Gorbatschows Reaktion auf den Mauerfall

Alle Themen die eine Bezug zur Wende und Grenzöffnung haben. Persönliche Erlebnisse, Gedanken aus dieser Zeit, Dokumente und ähnliches.

Gorbatschows Reaktion auf den Mauerfall

Beitragvon Interessierter » 19. November 2016, 09:50

„Politik der Situation anpassen"

Im Juli 1988 nutzte er eine Sitzung des Komitees der Verteidigungsminister des Warschauer Paktes in Moskau, um nicht nur seinem eigenen Generalstab, sondern allen Verteidigungsministern des Ostblocks, darunter auch DDR-Verteidigungsminister Keßler, mit der ganzen Autorität des Generalsekretärs der KPdSU begreiflich zu machen, daß die Zeit militärischer Interventionen in Bruderländern abgelaufen war: „Jede Partei ist für ihre Angelegenheiten selbst verantwortlich und erfüllt ihre Aufgaben selbständig. Es dürfen keine Versuche geduldet werden, einander nicht zu achten oder sich in die inneren Angelegenheiten des anderen einzumischen", schärfte er den Militärs ein.[4]

Die Umwälzungen in Polen und Ungarn hatte die Sowjetunion hingenommen. Würde sie nun auch den Fall der Mauer widerspruchslos und ohne militärische Einmischung akzeptieren? In wichtigen bündnisrelevanten Fragen und vor zentralen staatspolitischen Entscheidungen pflegte die SED-Spitze die Partei- und Staatsführung der Sowjetunion zu konsultieren. Hatte sie dies auch im vorliegenden Fall getan? Welche Absichten hatte die SED-Führung ihrer Vormacht kundgetan?


Ein Anruf des sowjetischen Botschafters Kotschemassows während der Beratung der operativen Führungsgruppe am 10. November gegen 9.00 Uhr im Arbeitszimmer von Krenz ist ein erstes Indiz dafür, daß die Sowjetunion vom Fall der Mauer völlig überrascht wurde.[5] Den Inhalt dieses Telefonats hat Krenz in folgender Form überliefert:

„Kotschemassow: Genosse Krenz, in Moskau ist man beunruhigt über die Lage an der Berliner Mauer, wie sie sich heute Nacht entwickelt hat.

Krenz: Das wundert mich. Im Prinzip wurde doch nur um Stunden vorgezogen, was heute (10. 11. 1989) ohnehin vorgesehen war. Unser Außenminister hat die Reiseverordnung mit der sowjetischen Seite abgestimmt.

Kotschemassow: Ja, aber das stimmt nur zum Teil. Es handelte sich nur um die Öffnung von Grenzübergängen zur BRD. Die Öffnung der Grenze in Berlin berührt die Interessen der Alliierten.

Krenz: So habe ich die Sache nicht verstanden. Doch dies ist jetzt nur noch eine theoretische Frage. Das Leben hat sie heute nacht beantwortet. Die Grenzöffnung hätte nur durch militärische Mittel verhindert werden können. Das hätte ein schlimmes Blutbad gegeben."[6]

Natürlich wunderte sich Krenz nicht, sondern teilte die Beunruhigung Moskaus. Keiner wußte besser als er, daß mit der faktisch offenen Grenze in Berlin nicht nur um Stunden vorgezogen wurde, was ohnehin geplant war. Über den Fall der Mauer hatte die SED die Sowjets schlechterdings deshalb nicht vorab informieren können, weil er nicht beabsichtigt war, sondern spontan vom Volk erzwungen wurde. Der Kern der von Krenz wiedergegebenen Einlassung des Sowjet-Diplomaten, nur die Öffnung von Grenzübergängen zur BRD sei mit ihm abgestimmt gewesen, ist nicht anders zu verstehen, als daß die vom Politbüro, dem Zentralkomitee und vom Ministerrat letztendlich beschlossene Reiseregelung den Sowjets ganz offensichtlich nicht vorgelegt worden war. Folgt man der weiteren Darstellung von Krenz, hatte die Kraft seiner Argumente die Verstimmung Kotschemassows nicht nur restlos beseitigt, sondern ihn auch zu einem Meinungswandel um 180 Grad bewegt. Nach kurzem Schweigen, will Krenz glauben machen, habe ihm der sowjetische Botschafter recht gegeben und angeblich bereits eine Stunde später Glückwünsche von Gorbatschow und der sowjetischen Führung „zu Ihrem mutigen Schritt, die Berliner Mauer zu öffnen", übermittelt.[7]

Skepsis gegenüber diesem allzu schnellen Happy-End ist schon deshalb angebracht, weil Krenz zum Zeitpunkt des angeblichen zweiten Telefonats bereits wieder der ZK-Tagung präsidierte. Mitglieder der operativen Führungsgruppe, die zur Zeit des Anrufes anwesend waren, haben Verlauf und Ausklang dieses ersten Telefonats in gänzlich anderer Erinnerung.

Weiter geht es hier:
http://www.chronik-der-mauer.de/materia ... n-anpassen

Sehr interessante Ausführungen und Dialoge, wie ich finde.....
Interessierter
 

Re: Gorbatschows Reaktion auf den Mauerfall

Beitragvon augenzeuge » 19. November 2016, 10:24

Sehr interessant! Aber letztlich war das ein Gedanke, der nicht ausreichend gewesen wäre. Ohne militärisches Eingreifen war die Grenzöffnung nicht aufzuhalten. Schon erstaunlich, wie ahnungslos da die Russen waren.

Denn gegenüber dem sowjetischen Botschafter, das berichtete Kotschemassow zumindest den Mitarbeitern der Botschaft über sein Gespräch, hatte Fischer lediglich von der Einrichtung eines Sondergrenzüberganges für Ausreisewillige im Süden der DDR gesprochen und nur hierfür die Zustimmung der sowjetischen Führung bis spätestens zum Morgen des 9. November erbeten. Die Möglichkeit von Privatreisen hatte Fischer überhaupt nicht erwähnt.


Das Kotschemassow von der Mauer sprach und nicht vom antifaschistischen Schutzwall hätte Krenz doch gleich monieren müssen.... [grin]
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Re: Gorbatschows Reaktion auf den Mauerfall

Beitragvon augenzeuge » 19. November 2016, 10:38

Noch besser: [flash]

Ihnen (den Russen) fehlte die Vorstellungskraft, daß die SED-Spitze die Erweiterung der Reiseregelung völlig eigenständig, ohne direkte Rückversicherung in Moskau beschlossen haben könnte.


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Re: Gorbatschows Reaktion auf den Mauerfall

Beitragvon Olaf Sch. » 19. November 2016, 16:38

das war die Rache der SED an Gorbatschow... Du ruinierst uns und wir euch!
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