Bernd Herzog - Mein langer Weg zur Schlieker-Werft

Bernd Herzog - Mein langer Weg zur Schlieker-Werft

Beitragvon Interessierter » 2. Februar 2017, 10:15

Dsch-sch-dt, mit einem Zischen und Rumpeln der Waggons hielt der Zug an dem kleinen Bahnhof. Weißer Dampf umhüllte die Räder der Lokomotive. Es war morgens um kurz nach fünf Uhr. Eine einzige Straßenlaterne beleuchtete den Bahnhof. Wobei Bahnhof wohl etwas zu hochtrabend war. Es handelte sich mehr um etwas aufgeschütteten Sand mit einer Steinkante und einem aus drei Backsteinmauern bestehenden Wartehäuschen. Ein humorvoller Mensch hatte die Haltestelle an der eingleisigen Strecke dann auch "Hoffnung" genannt. Heute heißt der Bahnhof "Quickborn Süd".

Schlaftrunken stieg ich mit noch drei anderen Leuten in den nach Zigaretten und Tabak stinkenden, nur spärlich beleuchteten Waggon, um mir die nächstbeste Ecke auf den Holzbänken zu suchen. Die Jacke über den Kopf gezogen und die Augen geschlossen fiel ich auch gleich in einen leichten Schlaf. Hatte ich doch schon eine halbe Stunde Fußweg von der Elsenseestraße zum Bahnhof hinter mir. Verschlafen konnte ich nicht, denn ich musste am Kaltenkirchener Platz aussteigen und das war ein Sackbahnhof. Hier endete die AKN (Altona-Kaltenkirchen-Neumünster Eisenbahn AG). Von hier aus ging es nun zu Fuß weiter. Unter dem S-Bahn-Tunnel Holstenstraße, vorbei an der Holsten-Brauerei, die seltsamerweise keine durch Bomben verursachten Schäden erkennen ließ. Gleich dahinter begann aber ein riesiges von Trümmern befreites Gelände.

Es war 1957. Hier hatten sich Zigeuner mit ihren hölzernen, bunten Wohnwagen niedergelassen. Trotz der frühen Stunden herrschte schon eifriges Leben, überwiegend Frauen und Kinder waren zu sehen. Wir trauten uns aber trotzdem nur in Gruppen durch das Lager, denn wir wurden angepöbelt und die Kinder schmissen auch schon mal mit Steinen nach uns. Von dem Platz aus gingen wir durch einen schmalen Gang in die Straße "Kleine Freiheit", dann kamen wir in die "Große Freiheit", rechts war der Star-Club und gegenüber ein Lokal, bei dem Fenster und Tür in der frühen Morgenstunde immer zum Lüften weit offen standen. Manchmal war die Putzfrau zu sehen, wie sie schwungvoll ihren Feudel nach den Liedern von Fredy Quinn "Brennend heißer Wüstensand", "Die Gitarre und das Meer" oder "Junge komm bald wieder" schwang. Auch die Straßenkehrer der Stadt waren schon eifrig damit beschäftigt, den Müll der vergangenen Nacht zu beseitigen. Von der "Großen Freiheit" ging es nach links in die Reeperbahn bis zur Davidstraße, wo auch zu dieser frühen Morgenstunde noch einige "Damen" in kurzen Röckchen und Strumpfhosen standen und auf übrig gebliebene Lords (Seeleute) warteten. Runter zum Alten Elbtunnel. Hier strömten aus allen Richtungen die Arbeiter zusammen, die auf Steinwerder arbeiteten. Mit vier Lastenfahrstühlen, die jeweils etwa sechzig Personen befördern konnten, ging es 24 Meter in die Tiefe des Tunnels.

Der Elbtunnel wurde in den Jahren 1907 bis 1911 gebaut, da die Hafenfähren und Barkassen besonders im Winter bei Eisgang auf der Elbe die Massen, der im Hafen arbeiteten Menschen nicht mehr bewältigen konnten. Zu der Zeit waren auf den Werften 20.000 Menschen beschäftigt und nochmals 25.000 Hafenarbeiter zum Löschen und Beladen der Schiffe, die jeden Morgen von der Küste (St.Pauli) zur Insel (Steinwerder) befördert werden mussten. Vor dem Zweiten Weltkrieg arbeiteten wegen der militärischen Aufrüstung noch mehr Menschen auf den Werften, sodass in St.Pauli, auf der Nordseite des Tunnels, nur noch Arbeiter eingelassen wurden, wenn auf der Südseite in Steinwerder entsprechend viele Menschen heraus kamen. Die Benutzung des Elbtunnels war von Anfang an für Fußgänger kostenlos, im Gegensatz zu den Fähren. Das hatten die Sozialdemokraten in der Bürgerschaft mit dem Argument durchgesetzt, dass die auf der Uhlenhorst von der Stadt angelegten Reitwege ja auch kostenlos sind.

Beim Gang durch den 500 Meter langen Tunnel kam einem schon mal der Gedanke, was passiert eigentlich, wenn an dieser Stelle mal ein großes Schiff seinen Anker schmeißen muss? Denn wir wussten, dass über der Tunneldecke nur drei Meter Sand lagen. – Nun waren es aber nur noch 500 Meter bis zum Eingang meiner Arbeitsstätte auf der "Schlieker Werft", die ich jetzt nach einer Stunde Fußmarsch erreicht hatte. Wenn ich meinen Arbeitsplatz kurz vor sieben Uhr erreicht hatte, stand Schliekers Volkswagen schon vor seinem Büro!

Weiter mit dem Zeitzeugenbericht und Fotos geht es hier:
http://www.ewnor.de/bh/983_bh.php

Zeitzeugenberichte aus diesen Jahren lesend, rufen bei mir sofort ähnlich- oder gleicherlebtes in Erinnerung.
Interessierter
 

Zurück zu Arbeitsalltag BRD/DDR

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast

cron