"Wir glaubten an eine reformierbare DDR"

Alle Themen die eine Bezug zur Wende und Grenzöffnung haben. Persönliche Erlebnisse, Gedanken aus dieser Zeit, Dokumente und ähnliches.

"Wir glaubten an eine reformierbare DDR"

Beitragvon Interessierter » 12. Februar 2016, 15:48

Er glaubte an eine reformierbare DDR und ging dafür wochenlang auf die Straße: Pastor Christoph Poldrack ist einer der Mitbegründer des Neuen Forums in Greifswald. 25 Jahre nach Gründung der ersten DDR-Oppositionsbewegung erinnert er sich.

"In unserem Lande ist die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört." Als der Theologe Christoph Poldrack am 18. Oktober 1989 die berühmten Worte aus dem Gründungsaufruf des Neuen Forums im Greifswalder Dom vorliest, tut er dies mit "weichen Knien". Fast 1.000 Menschen hören ihm zu. Heute stellt er fest: "Die offiziellen DDR-Medien haben sich über die neu gegründete Oppositionsbewegung ausgeschwiegen, nachdem das Neue Forum als staatsfeindliche Plattform verboten worden war."

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Früh aufgestanden für den politischen Wandel: Der Theologe Christoph Poldrack (ganz links) hat Anfang Oktober 1989 das Neue Forum in Greifswald mit gegründet.

Anfang Oktober 1989 gründen in Poldracks Wohnzimmer 30 Bürgerrechtler das Neue Forum Greifswald - Wochen nach der offiziellen Gründungsveranstaltung in Berlin. "Im Süden der DDR wurde schon demonstriert, wir wollten nicht länger hinterherhinken", verrät er. Dass die ahnungslosen Bürgerrechtler in Greifswald einen Stasispitzel in ihren Sprecherrat wählen, erfährt Poldrack erst später aus seiner Stasiakte. "Doch die Geheimpolizei war machtlos, unsere Sache war zu weit gediehen." Und so kann Poldrack im Greifswalder Dom ungestört über Ziele und Aktionen des Neue Forums informieren: "Noch am selben Abend sind 70 Greifswalder dem Neuen Forum beigetreten." Dass viele schon Fragen zur Wiedervereinigung haben, verblüfft Poldrack an jenem 18. Oktober. "Für uns Bürgerrechtler war das zu diesem Zeitpunkt überhaupt kein Thema, wir glaubten fest an eine reformierbare DDR-

Die Volkspolizei demonstriert mit

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Im Jahr 1989 strömten die Greifswalder jeden Mittwoch auf die Straßen, um für mehr Freiheit und ein einiges Deutschland zu demonstrieren.

Dass er die erste friedliche Demonstration nach dem Friedensgebet am 18. Oktober verpasst, ist die Ironie seiner Geschichte. Und dass Hunderte Bürger spontan durch die Innenstadt ziehen, während er sich im Dom den Fragen zum Neuen Forum stellt, erfährt Christoph Poldrack erst einen Tag später. Danach demonstriert er mit, immer mittwochs. Als "Demo-Anfänger" bewegen ihn vor allem Fragen wie: Was tun, wenn wir einer Polizeisperre gegenüberstehen? Und tatsächlich: Die Greifswalder Volkspolizei blockiert Straßen und leitet den Verkehr um - aber damit die Bürgerrechtler freie Bahn haben! "Damit haben wir nach den Bildern von den Polizeiübergriffen in Leipzig nicht gerechnet", gesteht Poldrack. "Ende November demonstrieren sogar Volkspolizisten mit - wohl einmalig damals in der DDR."

Weiter geht es hier:
http://www.ndr.de/kultur/geschichte/Dem ... um122.html
Interessierter
 

Re: "Wir glaubten an eine reformierbare DDR"

Beitragvon Volker Zottmann » 12. Februar 2016, 18:08

Dass viele schon Fragen zur Wiedervereinigung haben, verblüfft Poldrack an jenem 18. Oktober. "Für uns Bürgerrechtler war das zu diesem Zeitpunkt überhaupt kein Thema, wir glaubten fest an eine reformierbare DDR

Dieser Satz belegt aber auch, dass die Bürgerbewegten damals gar nicht so eine Vorstellungskraft besaßen, um sich vorzustellen, dass die DDR unblutig abgeschafft werden könne. Das konnte sich wohl kaum jemand vorstellen.
So war es für diese Oppositionellen rational völlig logisch, erst mal "nur" eine reformierte DDR zu fordern.
Denen aber, die nach dem ausgesprochenen und beschlossenen Beitrittsgedanken immer noch an überholten Zielen festhielten, war nicht zu helfen.

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: "Wir glaubten an eine reformierbare DDR"

Beitragvon Spartacus » 12. Februar 2016, 19:23

Dieser Satz belegt aber auch, dass die Bürgerbewegten damals gar nicht so eine Vorstellungskraft besaßen, um sich vorzustellen, dass die DDR unblutig abgeschafft werden könne.


Ja und er belegt auch, dass die STASI zwar zuhörte, aber nicht richtig hinhörte. [grins]

Was wäre wohl passiert, wenn die STASI das Potential dieser Bewegung begriffen und einen öffentlichen Diskurs zur rechten Zeit gefördert und zugelassen hätte?

Nur mal so laut nachgedacht.

Sparta


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Re: "Wir glaubten an eine reformierbare DDR"

Beitragvon Volker Zottmann » 12. Februar 2016, 19:32

Grausame Vorstellung! Aber wäre auch eine Möglichkeit des Moments gewesen.

Genau das ist ja nach der Wende in etlichen Kommunen geschehen. Von Anfang an die Stasi unerkannt im Boot. Heute so stark vertreten, dass sogar Nachfragen auf kommunaler Ebene bezüglich Überprüfungen seit Jahren erfolgreich torpediert werden.

Es gibt Orte, da regiert heute die Staatssicherheit. Die hat allerdings einen anderen Namen und saubere, recht dunkle Parteipapiere.
Namen ? Nein!
Es gab schon so viele Verkehrsunfälle.

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: "Wir glaubten an eine reformierbare DDR"

Beitragvon steffen52-1 » 12. Februar 2016, 20:07

Spartacus hat geschrieben:
Dieser Satz belegt aber auch, dass die Bürgerbewegten damals gar nicht so eine Vorstellungskraft besaßen, um sich vorzustellen, dass die DDR unblutig abgeschafft werden könne.


Ja und er belegt auch, dass die STASI zwar zuhörte, aber nicht richtig hinhörte. [grins]

Was wäre wohl passiert, wenn die STASI das Potential dieser Bewegung begriffen und einen öffentlichen Diskurs zur rechten Zeit gefördert und zugelassen hätte?

Nur mal so laut nachgedacht.

Sparta

Seit 1986 wussten gewisse Kreise bei der Stasi Bescheid wie der Hase läuft in der DDR! Sie wussten auch, etwas später, das sie den Untergang nicht aufhalten konnten! Mit Waffengewalt
überhaupt nicht! Denn keiner von ihnen wollte so enden wie damals in Ungarn( sage nur Laterne)! Also haben sie( außer die ganz oben) sich in die richtige Position gebracht und das beste
daraus gemacht( anbieten beim ehemaligen Klassenfeind, gründen einer Firma u.s.w.)! Wissen wem was gehörte(Grundstücke, DDR-Betriebe) hatten sie ja genug! Spreche nicht für alle des MfS
die kleinen Lichter mussten natürlich geopfert werden, auch so eine geschickte Taktik des MfS gewesen1 Wenn ich heute in einer Fließenhandel einkaufe, da strahlen mich die Ex-MfS-Genossen an
und fragen nach meine Wünsche! Mir egal, jeder muss weiter leben! Der Spruch bleibt immer die Wahrheit: Die Kleinen hängt man und die Großen lässt man laufen!!! [frown]
Grüsse steffen52-1
steffen52-1
 


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