Wie immer, so gab es auch im Sommer 1989 viele Menschen, die zwischen beiden Optionen hin- und herschwankten. Zunächst schwoll die Zahl der Ausreisewilligen durch die Hoffnung der Grenzöffnung in Ungarn machtvoll an. Zuvor war die Zahl derer, die Besuchsreisen nutzten, um nicht wieder in die DDR zurückzukehren – insbesondere seit der Lockerung der Reisebestimmungen Ende 1988 – dramatisch gestiegen. Wer nicht reisen konnte, stellte einen Antrag auf ständige Ausreise. Auch diese Zahl stieg im ersten Halbjahr 1989 dramatisch an. Die üblichen Drohgebärden und Einschüchterungsmaßnahmen des Staates verfehlten zunehmend ihre Wirkung.
In der Tat galt dem ausgeprägten Wunsch nach dem Verlassen des Landes zu allen Zeiten seiner Existenz stets die größte Sorge der Herrschenden. Die Flucht der Bevölkerung ist eine der peinlichsten Formen der Delegitimierung eines politischen Systems. Bereits in den Jahren 1949 und dem Mauerbau 1961 – das für die ganze Welt sichtbare Zeichen ständiger Fluchtbereitschaft – hatten mehr als drei Millionen Menschen dem Land den Rücken gekehrt.
Gemeinsam war den meisten Republikflüchtigen aber eines: Sie hatten keine Hoffnung auf eine Besserung der wirtschaftlichen oder politischen Verhältnisse in der DDR. Sie lehnten es ab, ihre persönliche Existenz an die realsozialistischen Verhältnisse zu binden.
Das Jahr 1950 erlebte beispielsweise rund 70000 politisch motivierte Strafprozesse. Das Ziel des Ulbricht-Regimes war die Auslöschung jeglicher parlamentarisch strukturierter oder organisierter politischer Opposition. (In den letzten beiden Jahren der DDR lag die Zahl politisch verfolgter Delikte jeweils unter 1800.)
Im Jahre 1975 existierte in Jena eine Art Kommune in einem Hinterhaus in der damaligen Maxim-Gorki-Straße (heute Talstraße). Zentrale Personen waren Michaela Kunze, die Tochter des Schriftstellers Reiner Kunze, der später verhaftete Bernd Markowsky und einige andere.
Einen schweren Rückschlag erhielten die Jenaer Oppositionellen, als nach einer Protestaktion gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns im November 1976 mehr als 30 Personen verhaftet und nicht wenige von ihnen verurteilt wurden, unter ihnen Thomas Auerbach, Walfred Meyer, Gert Lehmann. In Berlin geriet Jürgen Fuchs in die Fänge des MfS, Robert Havemann wurde unter Hausarrest gestellt. Unter Druck zogen es einige vor, in den Westen zu gehen. Die Zurückgebliebenen waren verstört und entmutigt. Hier machte sich bemerkbar, was bis 1989 anhielt: das Ausbluten oppositioneller Kreise in Richtung Westen – teils unter Druck der Stasi im Gefängnis, teils unter dem Eindruck der vergeblichen eigenen Bemühungen um Veränderungen in der DDR.
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