1. Problemaufriss
2. Praxis und Folgen beruflicher Ausgrenzung: Zwei Beispiele
3. Akteure der beruflichen Ausgrenzungspraxis
4. Folgen der beruflichen Ausgrenzung und oppositionelle Gegenstrategien
5. Fazit
ANMERKUNGEN
Das Transparent wurde im Vorfeld der Ost-Berliner Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 angefertigt und vom MfS fotografiert. Der Liedermacher Stephan Krawzcyk trug es versteckt unter seiner Jacke, als er am 17. Januar, dem Tag der Demonstration, festgenommen wurde (Quelle: BStU, MfS HA IX/FO/1375).
1. Problemaufriss
Gut ein Drittel der ehemals führenden Oppositionellen1 in der DDR arbeitete in Bereichen außerhalb der offiziellen Arbeitsgesellschaft.2 Diese Personen übernahmen Tätigkeiten bei der evangelischen Kirche, arbeiteten unter erschwerten Bedingungen als freischaffende Künstler oder „saßen ihre Zeit ab“ als Heizer im Kino oder auf einer anderen ihnen zugeordneten Arbeitsstelle. In den vielen Publikationen zu politischer Gegnerschaft, Opposition und Widerstand in der DDR spielen berufliche Ausgrenzung und Verfolgung bisher nur am Rande eine Rolle.3 Dabei verdient der Zusammenhang von Beruf und politischer Gegnerschaft genauere Analysen.
Denn es ist eine irreführende Annahme, bei den Mitgliedern politisch alternativer Gruppen habe es sich mehrheitlich um Marginalisierte gehandelt, also um Berufsaussteiger, Studienabbrecher oder sozial benachteiligte Jugendliche.4 Angesichts der politischen Bedeutung von Arbeit und Beruf in der DDR sind hier differenziertere Zugänge erforderlich. Arbeit und Beruf waren in der DDR zentrale gesellschaftliche Integrationsmodi. Sie übernahmen die Funktion sozialer Identitätsfindung und individueller Sinngebung. Dem konnten sich politische Gegner ebensowenig entziehen wie die Mehrheitsgesellschaft.5
Nicht nur Disziplinarmaßnahmen, Strafversetzungen oder fristlose Entlassungen waren Teil der beruflichen Ausgrenzungspraxis, sondern auch die „Bewährung in der Produktion“. Solche Unterdrückungsinstrumente richteten sich teils gegen Personen, die sich selbst möglicherweise gar nicht als systemkritisch sahen, sondern sich lediglich staatlicher Bevormundung zu entziehen versuchten.
In anderen Fällen sahen führende Oppositionelle darin eine Chance zur Selbstorganisation, also zu einer alternativen und selbstbestimmten Lebensweise. Sie konnten in der DDR der 1980er-Jahre berufliche Nischen finden, die ihnen Zeit und Raum gaben, ihre politische Gegnerschaft zu professionalisieren und diese immer stärker zur Hauptbeschäftigung zu machen. Die Nichtteilnahme am staatlichen Berufsleben konnte sogar zum positiven Code werden.
Aus Sicht des Staates ging es darum, vermeintliche oder tatsächliche politische Gegner auf diese Art und Weise zu kontrollieren und zu isolieren. Vorrangig war dabei nicht immer ein totales Arbeitsverbot, sondern die Einschränkung widerständiger Handlungsräume. Was dies im Detail bedeutete, soll im Folgenden beispielhaft dargestellt werden. Dabei sollen sowohl die individuellen als auch die kollektiven Folgen der beruflichen Ausgrenzung untersucht werden. Was die SED, das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und andere staatliche Akteure als Einschränkung planten und umsetzten, wurde insbesondere von aktiven Oppositionellen als normale Folge ihres Handelns interpretiert. Zum Teil sahen sie in der beruflichen Randstellung Möglichkeiten, neue politische Handlungsräume zu erschließen.
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https://zeithistorische-forschungen.de/3-2007/id=4556