren Fundorte tauchen in der Gruppe I auf. In der Anordnung wird auch auf einen vom Agrarministerium für Mai 1950 festgelegten Sondersuchtag verwiesen. Anscheinend dienen die Meldungen über die „Amikäfer“ dazu, für eine große Beteiligung zu sorgen.

Den Eindruck einer bewussten Manipulation bestätigt der Blick in die Unterlagen der SED-Spitze und von Agrarstaatssekretär Merker. Weder die Kartoffelkäferplage noch die „Amiflieger“ sind Tagesordnungspunkt einer Tagung des Zentralkomitees, seines (viel wichtigeren) Sekretariats oder des Politbüros. Das einzige Thema mit landwirtschaftlichen Bezug ist in der 113. Sitzung des ZK-Sekretariats der SED vom 9. Juni 1950 der Punkt sieben: „Beschaffung von Fahrrädern für die Instrukteure des Agrarministeriums.“ Auffallend auch: Weder in der Regierungskommission noch im Gutachterkreis sitzen ausgewiesene Schädlingsexperten.– das findet Jahrzehnte später der Biologe Erhard Geißler heraus.

Dabei hätte auch ungeübten Lesern auffallen können, dass bis auf einen „Augenzeugen“ niemand verraten kann, wie man die Flugzeuge identifiziert hatte. Manche folgern aus dem Hörensagen, andere bringen willkürlich Flugbewegungen mit den Käferfunden Stunden später in Zusammenhang oder werden von offizieller Seite dazu gedrängt. Mancher Kronzeuge berichtet lediglich von Kondensstreifen – das bedeutet, die Flugzeuge sind entweder weitergeflogen oder fliegen sich in sehr großer Höhe. In all diesen Fällen wäre es unmöglich gewesen, ihre Nationalität festzustellen. Schon gar nicht nachts. Hinzu kommt: Keiner der Zeugen hat je etwas aus den Flugzeugen fallen sehen, geschweige denn irgendwelche Behälter gefunden; sie werden auch der Öffentlichkeit nicht präsentiert.

Im August 1950 enden die Berichte über Kartoffelkäferabwürfe so schnell, wie sie erschienen waren. Die einzigen „Käfer“, die der Westen über DDR-Gebiet abgeworfen hat, bestehen aus Pappe; die Absender sind das Gesamtdeutsche Ministerium und der US-Geheimdienst. Auf den Pappkäfern, als Antwort auf die Falschmeldungen per Ballons verstreut, sind politische Sprüche gedruckt und ein „F“ auf der Rückseite. Es hätte durchaus für das Wort „Falschmeldung“ stehen können – tatsächlich aber symbolisiert es den Begriff „Freiheit“.

https://www.welt.de/print/die_welt/poli ... rfiel.html

Diese riesige Lachnummer aus und über die DDR, war der " Welt " in diesem Jahr noch einmal einen ausführlichen Beitrag wert. [laugh]
Interessierter
 

Re: Als Amerika die DDR mit Kartoffelkäfern überfiel

Beitragvon Zicke » 10. Juli 2017, 15:30

Die Beschuldigung, der Gegner würde Kartoffelkäfer als biologisches Kampfmittel einsetzen, wurde während des Zweiten Weltkriegs und danach mehrmals erhoben: Die Nazis behaupteten das von den Alliierten, die Engländer von den Deutschen, und in der Frühzeit der DDR gab es eine Plakatkampagne gegen die so genannten "Ami-Käfer", die, aus der Luft abgeworfen, die Ernte des Arbeiter- und Bauernstaates zerstören sollten. Tatsächlich gibt es aber keine Belege, dass ein solcher Angriff je stattgefunden hat.

Am ehesten berechtigt ist der Vorwurf noch gegenüber den Deutschen. Die Wehrmacht züchtete nämlich seit 1943 tatsächlich Kartoffelkäfer und warf sogar probeweise 14 000 Insekten über der Pfalz ab, um zu überprüfen, ob die überhaupt den Fall aus 8000 Meter Höhe überstehen würden (sie überlebten tatsächlich). Zum geplanten Einsatz in England kam die Biowaffe aber nie - manche Quellen sagen, dass es für den Einsatz gegen die Ernte des Sommers 1944 einfach zu spät war, andere sprechen davon, dass Hitler das Programm persönlich gestoppt hätte.

http://www.zeit.de/2002/33/200233_stimmts_kartoffe.xml
Menschen, die keinen Arsch in der Hose haben, müssen nicht zwangsläufig schlank sein.

Meine Rechtschreibfehler könnt Ihr Samstags ab 17 Uhr bei Rewe gegen eine lecker Senfgurke tauschen.
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Re: Als Amerika die DDR mit Kartoffelkäfern überfiel

Beitragvon Volker Zottmann » 10. Juli 2017, 16:11

Nun gut, 1950 war ich noch im flüssigen Aggregatzustand.
Ich erinnere mich aber, als kleines Schulkind in Massen auch Kartoffelkäfer mit von den befallenen Feldern nach 1957 abgesammelt zu haben. Obwohl es damals in der Unterstufe keinen Politunterricht gab, wurde nicht versäumt uns Kindern den bösen Amerikaner und die bBUs als Verursacher vorzuführen. "Die haben Schuld, wenn wir nichts mehr zu essen haben!".
Marmeladengläser mit Bakelitt-Schraubverschluss wurden vollgesammelt gegen wohl 50 Pfennige(?) abgegeben. War ein wenig ekelig, aber leichter als Kartoffeln zu stoppeln.
In der DDR war immer einer schuld! Meistens der Klassenfeind. [flash]

Gruß Volker
Volker Zottmann
 


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