Gemäß meinem ( des Autoren ) Arbeitsvertrag per 1. April 1954 erhielt ich als Lagerist 115 DM West. Das war nicht viel, also versuchte ich anderswo einen Arbeitsplatz zu finden. Meine Schwester sagte mir, ich solle es mal bei der KVA Berlin versuchen und hatte tatsächlich Erfolg. Ich kündigte kurzfristig zum 6. November 1954. Doch der Abschied — wenn auch gewollt — war nicht leicht. Ich hatte mich in den dreieinhalb Jahren gut eingearbeitet und die pharmazeutische Branche war ein Teil meines Lebens geworden. Aber, wer den ersten Schritt tut, muss auch den zweiten wagen.
Bei der KVA Berlin fing ich am 8. November 1954 aushilfsweise als Bote im Dezernat IV/Beiträge an zu einem Stundenlohn von 1,15 DM West. Immerhin rund 230 DM im Monat! Mein Arbeitsverhältnis war zunächst bis 31.12.1954 befristet und wurde dann alle 4 Wochen verlängert. Im Beitragsdezernat durfte ich dann zunächst in der Aktenablage arbeiten und auf Weisung Akten beschriften. Zunächst aber fragte mich der Chef, ob ich überhaupt schreiben könne. Das musste ich dann unter Beweis stellen. Sonst aber gehörte es zu meinen Aufgaben, die Akten an die Arbeitsplätze zu schaffen und erledigte Vorgänge einzusammeln und in die Registratur zu bringen. Als eines Tages der bis dahin erkrankte Bote an seinen Arbeitsplatz zurückkehrte, wurde ich ins Dezernat II in die Zentrale am Fehrbelliner Platz versetzt. Da gehörte es zu meinen Aufgaben, Rezepte zu sortieren und für die Abrechnung mit den Ärzten vorzubereiten. Kein Telefon am Arbeitsplatz.
Eines Tages kommt der Abteilungsleiter ins Zimmer und sagt, ich solle zur Personalabteilung gehen. Falls ich danach gefragt werde, solle ich nur Gutes über die Abteilung sagen. Einen Grund wisse er nicht. In der Personalabteilung erklärt mir ein Herr Dr. Noetzel, stellvertretender Geschäftsführer, dass er dabei sei, sich die Personalakten anzusehen. Bei der Durchsicht sei ihm aufgefallen, dass ich die Kaufmannsgehilfenprüfung habe und deshalb die Voraussetzungen hätte, an einem Nachwuchslehrgang teilzunehmen. Später sei dann die Teilnahme an einem A-Lehrgang möglich. Ich bedankte mich und wurde Teilnehmer am Lehrgang N1, den Herr Dr. Noetzel leitete. Mein Chef war nach meinem Bericht weniger begeistert, denn ich wurde ins Dezernat III/2 Bezirksstellen versetzt — Vergütungsgruppe VIII. Nun war ich wieder Angestellter. Überall, wo gerade ein Angestellter benötigt wurde, erfolgte mein Einsatz in den Bezirksstellen.
Der Start begann in der Bezirksstelle 11 in der Potsdamer Straße in Schöneberg. Am Quartalsanfang waren die Kollegen in den Bezirksstellen mit der Ausstellung von Krankenscheinen beschäftigt. Dazu musste immer die Leistungskarte gezogen werden, auf der die Ausgabe vermerkt wurde. Wenn die Bezirksstelle um 13 Uhr die Schalter schloss, wurde der Posteingang bearbeitet. Außerdem gehörte es zum täglichen Geschäft, die Karteikästen zu pflegen und die Aktenablage zu organisieren. Mein Aushilfsvertrag wurde immer wieder verlängert. Eines Tages wurde ich dann in die Bezirksstelle 6 in Kreuzberg versetzt.
Wieder Dienst am Leistungsschalter, doch ein ganz anderes Publikum bzw. Versicherte. Es gab nicht selten Streit, den der Chef schlichten musste. An einen Fall kann ich mich noch wie heute erinnern. Ich saß als Hilfskraft am Schalter und mir gegenüber der Sachbearbeiter. Der Versicherte hinter der Theke war wohl mit der Krankengeldberechnung nicht einverstanden und warf mit lauten Worten dem Kollegen den Bescheid auf den Tisch. Ein Wort gab das andere und schließlich holte der Versicherte aus und erteilte dem Kollegen eine schallende Ohrfeige. Einen Moment Ruhe, dann stand mein Kollege auf, stellte sich auf den Stuhl und zog den Versicherten am Schlips fast bis über die Theke. Andere Versicherte und Besucher hatten einen Kreis gebildet. Dann eilte der Chef hinzu und schlichtete schließlich den Streit.
Apropos Karteikästen. Es war Sommer und sehr warm. Unsere jungen Kolleginnen trugen, wie damals üblich, sehr kurze Kleider oder Röcke, zeigten also viel Bein. Wenn sie nun die Karteikarten in den großen Karteikästen auf Füßen verstauten, mussten sie sich manchmal weit nach vorne beugen mit der Folge, dass ein weiter Einblick unvermeidlich war. Das hatte wiederum zur Folge, dass sich an diesen Schaltern insbesondere das männliche Versichertenvolk konzentrierte, ja hinter der Glasscheibe auf der Theke klebte. Auch da musste der Chef schließlich eingreifen und verbot das Tragen der kurzen Röcke. Die Auseinandersetzung mit den Damen war mehr als unschön.
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