Das Märchen von der Siegerjustiz
Verfasst: 15. April 2016, 13:28
Die Justiz und das Erbe der Diktatur
Am 6. Juli 1990 begannen in Ost-Berlin die Verhandlungen über den Einigungsvertrag zum Beitritt der neuen Länder. Artikel 23 des Grundgesetzes – entgegen den Protesten von Bürgerrechtlern aus Ost und West gab es doch einen Anschluss unter dieser Nummer. Am 9. November 2004 endete der bisher letzte Prozess gegen einen DDR-Grenzsoldaten auf Grund von Schüssen auf Flüchtlinge – mit einem Schuldspruch. Heute kann die strafrechtliche Aufarbeitung des menschenverachtenden politischen Systems der DDR vorläufig als abgeschlossen gelten. Neue Prozesse sind unwahrscheinlich. Straftaten der mittleren Kriminalität (Freiheitsberaubung, Nötigung, Körperverletzung) sind nach mehrmaliger Verlängerung der Verjährungsfristen seit dem 2. Oktober 2000 ohnehin endgültig verjährt. Kapitaldelikte wie Mord oder Totschlag könnten zwar noch strafrechtlich verfolgt werden, dazu bedürfte es aber neuer Erkenntnisse, um einen hinreichenden Tatverdacht zu begründen. Das ist weiterhin möglich, aber nur in Einzelfällen, denn die Vergangenheitsbewältigung durch die Justiz war systematisch und gründlich. Bei Zahlenangaben können wir uns mittlerweile auf verschiedene verdienstvolle Studien von Klaus Marxen und Gerhard Werle, aber auch auf einige neue Zahlen aus dem Bundesjustizministerium stützen.
20 Jahre nach der Aufnahme von Verhandlungen über den Einigungsvertrag können die Ergebnisse der strafrechtlichen Aufarbeitung mit einem gewissen Vorbehalt bilanziert werden. Die Justiz stand dabei von Anbeginn unter dem Druck ganz gegensätzlicher Erwartungen. Die einen forderten eine umfassende Aufarbeitung mit den Mitteln des Strafrechts, die anderen brandmarkten die Strafverfolgung als Siegerjustiz. Die Justiz selbst hatte noch die erschreckend schlechte Bilanz ihrer gerade zu Anfang haarsträubenden Rechtsprechung gegen die Täter der NS-Diktatur zu verarbeiten. Ein Fall wie der Freispruch des Richters am Volksgerichtshof, Hans-Joachim Rehse, mit der Begründung, dieser habe das Recht nicht vorsätzlich beugen können, da er aus "Rechtsblindheit und Verblendung" den Unrechtsgehalt seiner Verbrechen nicht habe zu erkennen vermögen, durfte sich bei den Tätern des SED-Regimes nicht wiederholen. Gleichzeitig galt es, Maß zu halten, denn die Dimensionen des Schreckens der beiden Diktaturen auf deutschem Boden waren eklatant verschieden.
Interessante Details und Zahlen hier:
http://www.horch-und-guck.info/hug/arch ... -68/06802/
Am 6. Juli 1990 begannen in Ost-Berlin die Verhandlungen über den Einigungsvertrag zum Beitritt der neuen Länder. Artikel 23 des Grundgesetzes – entgegen den Protesten von Bürgerrechtlern aus Ost und West gab es doch einen Anschluss unter dieser Nummer. Am 9. November 2004 endete der bisher letzte Prozess gegen einen DDR-Grenzsoldaten auf Grund von Schüssen auf Flüchtlinge – mit einem Schuldspruch. Heute kann die strafrechtliche Aufarbeitung des menschenverachtenden politischen Systems der DDR vorläufig als abgeschlossen gelten. Neue Prozesse sind unwahrscheinlich. Straftaten der mittleren Kriminalität (Freiheitsberaubung, Nötigung, Körperverletzung) sind nach mehrmaliger Verlängerung der Verjährungsfristen seit dem 2. Oktober 2000 ohnehin endgültig verjährt. Kapitaldelikte wie Mord oder Totschlag könnten zwar noch strafrechtlich verfolgt werden, dazu bedürfte es aber neuer Erkenntnisse, um einen hinreichenden Tatverdacht zu begründen. Das ist weiterhin möglich, aber nur in Einzelfällen, denn die Vergangenheitsbewältigung durch die Justiz war systematisch und gründlich. Bei Zahlenangaben können wir uns mittlerweile auf verschiedene verdienstvolle Studien von Klaus Marxen und Gerhard Werle, aber auch auf einige neue Zahlen aus dem Bundesjustizministerium stützen.
20 Jahre nach der Aufnahme von Verhandlungen über den Einigungsvertrag können die Ergebnisse der strafrechtlichen Aufarbeitung mit einem gewissen Vorbehalt bilanziert werden. Die Justiz stand dabei von Anbeginn unter dem Druck ganz gegensätzlicher Erwartungen. Die einen forderten eine umfassende Aufarbeitung mit den Mitteln des Strafrechts, die anderen brandmarkten die Strafverfolgung als Siegerjustiz. Die Justiz selbst hatte noch die erschreckend schlechte Bilanz ihrer gerade zu Anfang haarsträubenden Rechtsprechung gegen die Täter der NS-Diktatur zu verarbeiten. Ein Fall wie der Freispruch des Richters am Volksgerichtshof, Hans-Joachim Rehse, mit der Begründung, dieser habe das Recht nicht vorsätzlich beugen können, da er aus "Rechtsblindheit und Verblendung" den Unrechtsgehalt seiner Verbrechen nicht habe zu erkennen vermögen, durfte sich bei den Tätern des SED-Regimes nicht wiederholen. Gleichzeitig galt es, Maß zu halten, denn die Dimensionen des Schreckens der beiden Diktaturen auf deutschem Boden waren eklatant verschieden.
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