Der alltägliche Irrsinn - 1990
Verfasst: 27. August 2016, 11:00
Viele Obstbauern aus Werder bei Potsdam wollten nicht darauf warten, daß ihre Ware verfaulte. Sie luden ihre Lastwagen voll Kirschen und fuhren nach Ost-Berlin. Mit viel Gebimmel und Geschrei verkauften sie in Pankow vom Lastwagen herunter ihre Kirschen - 700 Gramm für zwei Mark.
Die ehemaligen HO-Läden und Konsum-Geschäfte in der DDR hatten sich geweigert, DDR-Kirschen zu verkaufen. Während das Obst im eigenen Land an den Bäumen zu verrotten drohte, boten die Läden Importware aus dem Westen an - doppelt bis dreimal so teuer wie DDR-Kirschen.
Wie praktisch alle heimischen Produkte, so schien es, verschmähen Ostdeutsche auch Kirschen aus dem Havelland, dem Mecklenburgischen oder Thüringen. Was aus dem Westen kommt, muß einfach besser sein.
Sauer schmecke das Zeug aus dem eigenen Land, maulten einige Ost-Berliner, die Kirschen seien klein und unansehnlich. Doch daß viele Bauern ihre Ernte nicht loswurden, lag keineswegs am Geschmack des Obstes.
Die Absatzprobleme der Obstbauern gehören zu dem alltäglichen Irrsinn, der seit Ausbruch der Marktwirtschaft in der DDR herrscht.
Mit ihrer grotesken Kalkulation hätten sich die Bauern selbst um das Geschäft gebracht, erklärte vergangenen Freitag ein Manager der Mülheimer Tengelmann-Gruppe vor der Ost-Berliner Volkskammer. Tengelmanns DDR-Tochterfirma Hofka wollte Kirschen aus dem Havelland verkaufen.
Doch die Landwirte aus Werder, versichert der Tengelmann-Repräsentant, wollten dem Großabnehmer Hofka die Kirschen fast doppelt so teuer verkaufen wie den Bürgern, die vom Lkw herunter bedient wurden: "Dann darf man sich nicht wundern, daß die Hofka GmbH diese Produkte nicht ins Sortiment aufnimmt."
Mit einer derart eigenwilligen Preisgestaltung sind die Lieferanten früher wohl mit der staatlichen HO klargekommen. Probleme hatten die Werderaner freilich auch mit anderen Händlern: Fast alle Lebensmittelgeschäfte haben sich mit bundesdeutschen Kooperationspartnern zusammengetan und sind Abnahmeverpflichtungen eingegangen - DDR-Kirschen waren da nicht vorgesehen.
Erst als die Kirschen reiften, merkten die ostdeutschen Bauern, daß sie das Obst nicht loswurden. Für einen regulären Export in den Westen war es zu spät. Ausfuhrgenehmigungen müssen rechtzeitig beantragt werden.
Manches lief auch ohne Lizenz, und bald gab es DDR-Kirschen bei bundesdeutschen Großhändlern, und zwar zu Sonderpreisen.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13501103.html
Die ehemaligen HO-Läden und Konsum-Geschäfte in der DDR hatten sich geweigert, DDR-Kirschen zu verkaufen. Während das Obst im eigenen Land an den Bäumen zu verrotten drohte, boten die Läden Importware aus dem Westen an - doppelt bis dreimal so teuer wie DDR-Kirschen.
Wie praktisch alle heimischen Produkte, so schien es, verschmähen Ostdeutsche auch Kirschen aus dem Havelland, dem Mecklenburgischen oder Thüringen. Was aus dem Westen kommt, muß einfach besser sein.
Sauer schmecke das Zeug aus dem eigenen Land, maulten einige Ost-Berliner, die Kirschen seien klein und unansehnlich. Doch daß viele Bauern ihre Ernte nicht loswurden, lag keineswegs am Geschmack des Obstes.
Die Absatzprobleme der Obstbauern gehören zu dem alltäglichen Irrsinn, der seit Ausbruch der Marktwirtschaft in der DDR herrscht.
Mit ihrer grotesken Kalkulation hätten sich die Bauern selbst um das Geschäft gebracht, erklärte vergangenen Freitag ein Manager der Mülheimer Tengelmann-Gruppe vor der Ost-Berliner Volkskammer. Tengelmanns DDR-Tochterfirma Hofka wollte Kirschen aus dem Havelland verkaufen.
Doch die Landwirte aus Werder, versichert der Tengelmann-Repräsentant, wollten dem Großabnehmer Hofka die Kirschen fast doppelt so teuer verkaufen wie den Bürgern, die vom Lkw herunter bedient wurden: "Dann darf man sich nicht wundern, daß die Hofka GmbH diese Produkte nicht ins Sortiment aufnimmt."
Mit einer derart eigenwilligen Preisgestaltung sind die Lieferanten früher wohl mit der staatlichen HO klargekommen. Probleme hatten die Werderaner freilich auch mit anderen Händlern: Fast alle Lebensmittelgeschäfte haben sich mit bundesdeutschen Kooperationspartnern zusammengetan und sind Abnahmeverpflichtungen eingegangen - DDR-Kirschen waren da nicht vorgesehen.
Erst als die Kirschen reiften, merkten die ostdeutschen Bauern, daß sie das Obst nicht loswurden. Für einen regulären Export in den Westen war es zu spät. Ausfuhrgenehmigungen müssen rechtzeitig beantragt werden.
Manches lief auch ohne Lizenz, und bald gab es DDR-Kirschen bei bundesdeutschen Großhändlern, und zwar zu Sonderpreisen.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13501103.html